Betrachtet man die farbenfrohen Figuren, ahnt man kaum, dass das Leben der Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle, bekannt als Niki de Saint Phalle, so düster startet. Doch sie findet ihren Weg, die Kunst sieht sie als ihr unausweichliches Schicksal.
Geboren in einer verarmten Familie, findet sie ihren Reichtum in den Ideen und Farben ihrer Kunstwerke, für die sie heute international bekannt ist.
Niki de Saint Phalle ist in Deutschland insbesondere für ihre „Nana“-Figuren bekannt, die in Hannover am Ufer der Leine aufgestellt sind. Doch hat sie nicht nur hier ihre Spuren hinterlassen. Geboren 1930 in Paris und aufgewachsen in den Vereinigten Staaten, wird sie schon früh mit verschiedenen Kulturen und Sprachen konfrontiert. Später bereist sie Europa und arbeitet in verschiedenen Ländern.
Die Kunst als Wandel ihrer Gefühle
Trotz ihrer streng katholischen Erziehung entscheidet sich Niki de Saint Phalle Ende der 1940er Jahre dazu, als Model für Magazine zu posieren. Mit 18 Jahren heiratet sie den Musiker und Schriftsteller Harry Matthews, mit dem sie zwei Kinder bekommt. Doch geht es ihr zu dieser Zeit psychisch nicht gut. Sie lebt in der Gefahr sich selbst das Leben nehmen zu wollen. Aus dieser Not heraus beginnt sie mit der Kunst. Sie fängt an zu malen. Bald darauf trifft sie den Künstler Jean Tinguely. Sie leben und arbeiten zusammen. 15 Jahre nachdem sie sich kennengelernt haben, heiraten sie. Er gehört der Gruppe von Künstlern „Nouveau Realisme“, dem Neuen Realismus an.
Mit der Wende ihres Lebens kommt es zu einem bedeutenden Schritt in ihrem künstlerischen Werdegang, den sogenannten „Schießbildern“. Sie feuert auf Beutel, aus denen die Farbe schlagartig austritt und sich danach über die von ihr behandelte Fläche, auf geformte Körper und Gesichter, ergießt. Somit ist es zwar die Energie der Künstlerin, die das Bild entstehen lässt, aber der bewusste Akt von Farb- und Formgebung wird ein Stück weit außer Kraft gesetzt. Die Aktion ist mehr als nur Kunst:
„1961 schoss ich gegen Daddy, gegen alle Männer, gegen alle, gegen die Gesellschaft, gegen mich selbst (…)“. (Quelle: Beck, Barbara: Die berühmtesten Frauen der Weltgeschichte)
Als Kind wird sie von ihrem Vater sexuell missbraucht. Ihr Trauma bewältigt sie nun mit Hilfe der Kunst. Ihre Wut und ihre vielen negativen Erfahrungen wird über ihr Schaffen in etwas Buntes und in positive Energie umgewandelt.
Vielfalt, Freiheit und Selbstbewusstsein
Unter dem Motto „Alle Macht den Nanas“ reiht sich die Künstlerin in die entstehende Frauenbewegung ein. Ihre „Nanas“ sind Figuren mit überproportional großen Rundungen. Ihre strahlend bunten Farben vermitteln Vielfalt, Freiheit und Selbstbewusstsein. Wer sie anschaut, übernimmt die Heiterkeit. Mit ihrer 1966 kreierten Figur sorgt sie für allerlei Diskussionen: Die 28 Meter lange, liegende Figur im Stockholmer Moderna Museet kann durch ihre Vagina betreten werden. Das Werk mit dem Namen „Hon„, schwedisch für „Sie“, hat in der Innenseite des einen Busens eine Milchbar. In dem anderen befindet sich ein Planetarium.
Gemeinsame Projekte mit Jean Tinguely
Das Projekt „Giardino die Tarocchi“, Garten des Tarots, entwickelt Niki de Saint Phalle 1978 in der Toskana. 15 Jahre intensiver Arbeit hat es gebraucht, um den Park mit vielen Unterstützer*innen und Jean Tinguely an ihrer Seite zu gestalten. Die verschiedenen Plastiken können sowohl von innen als auch von außen betrachtet werden. Niki de Saint Phalle will mit ihnen die verschiedenen Prüfungen inszenieren, die ein Mensch in seinem Leben meistern muss. Seit 1998 ist der Park für die Allgemeinheit geöffnet und erfreut sich großer Begeisterung, gerade unter den Tourist*innen. Ein weiteres gemeinsames Projekt des Paares ist der Strawinski-Brunnen in Paris. Die beweglichen Metallobjekte von Jean Tinguely ergänzen sich in dem Vorhaben mit den bunten Polyesterfiguren von Niki de Saint Phalle. Zuletzt gestaltet sie die Grotte der Herrenhäuser Gärten in Hannover mit ihren Figuren und Mosaiken.
Hoffnung und Mut in ihrem Schaffen
Niki de Saint Phalle illustriert 1986 ein Aufklärungsbuch über AIDS mit dem Titel „AIDS, vom Händchenhalten kriegt man’s nicht“. Noch deutlich persönlicher wird es in ihrem Buch “ Mein Geheimnis“, in dem sie den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater thematisiert. Zusätzlich erscheint auch ihr Film „Daddy“. Sie beweist damit nicht nur, dass sie auch Fertigkeiten in den Bereichen Literatur und Film hat. Sondern vor allem, ihren Mut Themen wie AIDS und sexuellen Missbrauch zu bearbeiten und in die Gespräche der damaligen Öffentlichkeit zu bringen. Sie klärt auf. Und sie zeigt, wie sie mit ihrem Trauma umgeht. Sie gibt anderen Menschen mit ihrer Geschichte Halt.
Nachdem Ärzt*innen feststellen, dass Niki de Saint Phalle sich durch die jahrelange Arbeit mit Polyester vergiftet hat – „Ausgerechnet das Material, mit dem ich am liebsten arbeite, ist absolut mein Todfeind“ – stirbt sie schließlich 2002 mit 71 Jahren in San Diego. Doch ihre Kunst bleibt und die Ideen auch. Ihr Schaffen ist so vielfältig und schillernd wie die Mosaiksteine auf ihren „Nanas“. Und wie die Spiegel auf ihnen zeigt sie der Gesellschaft eine Möglichkeit der Reflexion auf. Niki de Saint Phalle gibt Hoffnung und Mut und schafft es selbst durch ihre eigene Art und Weise einen Weg zu finden, mit dem Trauma aus ihrer Kindheit umzugehen. Sie ist als Frau selbstbewusst und ermöglicht anderen, es auch zu sein. So wird unsere Frau der Woche im November des Jahres 2000 zu der ersten Ehrenbürgerin Hannovers ernannt.
Nele Woehlert
Quellen:
Beck, Barbara: Die berühmtesten Frauen der Weltgeschichte
fembio.org/…ographie/niki-de-saint-phalle
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