“Afrofuturistin, promovierte Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin, Regisseurin, Kuratorin, Autorin und Mutter” – So beschreibt sich die Aktivistin Prof. Dr. Natasha A. Kelly auf ihrem Instagram Profil. Die vielseitige Frau setzt sich mit ihren Kunstausstellungen für den intersektionalen Feminismus ein und kämpft gegen die sexistische und rassistische Darstellung von Schwarzen Frauen. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass auch Frauen in der Wissenschaft Erfolg haben können. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem der Postkolonialismus und Feminismus. Die Wissenschaftlerin erforscht die afrodeutsche Geschichte und sagt, dass diese nicht auf den Rassismus reduziert werden solle. Sie ist eine wichtige Stimme gegen den Anti-Schwarzen Rassismus, den Schwarze Menschen erfahren.
Leben und Werdegang
Prof. Dr. Natasha A. Kelly ist 1973 in London geboren. Sie ist in Deutschland aufgewachsen und hat nach einer Ausbildung angefangen Kommunikationswissenschaften, Soziologie und englische Philologie in Münster zu studieren. Im Jahr 2005 hat sie ihr Magisterstudium abgeschlossen. Sie ist promovierte Soziologin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie trägt einen wichtigen Teil zur Forschung der afrodeutschen Geschichte bei. In den Jahren 2010-2013 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien tätig. Zudem ist sie Autorin. Außerdem hat Prof. Dr. Natasha A. Kelly im Jahr 2021 den Preis “Frauenringsfrau 2021” des Deutschen Frauenring e.V. erhalten. Jährlich wird dieser Preis an eine Frau verliehen, die sich für Frauenrechte und Gleichberechtigung einsetzt.
Antirassistische und feministische Werke
Die Abschlussarbeit, mit der sie ihr Magisterstudium abgeschlossen hat, trägt den Titel: „Afroism. Zur Situation einer ethnischen Minderheit in Deutschland.“ (vdm Verlag, Saarbrücken, 2008). Mit diesem und anderen Werken, wie zum Beispiel dem Sammelwerk Sisters and Souls. Inspirationen von May Ayim. (Orlanda Frauenverlag, Berlin, 2015), macht sie auf Schwarze Menschen, die in Deutschland leben, aufmerksam. Das Sammelwerk Sisters and Souls. Inspirationen von May Ayim. ist der deutschen Dichterin, Pädagogin und Aktivistin namens May Ayim gewidmet. Diese hat sich für die afrodeutsche Bewegung eingesetzt. In dem Werk zeigen verschiedene Schwarze Autorinnen, wie sie durch May Ayim inspiriert wurden. Die erste Ausgabe dieses Sammelwerkes ist am 20. Todestag von May Ayim veröffentlicht worden und die 2. Ausgabe am 25. Todestag.
Im Jahr 2016 ist ihre Dissertation erschienen. Diese trägt den Titel “Afrokultur. der raum zwischen gestern und morgen” (Unrast Verlag, Münster, 2016). In ihrem Werk führt sie die Schwarze Geschichte fort, die bereits die Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, wie beispielsweise W.E.B. Du Bois, Audre Lorde und May Ayim angefangen haben. Somit handelt es sich dabei um die Analyse vergangener Schwarzer Wissensreproduktion, die an einen aktuellen politischen Diskurs angeschlossen werden. Dabei geht es vor allem um den Begriff der “Rasse” und die immer noch andauernden Auswirkungen des Kolonialismus in Deutschland. Das Buch vermittelt, dass die “Afrokultur” ein Bestandteil der Wissenschaft sein sollte, da es häufig so ist, dass die Wissenschaft lediglich aus einer weißen Perspektive vorhanden ist.
Außerdem ist Prof. Dr. Natasha A Kelly die Herausgeberin eines Sammelwerkes, das dem Schwarzen Feminismus gewidmet wurde. Dieses Buch trägt den Titel “Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte.” (Unrast Verlag, Münster, 2019). Dieses Sammelwerk beinhaltet mehrere Grundlagentexte des Schwarzen Feminismus. Diese erscheinen dort das erste Mal in der deutschen Sprache. Bekannte und wichtige Schwarze Frauen, die den Schwarzen Feminismus und die Intersektionalität geprägt haben, werden in diesem Sammelwerk thematisiert. So geht es unter anderem um Sojourner Truth. Die befreite Sklavin hat erstmals auf die Situation der Schwarzen Frau aufmerksam gemacht und weiße Frauenrechtlerinnen dafür kritisiert, dass sich diese nicht für die Situation der Schwarzen Frauen einsetzen. Außerdem beinhaltet das Werk Texte von Audre Lorde, eine lesbische und Schwarze Frau, die sich für die Entstehung einer afrodeutschen Frauenbewegung einsetzte und Kimberlé Crenshaw, die den Begriff der Intersektionalität das erste Mal verwendet hat.
2018 erschien ihr Dokumentarfilm Millis Erwachen, für den sie sogar den Black Laurel Film Award erhalten hat. Das Werk Millis Erwachen. Schwarze Frauen, Kunst und Widerstand. (Orlanda Frauenverlag, Berlin, 2018) ist das Buch zu dem Film. Der Filmtitel geht auf das Gemälde “schlafende Milli” von Ernst Ludwig Kirchner zurück. In ihrem Film kommen verschiedene Schwarze Frauen vor und es geht darum, dass Frauen als Subjekt angesehen werden sollen. Die Frauen werden somit nicht als Objekte portraitiert, sondern als Subjekte, die selbst Künstlerinnen sind.
Epistemische Gewalt
Epistemische Gewalt bedeutet, dass das Wissen nur einseitig vorhanden ist. Dabei wird Wissen gewaltsam durchgesetzt, sodass nur eine Perspektive des Wissens akzeptiert wird. Folglich führt das zu einer Hierarchie des Wissens. Das bedeutet im Zusammenhang mit dem Anti-Schwarzen Rassismus, dass das Wissen weißer Menschen dominanter und überlegender ist. Somit wird das Wissen Schwarzer Menschen demgegenüber untergeordnet.
In ihrem im April 2021 erschienenen Werk “Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!” (Atrium Verlag) thematisiert sie die Situation der Universitäten im Bezug auf den Rassismus. Sie beschreibt den institutionellen Rassismus, der in der Gesellschaft vorhanden ist. Mit ihrem Werk fordert sie, dass nicht nur die Handlungen des Anti-Schwarzen Rassismus gesehen werden müssen. Das strukturelle Problem des Rassismus muss nämlich bekämpft werden. Sie stellt die These auf, es gäbe eine Ideologie hinter dem Rassismus. Diese Ideologie vergleicht sie während eines Interviews beim ZDF mit dem Patriarchat. Denn der Sexismus, der durch hetero cis Männer entsteht, sei die Handlung einer Ideologie, die in dem Fall das Patriarchat sei. Aus einer Ideologie resultieren dann negative Handlungen. Der Anti-Schwarze Rassismus sei somit die Ideologie, die hinter den rassistischen Handlungen stünde. Diese Ideologie muss wissenschaftlich untersucht werden. In einem Interview, welches sie bei der Zeit (Mai 2021) gegeben hat, macht sie auf genau dieses Problem aufmerksam – denn auch aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Erforschung des Rassismus in Deutschland, ist dieser ebenso an den Hochschulen vorzufinden.
“Es gibt kaum Studien über Rassismus in Deutschland. Dabei bräuchte es sie, um Rassismus wirksam zu bekämpfen, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly.” (Zeit)
Mittlerweile gibt es den sogenannten Afrozensus. Dabei handelt es sich um eine Befragung Schwarzer Menschen in Deutschland. Die Lebensrealitäten der Schwarzen Menschen werden dadurch kenntlich gemacht. Somit gibt es langsam erste Studien im Bereich Anti-Schwarzen Rassismus. Um den Rassismus zu behandeln, ist es somit notwendig, diesen wissenschaftlich zu erforschen, um die Problematik folglich aufzudecken. Mit ihrem ins Leben gerufenem Werk “Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!” (2021, Atrium Verlag) habe sie zudem die Forderung aufgestellt, dass Universitäten über einen Studiengang verfügen sollten, der die Schwarze Geschichte behandelt. Denn aktuell ist es an den Universitäten so, dass hauptsächlich Texte weißer Autor*innen gelesen werden und Schwarze Autor*innen lediglich durch weiße Autor*innen benannt werden – und genau das sei die epistemische Gewalt, so sagt es Natasha A. Kelly in dem Interview.
“Das ist eine Form von Gewalt, weil Schwarze Personen auf diese Weise objektifiziert werden. Es gibt in der Theorie einen Begriff dafür: epistemische Gewalt, also Gewalt, die durch einseitiges Wissen oder einseitige Wissenschaft ausgeübt wird.” (Natasha A. Kelly, Zeit Interview)
Somit kann der Rassismus an Universitäten nur dadurch bekämpft werden, dass Schwarze Autor*innen eine Stimme bekommen und nicht nur nebenbei und über weiße Autor*innen erwähnt werden. Die Geschichte und die damit verbundenen Lebenserfahrungen von Schwarzen Menschen müssen somit in das Zentrum des Geschehens gesetzt werden.
Kunst und Kultur
Vom 27.04.2022 bis zum 30.04.2023 ist Prof. Dr. Natasha A. Kellys Ausstellung in Bremen. Am 26.04.2022 war die Ausstellungseröffnung. Die Ausstellung findet in der Kunsthalle Bremen in der sogenannten Sammlungsausstellung “Remix” statt. Sie trägt den Titel “Wer war Milli? Eine Intervention von Natasha A. Kelly”. Dabei setzt sie sich in dieser Intervention mit dem Gemälde “schlafende Milli” von Ernst Ludwig Kirchner auseinander, das im Jahr 1911 entstanden ist. Auf dem Gemälde ist eine Schwarze, nackte Frau portraitiert. Dieses Gemälde ist in der Kunsthalle in Bremen vorzufinden. In ihrer Intervention geht es um Milli, aber auch um andere Personen, die von Kirchner dargestellt wurden. Prof. Dr. Natasha A Kelly hat sich auf die Suche danach begeben, zu erforschen, wer die Schwarzen Modelle sind, die von den sogenannten Brücke-Künstlern portraitiert wurden. Die Brücke-Künstler gelten als eine Künstlergruppe des Expressionismus. Einer der Gründer dieser Künstlergruppe war Ernst Ludwig Kirchner, der die “schlafende Milli” portraitierte. Das besondere daran ist nämlich, dass Kirchner selbst nie in die Kolonien verreiste. Er sah die Schwarzen Frauen, die auf seinen Werken abgebildet sind also alle im deutschen Kaiserreich. Prof. Dr. Natasha Kelly setzt sich auch mit der Frage auseinander, woher der Name “Milli” kommt und ob es sich dabei überhaupt um den echten Namen der abgebildeten Frau handle.
Schwarze Frauen sind handelnde Subjekte
Hauptbestandteil ihrer Arbeit ist es auf die Klischees aufmerksam zu machen, denen sich bedient worden ist. Dabei werden Schwarze Frauen als Objekte und erotisiert dargestellt. Häufig werden Schwarze Menschen stigmatisierend porträtiert und Prof. Dr. Natasha A. Kelly macht genau auf dieses Problem aufmerksam. Sie kritisiert, dass Schwarze Frauen lediglich als ein Objekt der Kunst angesehen werden und dabei vergessen wird, dass diese als Subjekte ihres eigenen Lebens angesehen werden sollen. Schwarze Frauen können selbst Kunst machen und sind Künstlerinnen. Die Geschichte und die Lebensrealitäten der Schwarzen Frauen sollte also im Vordergrund stehen. Prof. Dr. Natasha A Kelly berichtet in ihrer Intervention von der deutschen Geschichte aus der Perspektive einer Schwarzen Frau. Denn diese wird sonst eben nicht direkt durch Schwarze Frauen erzählt. Sie möchte mit ihrer Arbeit herausfinden wer Milli wirklich ist. Somit verleiht sie der portraitierten Frau Milli eine Daseinsberechtigung, die abseits von einer erotisierten und exotisierten Darstellung ist.
Interview
Ich hatte die Möglichkeit, Prof. Dr. Natasha A Kelly Interviewfragen zu stellen, die sie beantwortet hat.
Was hat Sie dazu bewegt, im künstlerischen Bereich tätig zu sein?
Ein Sprichwort sagt, dass Bilder mehr sagen als 1000 Worte und so ist es auch. Als Lehrende habe ich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte festgestellt, dass es unheimlich schwierig ist, strukturelle Themen wie Rassismus, Sexismus und Intersektionalität ausschließlich auf Grundlage von Theorie zu lehren und habe angefangen, visuelle Praxen in meine Seminare einzubeziehen. Sie sind nicht nur anschaulich, sondern machen auch klar, dass unsere Sehgewohnheiten (wie auch Sprachgewohnheiten) aus dem Kolonialismus in die Gegenwart tradiert worden sind.
Sie haben viele Bücher publiziert. Hatten Sie schon immer eine Leidenschaft für das Schreiben?
Ja, schon als junges Mädchen habe ich Geschichten geschrieben und mich auf diese Weise in fiktionale Welten fernab von meiner sozialen Realität gerettet.
Wie sind Sie zum Feminismus gekommen?
Ich komme aus einer Familie von Schwarzen Frauen, die stark, stolz und in jedem Fall alle feministisch sind, auch wenn sie sich selbst nie als Feministinnen bezeichnen würden. Den Feminismus habe ich sozusagen mit der Muttermilch aufgezogen.
An den Universitäten herrscht der institutionelle Rassismus. Wie ist das an den Schulen? Kann man die Forschungsfelder Race und Gender bereits an den Schulen thematisieren und Schüler*innen darüber aufklären?
Natürlich! Es wäre ein Einfaches Menschenrechtsansätze schon in der Schule einzuführen. Dazu bieten sich unterschiedliche Fächer: Sachkunde, Politik, Geschichte, Deutsch und/oder Fremdsprachen, welcher Art auch immer. Dazu müssen wir aber erst verstehen, dass es sich bei Rassismus wie auch bei jeder anderen Form der Diskriminierung um eine Menschenrechtsverletzung handelt.
Warum ist sie unsere FLINTA* der Woche?
Prof. Dr. Natasha A. Kelly ist eine Frau, die sich mit ihren Werken zu bedeutenden Themen äußert. Sie zeigt, dass Schwarze Frauen in der Wissenschaft tätig sein können und sogar müssen, damit der strukturelle Rassismus überwunden werden kann. Es ist wichtig, dass Schwarze Menschen auch im wissenschaftlichen Kontext zu Wort kommen. Dadurch, dass sie sich für den intersektionalen Feminismus und vor allem für den Schwarzen Feminismus einsetzt, verbreitet sie eine äußerst wichtige Message. Sie gibt der Schwarzen Community eine Stimme und zeigt, dass in Deutschland noch immer Rassismus herrscht. Mit ihrer Arbeit steht sie für Menschen ein, die gesellschaftlich benachteiligt werden. Außerdem klärt sie darüber auf, dass Feminismus nicht weiß sein sollte, denn der Schwarze Feminismus ist äußerst wichtig, um die strukturelle Benachteiligung Schwarzer Flinta* zu bekämpfen. Des Weiteren setzt sich Prof. Dr. Natasha A. Kelly dafür ein, dass Schwarze Menschen nicht immer in einer “Opferrolle” dargestellt werden sollen, sondern als Subjekte, mit einer eigenen Geschichte. Sie kämpft für eine Befreiung der sexistischen und rassistischen Darstellung Schwarzer Frauen in der Gesellschaft. Das verdeutlicht sie auch in ihren Ausstellungen.
Ihre Kunstausstellung in der Kunsthalle Bremen läuft seit dem 27.04.2022 und geht noch bis zum 30.04.2023. Weitere Informationen zu ihrer Kunstausstellung können auf der Website der Kunsthalle Bremen entnommen werden.
Eine weitere Ausstellung von Prof. Dr. Natasha A Kelly läuft momentan (6.05.-16.07.2022) in Osnabrück. Es handelt sich dabei um die Gruppenausstellung “I AM MILLI”, die an ihren Film “Millis Erwachen” (2018) anknüpft. Ebenso gibt es ein Buch zu dieser Ausstellung.
Die Autorin dieses Artikels ist weiß und hat selbst keine Rassismuserfahrungen gemacht.
Maria
Prof. Dr. Natasha A Kelly liest am 15.06.2022 aus ihrem neuesten Buch “Rassismus – Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen” um 18:00 Uhr in der Stadtbibliothek Bremen.
die Redaktion
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