Josefine Weiß, 23 Jahre und Biologie-Studentin im Master, war dieses Jahr in der Arktis. Mit dem Forschungsschiff Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), ein großes Forschungsinstitut mit Sitz in Bremerhaven, war sie knapp zwei Monate unterwegs, um mit circa 45 anderen Wissenschaftler*innen die Auswirkungen des Klimawandels auf das arktische Ökosystem zu untersuchen.
Hey, Fine! Ich habe dich ja aus einem ganz bestimmten Grund eingeladen: du warst durch das AWI auf einer Polarstern-Expedition dabei. Wie bist du dazu gekommen?
Ich habe in Bonn meinen Bachelor in Biologie gemacht, und habe schnell gemerkt, dass ich mich in vielen Themenbereichen eigentlich sehr wohlfühle, aber mir hat so dieses große ganze Bild gefehlt. Ich habe dann nach einem Bereich gesucht, wo viele Dinge aus der Biologie vereint werden und das war in meinem Fall dann die Meeresbiologie, aber vor allem die Meeresökologie.
Dann habe ich das AWI gefunden und habe mich eigentlich auf eine Bachelor-/Masterarbeitsstelle beworben, und eine Woche später meldete sich Franziska Pausch, die am AWI ihre Doktorarbeit schreibt und fragte mich, ob ich interessiert wäre, an ihrem Projekt mitzuarbeiten in Form eines Praktikums oder einer Bachelorarbeit.
Ein halbes Jahr später war ich dann für vier Monate beim AWI und habe da meine Bachelorarbeit geschrieben. Und das war super cool, weil es eine Arbeitsgruppe bestehend aus ausschließlich Frauen war. Und das hat mir damals schon viel Mut gegeben und mich auch sehr bei der Entscheidung unterstützt, weil ich dachte, okay, wenn ich irgendwas nicht kann, kann ich das ansprechen. Ich weiß nicht, ob ich mir was anderes gedacht hätte, wenn da ein Mann mit in der Arbeitsgruppe gewesen wäre.
Und zwei Jahre später bist du mit dem AWI auf der Polarstern mitgefahren. In die Arktis.
Richtig. Eigentlich sollte ich 2020 schon mitfahren, da wurde ich gefragt, ob ich interessiert daran wäre. Um auch mal mitzubekommen, was vor dem Labor passiert, also wie man Proben sammelt und die filtriert. Wegen Corona hatte sich das aber alles ein wenig verzögert und mir wurde gesagt, wenn das nächste Mal ein Platz frei wäre, ich nochmal gefragt würde. Und ein Jahr später durfte ich dann auf der Polarstern mitfahren.
Wie kann man sich so den Alltag vorstellen? Beziehungsweise wie war dein Alltag auf der Polarstern?
Es kommt ganz drauf an, was für Experimente man an Bord macht und mit welchem Gerät man arbeitet und wie viele Daten man theoretisch sammeln möchte. Allgemein ist es auf jeden Fall schwierig zu sagen. Aber dadurch, dass niemand auf dem Schiff einen Alltag hat, ist es wieder okay. Alle arbeiten mal nachts, mal tags, mal zehn Stunden, mal zwei Stunden. Manchmal hatte man zwei Tage gar nichts zu tun, und dann wieder zwei Tage extrem viel.
Man ist super abhängig von Wetterverhältnissen, man ist sehr abhängig davon, ob ein Gerät funktioniert oder nicht. Wir arbeiten teilweise mit hochkomplexen Geräten, die auch mal nicht so funktionieren, wie man das gerne hätte. Man muss einfach sehr flexibel bleiben und auch damit rechnen, dass man in drei Wochen sehr viel zu unregelmäßigen Arbeitszeiten arbeitet. Durch die permanente Helligkeit ist das aber gar nicht so schlimm, weil man gar nicht mitbekommt, ob es Nacht oder Tag ist.
Was ist das für ein Gefühl, in der Arktis zu sein?
Spannende Frage. Mit jeder Woche, die verstreicht, kann man sich weniger gut daran zurückerinnern, weil es irgendwie ein sehr abgedrehtes Gefühl ist. Man weiß, man ist umgeben von reiner Natur, in arktischen Gewässern, wo man auch nicht permanent einem anderen Schiff begegnen würde. Man ist mit der Natur mehr im Einklang, auch wenn das auf so einem riesigen, technisch ausgestatteten Schiff, was an sich nichts mit Natur zu tun hat, bescheuert klingt. Aber man ist der Natur viel mehr ausgesetzt. Du kannst bei Wind nicht einfach reingehen, um ihn nicht mehr mitzukriegen, sondern hast dann einfach sehr starken Wellengang, den du überall spürst. Man ist so weit weg von der Zivilisation und so der Natur ausgeliefert, da bekommt man so ein Gefühl von: Wow, wie klein bin ich eigentlich in dieser Welt.
Was auch aufregend war, dass wir Eisbären mit Babys gesehen haben und ein Walross, und dann natürlich, was extrem besonders war, waren die Bilder vom OFOBS (Ocean Floor Observing Bathymetry System). Damit wird versucht, den Meeresboden zu kartografieren, also wo Erhöhungen oder Schluchten sind. Das ist zum Teil, um das Ökosystem von den Tieren auf dem Meeresboden zu dokumentieren, aber auch, um die Makroplastik-Verschmutzung auf dem Meeresboden zu beobachten. Und es war super besonders, diese ganzen Tiefsee-Lebewesen zu sehen. Das würde man einfach nicht denken, dass sich so viele Tiere an diese extremen Lebensbedingungen angepasst haben.
Du hattest in einem anderen Gespräch erwähnt, dass es bemerkenswert sei, die Arktis jetzt nochmal sehen zu dürfen, weil sie in ein paar Jahren ganz anders aussehen wird, beziehungsweise extrem geschrumpft sein wird.
Es war jetzt ja gerade die Bundespressekonferenz mit Markus Rex, dem Expeditionsleiter von der MOSAiC-Expedition, und da wurde unter anderem berichtet, dass sehr wahrscheinlich im Sommer 2035 keine Eisbedeckung in der Arktis mehr sein wird. Und wenn man gerade da war, kann man sich das nicht vorstellen. Aber von anderen Wissenschaftler*innen, die schon öfter mal in der Arktis waren, kriegt man zum Beispiel mit, dass es hier vor zehn Jahren auch anders aussah.
Und man bekommt ja jetzt schon mit, wie viele Staaten sich um diesen arktischen Lebensraum streiten wegen der Öl-Vorkommnisse, und wegen der Schifffahrtswege, die durch das Eis natürlich freigelegt werden. Einerseits Klimaschutz ja, weil dadurch auch der Schutz der Menschheit gewährleistet wird, andererseits wirtschaftliche Interessen. Es wird auf jeden Fall noch ein langer Prozess, die Arktis als Klima- oder Naturschutzgebiet einzuordnen.
Das AWI ist ja schon ein Betrieb, in dem viele Frauen arbeiten. Hast du auf der Polarstern etwas davon gemerkt, dass immer mehr Frauen in der Wissenschaft aktiver werden und auch in der Naturwissenschaft immer mehr dabei sind?
Auf jeden Fall. Es gab keine einzige Arbeitsgruppe, wo keine Frau dabei war. Man merkt schon, dass es immer ausgeglichener wird, weil erstens Frauen natürlich genauso qualifiziert sind, aber es waren auch sehr viele Biolog*innen dabei. Und die Biologie ist an sich eher ein gender-gemischtes naturwissenschaftliches Feld. Wenn man sich die Physiker*innen-Bubble oder mal in der Geologie guckt, ist das vielleicht nochmal ein bisschen anders. Das sind weiterhin Bereiche, in denen Männer eher dominieren. Und die Biologie ist da vielleicht ein bisschen frauenfreundlicher.
Wie war es, wieder zuhause anzukommen?
Komisch. Man hat ja eine relativ lange Vorbereitungszeit, weil es ab dem Moment, an dem man im Hafen ankommt und schon Familie und Freund*innen sieht, so drei Stunden dauert, bis man von Bord gehen kann. Mich hat aber am meisten geschockt, wie überwältigend es war, wieder grüne Farbtöne zu sehen. Einen Baum zu sehen. Deine Augen sind da einfach nicht mehr dran gewöhnt, du hast diese permanente extreme Helligkeit und nur weiß.
Und das Ankommen an sich dauert schon ein Weilchen, das wurde natürlich auch durch Corona erschwert. Wir mussten vor der Fahrt in Quarantäne, als noch fast überall Lockdown war. Dann sind wir wiedergekommen und man durfte auf einmal fast alles. Das war kurz schwierig. Alleine auf dem Schiff war man fast wie im Lockdown. Aber auch dieses Rausgehen und nicht mehr jeden Tag was Besonderes sehen oder erleben; man merkt schon, dass einem so ein bisschen das Abenteuer fehlt. Und das beschreiben viele Forscher*innen vom AWI als Polarfieber: man hat zwar das Gefühl, es war anstrengend, aber man will wieder zurück aufs Schiff.
Und wie geht’s jetzt weiter?
Schwierig. Ich studiere ja in Bonn im Master OEP (Organismic Biology, Evolutionary Biology and Palaeobiology). Ich würde schon gerne in dem Marine-Bereich bleiben, aber mit der Möglichkeit, nicht nur marin zu arbeiten. Also genau das, was ich im Bachelor in der Meeresbiologie gesehen habe, dieses große Ganze, fände ich jetzt in einer interdisziplinären Master-Arbeit oder Doktor-Arbeit schön. Also nicht nur klassisch Biologie, sondern fachübergreifend, wie Geologie oder Paleo-Biologie. Und bei der Arbeitsgruppe von Ulrike Herzschuh beim AWI in Potsdam, mit der Leiterin des Paleo-Labors Kathleen Stoof-Leichsenring, hätte ich die Möglichkeit, meine Masterarbeit zu schreiben über Proben vom anderen Pol, also der Antarktis.
Hieße das dann für dich, dass du dieses Mal in die Antarktis fahren würdest?
Joa, diese Frage, wer da jetzt mitfahren darf, wird noch entschieden. Ich habe das Angebot bekommen, weiß aber nicht, ob das wirklich so passieren wird. Das ist auch das Nervige an der Wissenschaft. Es ist vollkommen egal, was man erreicht hat, es ist vollkommen egal, wie lang oder besonders der Lebenslauf ist, man muss sich immer wieder aufs Neue durchsetzen oder sich immer wieder hinterfragen, ob man vielleicht nicht qualifiziert genug ist. Da wird aussortiert, wer es wirklich machen will und wer nicht. Es gibt sehr viele, die das komplett durchziehen, aber es gibt auch sehr viele Möglichkeiten, auf diesem langen Weg nach rechts oder links abzubiegen. Das macht es allerdings auch angenehmer, weil man weiß, dass man immer eine Möglichkeit hat. Trotzdem ist man immer ein bisschen abhängig von den Entscheidungen von anderen. Das ist auch das Traurige wie in jedem anderen beruflichen Zweig, wie viel man als Frau leisten muss, um die gleiche Stelle zu bekommen wie ein Mann, der weniger qualifiziert ist.
Merkst du das auch innerhalb des Studiums?
Vor allem beim Studium im Master merkt man, wer für welche Dinge eher genommen wird, wer wird in Seminaren bevorzugt, wo gibt es vielleicht auch Probleme mit Professoren. Das ist immer noch ein großes Thema. Und das ist schade, denn jetzt in meinem Master sind 65 bis 70 Prozent Frauen, also eigentlich deutlich mehr Frauen, und wenn du die verprellst, wer bleibt dann noch? Gerade um die Fragen der Zukunft zu klären, um zukünftige Forschungen anzutreiben, zum Beispiel im Bereich Klimawandel, ist es wichtig, dass man den Leuten die Chancen nicht wegnimmt. Und es geht mir nicht um die Quote, sondern vor allem, wem gebe ich denn danach die Chance? Wem vermittele ich Kontakte? Wem gebe ich ein Empfehlungsschreiben mit? Das ist noch immer ein großes Problem.
Was würdest du anderen Wissenschaftler*innen raten, um sich von der Männer-Domäne nicht einschüchtern zu lassen?
Ich finde es wichtig, jungen Frauen nicht zu früh zu viel Angst zu machen in die Wissenschaft zu gehen. Wir sind an einem Punkt, an dem sich auch viel verändert und besser wird, und diese klassische Angstmacherei von: „Du kannst aber dann keine (gute) Mutter sein, wenn du in der Forschung bist, weil Forschung ein Full-Time-Job ist.“ stimmt nicht. Man muss einen Weg für sich finden, diese Vorstellungen beiseite zu schieben, wie eine Wissenschaftlerin, Forscherin, Entdeckerin sein sollte. Man muss mehr darauf gucken, wie möchte ich sein, was für einen Platz möchte ich in der Forschung einnehmen. Wenn du als Frau in die Wissenschaft gehst, dann bist du eben mal für drei Monate weg. Das kann für manche Familien schwierig sein, muss es aber nicht. Man kann als Frau in der Forschung richtig tolle Sachen machen und es ist nicht so, als würden da nur Männer stehen, die einem Steine in den Weg legen. Es gibt immer mehr Frauen in den Senior Researcher Positionen, die sehr viele Chancen vergeben und wissen, wie schwer es sein kann. Und es ist weitaus einfacher, den Einstieg zu finden, wenn man viel mit Frauen arbeitet. Bei mir war es ja auch so, eine Frau hat mich gefragt, ob ich mit in die Arktis kommen will, die Bachelorarbeit bei drei Frauen geschrieben und jetzt arbeite ich an einer Publikation mit einer weiteren Frau. Ich bin den Frauen in der Wissenschaft sehr dankbar für die Chancen, die sie vergeben und hätte es ohne diesen Zusammenhalt nicht unbedingt so weit geschafft.
Interview von Anne Preuß
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