Von klein auf wird Mädchen erzählt, dass ihnen Mathe, Physik, Chemie und Co. nicht liegen. Auch im Fernsehen sind Wissenschaftlerinnen selten zu sehen und auch heute noch ist die Assoziation zwischen männlich-geprägten Begriffen und Werten und den Wissenschaften groß. Das zeigt zum Beispiel eine Studie, die “Karriere” als männlichen Begriff verortet, “Familie” dagegen als weiblichen. Eine Karriere in den Wissenschaften, das kommt laut westlichem Unterbewusstsein also nur für Männer in Frage. Aber wo kommt diese Annahme her, und wie werden wir sie als Gesellschaft wieder los?
Kinder sehen Wissenschaftler, nicht Wissenschaftlerinnen
Wie früh diese Erwartung einsetzt, zeigte schon eine Studie in den 80ern – darin wurden 4,807 Kinder vom Kindergartenalter bis zur 5. Klasse gebeten, eine Person in den Wissenschaften zu zeichnen. Das Ergebnis war eindeutig – gerade einmal 28 der fertiggestellten Bilder zeigten Frauen (Chambers 1983). Das Bild der westlichen Gesellschaft, das Frauen nicht in den Wissenschaften zeigt oder dort vielleicht auch gar nicht zeigen will, sitzt also tief. Und es wird sich auch nach dem Kindergartenalter immer mehr eingeprägt.
Schülerinnen, Schüler und die Naturwissenschaften
Wenn man Schüler*innen fragt, wie sie zu den Fächern Mathe, Physik und Chemie stehen, wird sehr schnell deutlich, dass diese Fächer als männlich besetzt gesehen werden. Dieser Effekt ist dabei am stärksten in der Mathematik – da sind sich die Mädchen und Jungen jeweils einig. Interessant zu beobachten ist, dass, während Mädchen die drei Fächer als alle etwa gleich ungeeignet für sich selbst sehen, die Jungen zwischen den Fächern genauer unterscheiden – und Mathe dabei der eindeutige Gewinner der “Männlichkeit” ist.
Aber sind Männer tatsächlich besser in Mathe als Frauen? Eigentlich nicht. Der Unterschied ist, dass sie denken, sie wären es. Eine Studie hat Teilnehmer*innen dazu aufgefordert eine*n Mathematiker*in einzustellen für eine Aufgabe, bei der weibliche und männliche Teilnehmende allgemein gleich gut abschneiden. Die Teilnehmer*innen erhielten hierfür keine weiteren Informationen über die Mathematiker*innen außer ihr Aussehen – und damit ihr Geschlecht. Nicht überraschenderweise, aber vielleicht traurigerweise, wurden Mathematiker von sowohl Männern als auch Frauen doppelt so häufig engagiert wie Mathematikerinnen.
Aber was, wenn man gar nicht rechnen müsste? Wenn Kandidat*innen einfach nur gefragt werden, wie gut sie in Mathe sind? Dann greift wieder die Erziehung, die Kinder seit dem Kindergarten erleben – Männer überschätzen ihre Fähigkeiten deutlich, während Frauen eher zu bescheiden sind.
Die Leaky Pipeline
Diese Eigeneinschätzung, zusammen mit den gleichen gesellschaftlichen Werten, setzen sich natürlich auch im Studium fort. Inzwischen lassen sich Frauen nicht mehr so leicht abschrecken und schreiben sich mindestens genau so oft für naturwissenschaftliche und mathematische Studiengänge ein wie Männer. Doch leider setzt danach ein Effekt ein, der als “leaky pipeline” bekannt ist – das undichte Rohr. Der Leaky Pipeline Effekt bezeichnet die Tatsache, dass mit jedem Abschluss, und mit jeder nachfolgenden Karrierestufe, immer mehr Frauen die Wissenschaften verlassen. Die Forscher*innen Schubert und Engelage sehen als mögliche Gründe hierfür ein kleineres Netzwerk sowie “[strukturelle] Barrieren im Wissenschaftssystem”. Doch es gibt noch einige weitere entscheidende Faktoren, die zum Beispiel von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) angesprochen und deutlich gemacht werden:
“Trotz der hohen Studienabschlussquoten von Frauen besteht die ‘leaky pipeline’ in der
Wissenschaft weiter: An einer bestimmten Karrierestufe steigen Frauen aus dem
Wissenschaftssystem aus. Der Frauenanteil an der Professorenschaft liegt in Deutschland nur bei 20
Prozent. Unter den Habilitationsabschlüssen sind 27 Prozent Frauen, unter den Promotionen 30.
Ein zentrales Problem sind die Rahmenbedingungen: Wissenschaftliche Karrieren entscheiden sich
zwischen 30 und 40 Jahren, also in der Familiengründungsphase. Durch die hohe Zahl an
befristeten Stellen besteht zudem eine große Planungsunsicherheit.”
Der Mythos von der vollen Hingabe
Familie – das ist also ein großer Faktor, was allerdings nicht nur an der Rollenverteilung der Geschlechter, sondern auch am Bild der Wissenschaften selbst liegt. Kaum eine andere Karriere ist so offen anspruchsvoll, zeitintensiv, ein echter Vollzeit-Job. Eigentlich ist Wissenschaft überhaupt kein Beruf mehr. Es ist ein Lebensweg. Auch die GEW macht auf diesen “Mythos” aufmerksam: “der Mythos, dass Wissenschaft kein Beruf wie jeder andere sei, sondern eine Lebensform, der man sich voll und ganz hingeben müsse” – da bleibt für Familie keine Zeit mehr. Das alles sind also jede Menge Gründe, warum Frauen in den Wissenschaften immer noch unterrepräsentiert sind, wie diese Grafik von Statista (2019) zeigt:
Aber das reine Ungleichgewicht ist ja eigentlich keine Neuigkeit mehr. Viel wichtiger wäre da die Frage: und was jetzt?
Was zu tun ist
Die Lösungsansätze sind mindestens so vielschichtig wie die Probleme. Von Kindergarten bis Grundschule können Mädchen unterstützt und gezielt dazu aufgefordert werden, an mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern teilzunehmen. Universitäten können Quoten und Konzepte einführen, die mehr Gleichberechtigung garantieren. Die strukturellen Barrieren können nach und nach abgebaut werden.
Aber was ist mit den kulturellen Barrieren? Und der eigenen Wahrnehmung? Dafür braucht es vor allem erst mal Aufmerksamkeit. Es muss einem bewusst sein, dass man Männer als kompetentere Wissenschaftler wahrnimmt als Frauen, damit man aktiv etwas dagegen tun kann. Man muss sich selbst erst mal klar machen, welche Annahmen eigentlich so im eigenen Kopf rumschwirren – das fällt teils auch Frauen, die tatsächlich in den Wissenschaften arbeiten, immer noch schwer. Man kann über das Thema informieren, und man muss an der Repräsentation arbeiten. Sowohl die Wissenschaften selbst als auch die Medien wie Film und Fernsehen sollten mehr Wissenschaftlerinnen zeigen. Denn nur wenn etwas als “normal” gezeigt wird, kann es auch in der Gesellschaft ankommen. Vielleicht würden dann, eines Tages, mehr Kinder Wissenschaftlerinnen zeichnen. Denn wie die UNESCO ganz richtig sagt, “Wissenschaft braucht die besten Köpfe. Allerdings wird immer noch viel Forschungspotenzial verschenkt, da zu wenige hochqualifizierte Frauen in der Forschung arbeiten.”
Cora Övermann
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