Wenn man eine Treppe hinaufgeht, und sich den Kopf auf einmal an einer gläsernen Decke stößt, von der vorher nicht ersichtlich war, dass sie da ist, dann ist das unschön und tut weh.
So in etwa kann man sich den sogenannten „Glasdeckeneffekt“ vorstellen, nur dass es hier statt einer Treppe um die Karriereleiter geht. Dieser Effekt betrifft mehrere benachteiligte Gruppen, wie zum Beispiel Menschen verschiedener Herkunft, wird aber oft vor allem für Frauen in der Berufswelt verwendet und soll hier wieder auf die Naturwissenschaften angewandt werden.
Die Naturwissenschaften sind vor allem in der englischen Sprache voll von solchen Metaphern und Sprichwörtern; dem tropfenden Rohr („leaky pipeline“), dem Publizier-oder-stirb-Prinzip („publish or perish“), dem Matilda-Effekt, den unsichtbaren Universitäten („invisible colleges“) und nun eben auch noch der gläsernen Decke. All diese Begriffe deuten auf Karriereschwierigkeiten hin, welche sehr reale Auswirkungen haben. Allerdings sind diese Begriffe und die Phänomene, welche sie beschreiben, nur schwer greifbar.
Nicht leicht zu durchschauen
„Die gläserne Decke bezeichnet den Fakt dass eine qualifizierte Person, welche in der Hierarchie ihrer Organisation aufsteigen möchte, auf einem niedrigeren Level aufgehalten wird aufgrund von meist sexistischer oder rassistischer Diskriminierung“. (Babic und Hansez, Übersetzung d.A.)
Forscher*innen problematisieren hierbei, dass es weder eine eindeutige Definition des Glasdeckeneffekts gibt, noch eine einfache Art, ihn festzustellen. Aufgrund mangelnder Kriterien bleibt die gläserne Decke in manchen Organisationen schlicht unentdeckt und damit durchsichtig. Dennoch lässt sich der Glasdeckeneffekt laut Studien wie folgt definieren: Er besteht aus
„subtilen aber hartnäckigen Barrieren oder Hindernissen, welche von diskriminierenden Praktiken – bewusst oder unbewusst – untermalt werden, weiter begleitet von allgemeinen Einstellungen welche den Zugang von Frauen zu Top- oder Senior Management-Positionen erschweren“ (Babic und Hansez, Übersetzung d.A.)
Doch auch wenn er schwer zu erkennen ist, ist die Existenz des Glasdeckeneffekts unbestreitbar.
Die Fakten einmal blank poliert
Der Glasdeckeneffekt ist demnach zum Beispiel daran zu erkennen, dass die Frauenquote auf höheren Ebenen verschwindend gering ist. Wie auch die UNESCO bereits feststellte: „viele hochqualifizierte Frauen schaffen es in ihrer Karriere nicht über die mittlere Verantwortungsebene hinaus“. Die aktuellen Zahlen vermerken europaweit eine Quote von 23.6 Prozent von Frauen in Entscheidungspositionen in der Wissenschaft.
Je höher man dabei schaut, desto geringer wird der Frauenanteil. Auch wenn inzwischen 42.3 Prozent aller Akademiker*innen Frauen sind, so sind es auf dem höchsten Level nur noch 26.2 Prozent. Wie lässt sich das erklären? Zwar sind, laut UNESCO, Kinder „oft ein Karrierenachteil, erklären aber alleine noch nicht die Einkommens- und Verantwortungsunterschiede“. Stattdessen werden auch hier wieder „unsichtbare Faktoren“ wie „Vorurteile und Old-Boys-Netzwerke“ aufgeführt.
Doch auch die Arbeitszeiten sind ein maßgeblicher Faktor. So ist „der Anteil von Wissenschaftlerinnen in Teilzeit in Deutschland mit 31,2 Prozent (gegenüber 18,3 Prozent bei den Männern) besonders hoch. Nur in den Niederlanden (34,8 Prozent) und in der Schweiz (45,6 Prozent) arbeiten mehr Forscherinnen Teilzeit, der EU-Mittelwert liegt bei 13 Prozent“.
Glassplitter und andere unangenehme Nebenwirkungen
Doch auch wenn die Zahlen an sich eindeutig sind, und (un-) bewusste Vorurteile gegenüber Frauen in den Wissenschaften durch zahlreiche Studien belegt wurden – in denen oft eine Bewerbung mit weiblichem Namen von Frauen und Männern weniger positiv evaluiert wurde als eine identische Bewerbung eines männlichen Kandidaten – so fehlt laut Babic und Hansez dennoch weiterhin der theoretische Rahmen. Auch wird zwar den Gründen dieser Diskriminierung einige Beachtung geschenkt, den Effekten jedoch eher weniger.
Einige davon sind hierbei ganz offensichtlich: Qualifizierte Frauen erhalten weniger Karrierechancen, weniger Vorteile durch Netzwerke, und auch weniger wissenschaftliche Betreuung (sogenanntes Mentoring) als Männer. Aber auch hier gibt es wieder viele perfide Nebeneffekte, welche sich erst auf den zweiten Blick erkennen lassen. So zählen Babic und Hansez die Ergebnisse verschiedener Studien auf, welche belegen dass: (a) der Glasdeckeneffekt Frauen öfter dazu veranlasst, ihre Karriere aufzugeben, (b) der Effekt einhergeht mit einem geringeren Selbstvertrauen und (c) er verstärkt wird durch eine Reduzierung der Möglichkeiten für Frauen, Netzwerke und andere unterstützende Strukturen für ihre eigene Karriere zu bauen. Auch ist nachweislich (und verständlicherweise) die Jobzufriedenheit bei Frauen, welche sich mit einer gläsernen Decke konfrontiert sehen, deutlich geringer.
Damit steht die gläserne Decke einer erfolgreichen Karriere als Wissenschaftlerin direkt entgegen. Insgesamt verlassen laut Laura Sherbin knapp über die Hälfte aller Wissenschaftlerinnen (52 Prozent) irgendwann ihren Job. Nur ein Fünftel aller MINT-Wissenschaftlerinnen wurden in Sherbins Studie als erfolgreich angesehen, auch wenn ihre Definition von „Erfolg“ durchaus Sinn macht: Er besteht aus Jobzufriedenheit, erhaltenem Respekt für die eigene Expertise, und einer Position auf Senior (also fortgeschrittenem) Level.
Through the Looking-Glass
Die Frauen, welche erfolgreich dabei bleiben, vereinen laut Sherbin allerdings sechs Faktoren in sich, welche den Auswirkungen des Glasdeckeneffekts entgegengesetzt sind:
1. Absolutes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten – auch bei Vorurteilen und Gegenwind.
2. Sich Gehör verschaffen für die eigenen Ideen und Leistungen – auch wenn dies oft schwer fällt.
3. In Netzwerke investieren – und durch diese auch in Kontakt mit Entscheidungsträgern treten.
4. Nachfolger*innen ausbilden – und dabei deren als auch die eigene Karriere stützen.
5. Authentisch bleiben, statt im System und der eigenen Anpassungsstrategie unterzugehen.
6. Die eigene Marke etablieren – und bei jeder Gelegenheit vertreten.
Das soll natürlich nicht heißen, dass die Verantwortung für eine gleichberechtigte Wissenschaft bei den Frauen liegt, wie auch Sherbin unterstreicht. Aber wenn die gläserne Decke sich allgemein nur langsam durchbrechen lässt hilft es, wenn auch Wissenschaftlerinnen selbst den Hammer (oder den Bunsenbrenner) schwingen.
Cora Övermann
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