Als heutige FLINTA* der Woche wird Lili Elbe, eine dänische Künstlerin, vorgestellt, auf die ich (und bestimmt auch viele andere) stieß, als ich den Film „The Danish Girl“ (2015, Tom Hooper) schaute.
Lili und Gerda
Lili Elbe, geboren am 28. Dezember 1881 in Dänemark unter dem Namen Einar Magnus Andreas Wegener, war eine der ersten Personen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog. Sie studierte mit 19 Jahren an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen und lernte dort ihre Frau Gerda Gottlieb kennen. Die beiden heirateten kurz darauf und gingen gemeinsam ihrer jeweiligen Malerei nach. Doch Kopenhagen war den beiden zu klein und sie fühlten sich in ihrer Entfaltung eingeengt, denn Lili lebte zu dem Zeitpunkt noch unter ihrem Geburtsnamen. Sie saß zwar oft in Frauenkleidern für Gerda Modell und trat immer öfter als „Einars Schwester“ in der Öffentlichkeit auf, doch ganz akzeptiert wurde sie außerhalb der Künstler*innenszene nicht.
Freiheit in Paris
Als die beiden in Paris lebten, begann Gerda ihre lesbische Sexualität frei auszuleben und Lili fand sich mehr und mehr in ihrer weiblichen Identität wieder. Bald wurde aus dem Rollenspiel, was die beiden zuvor spielten, eine Verwandlung von der einen in die andere Person. Lili Elbe wollte nur noch Lili Elbe sein und beschloss 1930, die körperliche Anpassung an ihr gelebtes Geschlecht von einem Arzt durchführen zu lassen. In Berlin leitete nämlich Magnus Hirschfeld das Institut für Sexualwissenschaft. Er engagierte sich für die Legalisierung von Liebesbeziehungen zwischen Männern und unterstützte Menschen, die sich nicht mit dem von ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts identifizierten. Mit medizinischen Gutachten, die er diesen Personen ausstellte, schützte er sie vor Problemen mit der Polizei.
Experimentelle Medizin
Die genauen Details über die Behandlungsmethoden und Operationen von Lili Elbe sind nicht vollständig bekannt. Vermutlich wurde aber zunächst eine Orchiektomie (Kastration) durchgeführt, wonach sich Lilis Stimme bereits veränderte und ihre Gesichtszüge, den verwunderten Erzählungen nach, nach wenigen Tagen weicher wurden. Einige Monate später wurden in Dresden drei weitere geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit Ovarien transplantiert wurden. Dabei entdeckten die Ärzt*innen unterentwickelte Ovarien, womit Lili nach heutiger Definition als inter* gelten würde. Dass Lili Elbe diese Operationen so gut überstand und sich einige Monate später wieder komplett erholte, ist nicht selbstverständlich. Der Stand der Medizin zu Transplantationen und vor allem geschlechtsangleichenden Operationen reichte eigentlich noch nicht aus, um diese Operationen wirklich sicher durchführen zu können.
Der letzte Wunsch
König Christian X von Dänemark annullierte nach der Operation die Ehe zwischen Gerda und Einar Wegener, weil lesbische Ehen zu dem Zeitpunkt noch rechtswidrig waren und Lili Elbe bekam einen neuen Pass mit ihrem Namen und Geschlecht. Ein Jahr nach der letzten Operation wandte sich Lili erneut an die Ärzt*innen: sie hatte den großen Wunsch, Mutter werden zu können. Auch wenn die etwas skeptisch waren, wagten sie wahrscheinlich den Versuch, ihr eine Gebärmutter zu transplantieren, die Aufzeichnungen darüber sind nicht ganz ersichtlich. Vier Monate später starb Lili Elbe am 12. September 1931 vermutlich an den Folgen der Operation. Einige ihrer letzten Worte aus einem Brief waren:
„…Jetzt weiß ich, dass der Tod kommt…ich habe heute Nacht von Mutter geträumt…sie nahm mich in ihre Arme…sie sagte Lili zu mir….und Vater war auch dabei…“
“The Danish Girl”
Lili Elbe schrieb selbst eine Autobiographie, „Fra mandt til kvinde“ (Vom Mann zur Frau), welche 1931 in Dänemark veröffentlicht wurde. David Ebershoff basierte darauf seinen 2000 erschienenen Roman „The Danish Girl“, welcher wiederum 2015 von Tom Hooper verfilmt wurde. Der vielfach ausgezeichnete Film mit Eddie Redmayne als Lili Elbe und Alicia Vikander als Gerda Gottlieb weicht allerdings etwas von der wahren Geschichte ab. Im Film steht Gerda ihrer Frau bis zum Ende ihres Lebens zur Seite, während die beiden sich eigentlich vorher trennten. Sowohl die Annullierung der Ehe als auch die lesbische Orientierung von Gerda wurde im Film nicht thematisiert, viel mehr spielt sie hier die selbstlose Ehefrau. Hier wurde auch kritisiert, dass auf die Dinge verzichtet wurden, die der Geschichte wehtun könnten, zum Beispiel die erschreckend primitiven operativen Möglichkeiten.
Schön war aber, dass die Beziehung zwischen beiden Protagonistinnen so liebevoll und undramatisch gezeichnet wird. Als Gerda mehr und mehr über Lilis Gedankenwelt und ihren Wunsch, als Frau zu leben, erfährt, unterstützt sie sie mit allen Kräften. Trotzdem werden auch die Probleme, die damit in ihrer Beziehung einhergehen, in den Fokus gesetzt, zum Beispiel wie das Sexleben nachlässt oder Gerda sich manchmal ihren Mann „Einar“ zurückwünscht.
Anmerken könnte man auch noch, dass die Rolle der Lili Elbe nicht von einer trans Frau gespielt wurde, sondern von einem cis-Mann.
Pionierin Lili Elbe
Lili Elbe gilt als Pionierin in der Transgender-Geschichte. In ihren Texten, Briefen und Tagebucheinträgen, mit denen sie ihre Gedanken und ihre Gefühlswelt beschreibt, können sich viele Menschen in ähnlichen Situationen wiederfinden. Mit einem dieser Auszüge möchte ich gerne dieses kleine Porträt über sie schließen:
„Ich kämpfe gegen die Voreingenommenheit des Spießbürgers, der in mir ein Phänomen, eine Abnormität sucht. Wie ich jetzt bin, so bin ich eine ganz gewöhnliche Frau.“
Anne Preuß
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