An der heute bekannten Jurassic Coast in Dorset lebte von 1799 bis 1847 Mary Anning, die erste professionelle Fossiliensammlerin Englands und vielleicht sogar der Welt. Der Küstenabschnitt bei Lyme Regis, ihrem Heimatort, ist aufgrund seiner geologischen Beschaffenheit ideal für die Einlagerung und das Finden von Fossilien. Kleinere Fossilien wie Ammoniten, Belemniten und versteinerte Muscheln konnten nach Stürmen oft einfach eingesammelt werden. Mary Annings Vater sammelte gelegentlich am Strand Fossilien, um sie interessierten Besucher*innen des Ortes zu verkaufen. Gemeinsam mit ihrem Bruder begleitete Mary Anning ihn oft dabei. So entwickelte sie schnell ein sicheres Auge dafür, in welchen Steinen sich Fossilien verbargen. 1810 starb Mary Annings Vater an Tuberkulose und der Verkauf von Fossilien war nun das wichtigste wirtschaftliche Standbein der Familie.
Arbeit in der fossilen Goldgrube Englands
Fast jeden Tag sah man Mary Anning, wie sie mit Hammer und Sammelkorb am Strand auf der Suche nach prähistorischen Lebewesen war. Im Ort galt sie als wunderlich. Wegen ihrer Beharrlichkeit und Großzügigkeit vor allem Kindern gegenüber wurde sie aber auch geschätzt. Der Ruf von Lyme Regis als fossile Goldgrube sprach sich schnell in England herum. Und bald kamen Geologen in den Ort, um die Fossilien zu sehen. Mary Anning verkaufte viele ihrer Funde an Forscher, die diese wiederum beschrieben, in ihre Sammlungen integrierten, oder in Museen unterbrachten. Mary Annings Name war unter den Forschern zwar bekannt, mit einigen stand sie sogar in freundschaftlichem Kontakt. In offiziellen Publikationen aber wurde sie nie erwähnt. Dennoch entdeckte sie durchaus bedeutende Fossilien. Ihr ist der Fund des ersten kompletten Ichthyosaurus zu verdanken, ebenso wie der erste Pterodactylus auf englischem Boden und verschiedene Plesiosaurier-Arten.
Als Pionierin gegen die Widerstände ihrer Zeit
Aus ihren Briefen an Geologen ist erkennbar, dass Mary Anning die versteinerten Überreste nicht nur fand, sondern auch beschreiben und einordnen konnte. Außerdem zog sie Parallelen zur aktuellen Tierwelt, um Entwicklungen nachzuvollziehen. Als sie beispielsweise ein Fossil fand, das ein Forscher für einen ausgestorbenen Rochen hielt, beschaffte Mary Anning einen Rochen, sezierte ihn und bewies, dass es keine Verwandtschaft gab. Den Forscher bewahrte sie damit vor einer Blamage, erwähnt wurde sie für ihre Arbeit trotzdem nicht. Ihren Briefen ist zu entnehmen, dass Mary Anning mit fortschreitendem Alter immer wütender auf Ereignisse wie dieses reagierte. Während sie zu Beginn ihrer Karriere noch bescheiden großen Forschern gegenüber auftrat, fühlte sie sich später zunehmend herabgewürdigt. Nicht selten wurde ihr dieses Verhalten, das ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht angemessen war, zur Last gelegt.
Mary Annings Erbe
Der Zutritt zur Geological Society of London und deren Treffen blieb ihr als Frau immer verwehrt. Immerhin aber bemühte die Gesellschaft sich um Spenden, als Mary Anning mit Mitte 40 an Brustkrebs erkrankte und nicht mehr arbeiten konnte. Das gesammelte Geld reichte für ein bescheidenes Auskommen in ihren letzten Jahren. Nach ihrem Tod nahm der Präsident der Geological Society, Henry Thomas De La Beche, Mary Anning in den Jahresrückblick der Gesellschaft auf und würdigte ihr unvergleichliches Talent. Heute sind verschiedene, vor allem kleinere Fossilien nach ihr benannt. Lyme Regis würdigt sie mit einem Straßennamen. In den letzten Jahren sind zudem viele Museen darum bemüht, die Geschichte ihrer Ausstellungsstücke transparenter zu machen. Und so steht Mary Annings Name nun endlich doch in einigen der großen Häuser neben den Fossilien, die man ihr verdankt.
Marion Rave
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