Multitalent, Feministin, Galionsfigur der Introvertierten. Giulia Becker ist Autorin, Schauspielerin, Sängerin, Podcasterin, No Angels-Fan und Drinnie. Ihr kennt sie vielleicht aus dem Neo Magazin Royale, als Sängerin des Songs „Verdammte Schei*e“ oder aus ihrem Podcasts „Drinnies“. Wir haben Giulia Becker auch schon in unserem Video zum Wochenende mit ihrem Song „Monstertruck“ gefeiert.
Leben & Arbeit
Giulia Becker wurde 1991 geboren. Sie wuchs mit zwei Geschwistern auf und brachte als „das dicke lustige Kind“ schon in ihrer Kindheit ihr Umfeld zum Lachen.
Nach dem Abitur absolvierte Giulia Becker ein Praktikum in der Dramaturgie und im Szenenbild von „Sturm der Liebe“, arbeitete als Regieassistenz an der Oper Köln und begann dann ein Medien- und Literaturwissenschaftsstudium in Siegen. Sie absolvierte ein Pflichtpraktikum in der Redaktion des Neo Magazin Royale, arbeitete eine Zeitlang als Redakteurin und Autorin, um dann ganz in den Autor*innenraum zu wechseln. Sie arbeitete fünf Jahre im Autor*innenteam von Jan Böhmermann, wo sie lange die einzige Frau war. Einige Projekte wie der Scheidensong „Verdammte Schei*e“ wären so ohne sie wohl nie entstanden. Im Neo Magazin Royale stand sie außerdem regelmäßig vor der Kamera, zum Beispiel in der „ZDF Tierkritik mit Dr. Margot Dokthor“ oder bei „Let’s go! Startup“.
Ihr erstes Buch, der Roman „Das Leben ist eins der Härtesten“, erschien 2019 bei Rowohlt und wurde mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet. Außerdem bekam sie dafür das Märkische Stipendium im Bereich Literatur. Sie erzählt die Geschichte von vier eher gewöhnlichen Charakteren, die weder cool, noch jung noch heldenhaft sind, aber alle vor ihren eigenen Problemen stehen. Um vor diesen Problemen, seien es der Exmann, der Tod oder die Impulskäufe, wegzulaufen, begeben sie sich auf einen abenteuerlichen Ausflug ins brandenburgische Tropical Island. Mit ihrer warmen und humorvollen Art zu schreiben, die auch die unangenehmen Gefühle und Situationen, die ganze Tragik und Komik des einfachen Lebens nicht ausspart, erzeugt sie eine liebevolle Akzeptanz für das menschliche Leben fernab vom glamourösen Instalifestyle. Deutschland3000 sagt sie:
„Als ich damit angefangen hab, war mir klar, dass ich über eine Frau schreiben will, wie wir viele Frauen kennen. […] Jeder kennt diese eine Frau oder mehrere Frauen, die einfach verheiratet sind, die Frau ihres Mannes sind und ihre Kinder großgezogen haben, ganz lange Jahre dafür zurückgesteckt haben, später dann ihre Eltern pflegen, dafür wieder zurückstecken, sich selbst vergessen und das auch noch gerne tun, weil sie anderen Leuten was Gutes tun wollen. Und das sind Frauen, die irgendwie seit Jahrzehnten, Jahrhunderten als selbstverständlich wahrgenommen werden und über die niemand was erzählt, weil das natürlich total langweilig ist, weil sie eigentlich nur durch ihre Familien existieren und da nichts Spezielles, Auffälliges passiert. Aber ich finde halt, man muss diese Menschen sichtbar machen, […] die gehen irgendwie so’n bisschen verloren immer in den Geschichten und Filmen und Büchern und ich fand das einfach erzählenswert.“
Seit Anfang 2020 ist sie freie Autorin, unter anderem für BBC Germany, FYEO und Pyjama Pictures. Unter anderem schrieb sie die Drehbücher für die ZDFneo-Sitcom „Ruby“. Seit Ende 2020 ist sie auch Podcasterin. Giulia Becker lebt und arbeitet in Köln.
Für ’ne Frau ist sie echt komisch
Diese (leicht abgeänderte) Textzeile stammt aus dem Song „Verdammte Schei*e“, den sie zusammen mit Max Bierhals für das Neo Magazin Royale schrieb. Der Song, der eigentlich Teil eines Musicals werden sollte, das aber nie produziert wurde, ging viral und wurde Teil der feministischen Bewegung. Giulia Becker besingt mit Unterstützung prominenter Frauen den Sexismus in der Fernsehbranche, Dinge die sie aufgrund ihrer Scheide (wir sprechen lieber von Vulven) nicht tun kann und darf, und dass Frauen für alles Schlechte verantwortlich sind.
Auch in ihrem Song „Monstertruck“ verbindet Giulia Becker Humor mit Gesellschaftskritik. Sie kritisiert den gesellschaftlichen Umgang mit dicken und fetten Körpern, die versteckt, kaschiert und optisch dünner gemacht werden müssen – oft mit übergroßer Kleidung. Dicke Körper sind nicht einfach Körper sondern eine „Situation“. Die Konsequenz: Monstertruck fahren. Das Thema weibliche Körper in der Öffentlichkeit kritisierte Giulia Becker bereits selbst ausführlich in einem Text für die SZ. Statt über die Arbeit von Frauen zu schreiben, fällt dem Feuilleton oft nicht mehr ein als ihr Aussehen zu kommentieren. Und im Fall von dicken Frauen müssen sie natürlich mit anderen dicken Frauen verglichen werden.
Diese Kombination aus eigenen Erfahrungen gepaart mit Humor und Gesellschaftskritik zieht sich durch ihre Arbeit. Sie spricht offen über ihre Erfahrungen als dicke, introvertierte Frau mit Depressionen. Mit ihren Worten zeigt sie klare Kante gegen Sexismus, Rassismus, Gewichts- und andere Formen der Diskriminierung und für mehr Gleichberechtigung. Berühmt sind ihre zynisch trockenen Tweets, durch die sie von Jan Böhmermann entdeckt wurde. Seht selbst:
Thema Termine bei Fachärzt*innen als Kassenpatientin: Ich trainiere inzwischen Schwimmen für Olympia, damit 1 Hautärzt*in mich im TV sieht und meine Muttermale auf gutartig/bösartig checkt, ich denke so klappt’s am schnellsten
— Giulia Becker (@hashcrap) March 25, 2022
Ihren satirischen, trockenen Humor sowie ihre Fähigkeit Menschen zu beobachten und zu beschreiben – verwoben mit einer Portion Gesellschaftskritik – könnt ihr sehr gut in diesem Twitter-Thread „Northface-Schuhe als Personen“ nachlesen.
Sebastian aka ‚Sebbo‘, 32, surft Mo-Fr Vollzeit die Eisbachwelle, schafft es zeitlich kaum sich um sein ‚Baby‘ zu kümmern (Prototyp für portable Boulderwand aus Polymer-Carbonfaser), war 2014 Tourfotograf bei Moop Mama weil er den Posaunen-Michi noch vom Craftbeer-Tasting kennt pic.twitter.com/d5s657G6UO
— Giulia Becker (@hashcrap) January 17, 2022
Der Podcast aus der Komfortzone
„Wir hoffen, es geht euch gut, und wenn nicht, ist auch okay.“ So begrüßen uns die Comedy-Autor*innen Giulia Becker und Chris Sommer in ihrem Podcast „DRINNIES – Der Podcast aus der Komfortzone“. Seit Ende 2020 gibt es fast jeden Dienstag eine neue Folge auf allen üblichen Plattformen. Im letzten Jahr gewannen Giulia Becker und Chris Sommer dafür den Deutschen Podcast Preis in der Kategorie „Bestes Talk-Team“.
Der auf dem Dachboden der beiden aufgenommene Comedy-Podcast ist ein echter Wohlfühlpodcast – wie der Name schon sagt vor allem für Drinnies, also für Menschen, die gerne zuhause sind, die introvertiert und gerne alleine sind. Diesen Menschen gibt DRINNIES das Gefühl, damit nicht allein zu sein. Bei DRINNIES fühlt mensch sich so gut aufgehoben und verstanden wie bei der besten Freund*in. Giulia Becker und Chris Sommer reden dabei über alles, was im Drinnie-Leben wichtig ist.
In der Rubik „Drinsider – Scharf nachgefragt“ werden Fragen der beiden Hauptdrinnies oder der Zuhörer*innen geklärt, die für das Überleben als Drinnie wichtig sind. Beim „Introvertip“ gibt es Tipps und Tricks, die uns Drinnies das Leben erleichtern, zum Beispiel mit welcher Ausrede man Telefonate beginnt, um sie schnell wieder beenden zu können. In der Rubrik „Snack der Woche“ präsentieren uns die beiden ihre aktuellen Lieblingssnacks. In welchem Podcast wird uns sonst noch die Geschichte der Casali-Schokobananen vorgetragen?
Was es bei Giulia Becker und Chris Sommer nicht gibt: Selbstverbesserungsideen, Abnehm-Tipps oder Ratschläge zur Produktivitätssteigerung. Dafür viel Humor und Akzeptanz für das Leben mit allen Gefühlen, die dazu gehören. Für alle, für die sich die Welt etwas zu schnell dreht, die wissen wie sich Sozialkater anfühlt, die sich nicht optimieren möchten, bietet der Podcast eine Oase der Ruhe und Akzeptanz im hektischen Alltag.
Zwischendurch erzählen die beiden sehr offen ihre ganz persönlichen Drinnie-Stories: von der Angst vor einem Telefonat bis zu peinlichen Handwerker*innenbegegnungen. Immer mit viel Wärme und Humor. Es geht darum, was andere Leute über einen denken könnten, um vegane Pombären, um die Frage, ob Tiere Schamgefühle haben. Welche Sportart Giulia Becker ausüben würde, wenn sie bei den Olympischen Winterspielen mitmachen müsste? Es geht um durch Obst inspirierte Kindernamen, um das Gefühl am Sonntagabend, wenn man Montag wieder arbeiten muss, und die Smalltalk-WarnApp. Beide Podcaster*innen sind exzellente Beobachter*innen alltäglicher und weniger alltäglicher Situationen und unterhaltsame, wahnsinnig witzige Geschichtenerzähler*innen. Auch ernsten Themen, die keineswegs ausgespart werden, geben beide mit ihrem Humor eine Leichtigkeit.
Wer die Zeit vergessen, sich einfach amüsieren, sich als introvertierte Person verstanden fühlen will, sollte unbedingt DRINNIES hören.
Was es für Giulia Becker und Chris Sommer bedeutet, introvertiert zu sein, und wie es sich damit in der Medienbranche arbeitet, erfahrt ihr noch genauer im Podcast „Danke, gut.“ mit Miriam Davoudvandi.
Herkunft Lakonien?
Mit ihrer lakonischen Art in ihren Tweets, Texten, Songs und im Podcast erhebt Giulia Becker ihre Stimme für eine bessere Gesellschaft. Wie die Einwohner*innen Lakoniens beschreibt sie Situationen knapp und trocken und bringt gesellschaftliche Ungleichheiten auf den Punkt. Nie tritt sie nach unten. In Interviews und ihrem Podcast ist sie liebenswert und empathisch, aber auch schlagfertig und meinungsstark. FLINTA* der Woche ist sie für mich aber vor allem für das Gefühl, das sie ihren Hörer*innen und Leser*innen vermittelt, nämlich das Gefühl als introvertierte Person genau richtig, und damit überhaupt nicht allein zu sein.
Susann, ein Drinnie
Glenys meint
Super Artikel!