Sutematsu Oyama war Vieles: Eine Gelehrte und Vorreiterin für die Bildung von Mädchen, eine Fremde im eigenen Land, eine Reisende und eine Samuraitochter. Bis heute gilt sie als eine der treibenden Kräfte für die Bildung von Frauen in der japanischen Geschichte. Doch ihre Reise fing in einer japanischen Festung des 19. Jahrhunderts an, in einer Welt voll Tradition, Ehre und Krieg.
Samuraitochter
Sutematsu Oyama wurde etwa 1860 in eine Familie von Samurai geboren. Jedoch war ihr Name zuerst ein anderer. Zu der Zeit war es in Japan noch üblich, dass der Name von Kindern oftmals geändert wurde. Dies geschah, da die Namen bestimmte Charaktereigenschaften oder Versprechen in ihrer Bedeutung reflektieren sollten. Sowie die Kinder größer wurden und sich veränderten, wurde auch ihr Name angepasst. So kam Sutematsu als Sakiko Yamakawa zur Welt.
Als Samurai verteidigte Sakikos Familie den Kaiser Japans und die traditionellen Machthaber. Sakiko wurde damals in eine Welt des Wandels hineingeboren. Der zunehmende Kontakt mit der westlichen Welt, vor allem Europa, hatte die Japanische Wirtschaft destabilisiert. Als Folge hierauf brach ein Bürgerkrieg zwischen verschiedenen politischen Mächten und ihrem Gefolge aus. Mit nur acht Jahren war Sakiko in der Festung von Aizu damit beschäftigt ihrer Familie zu helfen, die als Samurai kämpften. Zusammen mit anderen Frauen und Kindern versorgte sie die Krieger und bereitete die Kanonenkugeln vor. Auch wenn sie es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, stand ihr zukünftiger Ehemann bereits auf der anderen Seite der Festungsmauern und kämpfte an gegnerischer Front. Nach einem Monat des Kampfes verlor Sakikos Seite das Gefecht und sie mussten die Festung aufgeben. So floh ihre Familie auf die nördlichste Insel Japans, Hokkaido.
Reisende
Drei Jahre später, im Alter von elf Jahren, wurde Sakiko als eine von fünf Schülerinnen für ein außergewöhnliches Projekt ausgewählt. Damals waren die diplomatischen Beziehungen von Japan zur Außenwelt noch jung. Die japanische Regierung suchte nach jungen Frauen für einen so noch nie da gewesenen Austausch mit den USA: Japan würde seine vielversprechendsten Schülerinnen in die USA schicken um dort von der fremden Kultur zu lernen und die japanischen Werte weiterzugeben. Dafür würde die US-Amerikanische Regierung ihnen eine höhere Bildung ermöglichen, die ihnen die amerikanischen Lebensart vermitteln würde. Von den fünf Mädchen aus Japan, die 1872 in die USA reisten, war Sakiko eine. Bereits nach kurzer Zeit im neuen Land kehrten die zwei Ältesten der Mädchen aufgrund von Heimweh nach Japan zurück. Sakiko blieb, zusammen mit Shige Nagai und Umeko Tsuda.
Zum Abschied änderte Sakikos Mutter den Vornamen ihrer Tochter. Von da an sollte sie Sutematsu heißen. Der erste Teil des Namens bestand aus dem Zeichen, das „etwas wegwerfen oder weggeben“ bedeutete. Ihre Mutter wollte damit ausdrücken, dass sie sich fühlte, als würde sie ihre Tochter weggeben oder von sich fern werfen. Der zweite Teil des Namens bestand aus dem Symbol für „warten“. Dies bedeutete in Kombination, dass Sutematsus Mutter ihre Tochter weggab, aber immer auf sie warten würde. Mit diesem Versprechen in Form eines Namens trat Sutematsu die lange Reise in die fremde Ferne an.
In den USA wurde Sutematsu von einer Gastfamilie aufgenommen. Sie verstand sich gut mit ihrer Gastschwester, Alice Bacon. Dennoch waren die ersten Jahre nicht leicht, da sie die englische Sprache komplett neu erlernte. Jedoch hinderte das Sutematsu nicht daran, mit ihren Fähigkeiten zu glänzen. In Berichten aus ihrer Zeit in den USA wird sie als beliebt, klug und sportlich beschrieben. Nach ihrem Schulabschluss ging sie auf das Vassar College im Staat New York. Dort wurde sie in ihrem zweiten Jahr als Jahrgangssprecherin gewählt. Sie war eine der Top Absolventinnen ihres Jahrgangs. Sutematsu freute sich darauf mit einem fantastischen Abschluss in das Berufslebens Japans einzusteigen, nach elf Jahren im Ausland.
Fremde im eigenen Land
Leider kam es für Sutematsu anders als erhofft. Mit ihrem Intellekt, ihrem hohen Abschluss und ihren einzigartigen Erfahrungen erhoffte sich Sutematsu eine hohe Position und gute Karrierechancen in ihrem Heimatland. Doch wie überall auf der Welt zum Ende des 19. Jahrhunderts war der Arbeitsmarkt kein freundlicher Ort für Frauen. Die japanische Gesellschaft war hierbei vielleicht sogar noch etwas sexistischer als die deutsche zu dieser Zeit. In vielen Briefen, die Sutematsu in ihrem ersten Jahr zurück in ihrem Geburtsland an ihre Gastschwester, Alice Bacon, schreibt, kommt Sutematsus Frust klar zum Vorschein.
Es gelingt ihr nicht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Dies wird hierdurch erschwert, dass Sutematsus Bildung in der japanischen Sprache nach dem elften Lebensjahr aufhörte, als sie auf ihre Reise aufbrach. Als sie wieder in Japan ankam, gelang es ihr Stück für Stück, sich die gesprochene und gehörte Sprache wieder zu erarbeiten. Ihre Fähigkeiten die japanische Sprache zu lesen und zu schreiben erreichten jedoch niemals den Level, welcher für eine erwachsene Frau ihres Alters angemessen gewesen wäre.
Ein Jahr nachdem sie nach Japan zurückgekehrt war, heiratete sie Iwao Oyama, den damaligen Minister für Verteidigung. Sutematsu nahm seinen Nachnamen an und war von da an bekannt als Sutematsu Oyama. Sie war zum Zeitpunkt der Eheschließung 23 Jahre alt. Ihr Mann war 42 und ein Witwer, der bereits drei Töchter hatte. Die Beiden neckten sich gerne. Iwao Oyama sagte gerne scherzhaft, dass die Schrapnelle, die ihn vor all den Jahren, als er vor der Festung von Aizu kämpfte, traf sicherlich von Sutematsu stammte. Zusammen mit ihm hatte sie drei weitere Kinder.
Gelehrte
In den kommenden Jahren war Sutematsu in vielen Feldern der Gesellschaft aktiv. Als 1904 ein Krieg zwischen Japan und Russland ausbrach, half Sutematsu als freiwillige Krankenschwester für das Rote Kreuz, trotz ihres Status als Ehefrau eines hoch dotierten Politikers. Doch ihre große Passion war die Bildung von japanischen Mädchen und Frauen. Sie war ein Teil des Planungskomitees der Peeresses Schule in Tokyo, einer Mittel- und Oberschule für Mädchen. Später half sie Umeko Tsuda, welche ebenfalls als Teil des Programms mit ihr in die USA gereist war, dabei das Women’s English Institute zu gründen. Dieses würde später in die Tsuda Universität umbenannt werden, einer der heute bekanntesten Universitäten für Frauen in Japan.
Im Februar 1919 starb Sutematsu Oyama an einer Lungenentzündung infolge einer Grippe. Bis heute hinterlässt sie einen bemerkenswerten Lebensweg: Von der Tochter eines Samurais zu einer erfolgreichen Akademikerin in einem fremden Land bis hin zu einer der treibenden Kräfte der Bildung von Mädchen und Frauen in Japan zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es ist ein Weg der geprägt ist von den unglaublichen Dingen, die mit Ehrgeiz und Fleiß zu erreichen sind und von der Frustration durch den Sexismus der eigenen Heimat. Doch Sutematsus Bemühungen ist es unter anderem zu verdanken, dass die Frauen Japans heute freier sind in dem Bildungsweg und der Karriere die sie einschlagen.
Sarah Hamer
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