Eine Wissenschaftskarriere, eine Kinderbetreuung und eine Pandemie gehen in eine Bar … und trinken zusammen eine Wissenschaftlerin unter den Tisch. Wie es bereits in vorherigen Artikeln beschrieben wurde, sind gerade MINT-Berufe oft arbeitsintensiver als andere Vollzeit-Stellen. Und auch in MINT-Berufen gibt es nach wie vor Erwartungen, dass Frauen sich eher um die Kinder kümmern werden. Eine Studie fand heraus, dass männliche und weibliche Postdocs ohne Kinder sich in etwa gleich häufig gegen eine Vollzeitkarriere als Wissenschaftler*in entscheiden. Bei weiblichen Postdocs mit Kindern verdoppelt sich die Zahl gegenüber ihren männlichen Kollegen jedoch auf einmal.
Strukturell sind Frauen in den Wissenschaften auf viele Arten und Weisen benachteiligt. Sie werden schlechter bezahlt, erhalten weniger Fördermittel, und werden gerade mit Kindern nicht als engagiert genug gesehen.
„Der Plan, in Zukunft Kinder zu haben, oder sie bereits zu haben, ist verantwortlich für eine enorme Verringerung von Frauen, welche sich auf tenure-track jobs bewerben“, sagt Wendy Williams (Übersetzung d.A.).
Zudem haben Frauen in den Naturwissenschaften nicht nur weniger Kinder als ihre männlichen Kollegen, es sind auch insgesamt weniger, als sie gerne hätten. Aber wie groß genau ist denn das Problem?
Das Problem
43 Prozent aller Frauen verlassen eine Vollzeit MINT-Karriere, nachdem sie ihr erstes Kind bekommen haben. Entweder ist die Karriere danach nicht mehr MINT, und damit vielleicht weniger intensiv, es wird zu Teilzeit gewechselt, oder der Beruf ganz aufgegeben. Wie Cech und Blair-Loy belegen, betrifft dieses Problem allerdings nicht nur Frauen – 23 Prozent aller neuen Väter verlassen ebenfalls ihre MINT-Berufe. Daneben gibt es natürlich viele weitere Faktoren zu berücksichtigen, so wie zum Beispiel Nationalität, welche die Karriere von Wissenschaftler*innen zusätzlich beeinflussen. Und dennoch bleibt ein geschlechterbedingtes Ungleichgewicht bestehen.
Eine Langzeitstudie unter promovierten Naturwissenschaftler*innen ergab „dass frischgebackene Mütter weitaus seltener als ähnlich qualifizierte junge Väter eine Stelle als akademische Professorin mit Tenure-Track erhielten und dass sie, sobald sie diese Jobs hatten, mit geringerer Wahrscheinlichkeit befördert wurden“ (Cech und Blair-Loy, Übersetzung d.A.). Doch Unterschiede bestehen hier nicht nur auf der Arbeit – sondern eben auch zuhause. Weltweit sieht es aktuell so aus:
Aber auch in Deutschland „ist die bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen ungleich verteilt“, wie das statistische Bundesamt beweist:
„2018 nannten 45,8 % der Frauen in Teilzeit als Grund dafür die Betreuung von Kindern oder anderen Angehörigen oder sonstige familiäre Verpflichtungen, aber gerade einmal 10,3 % der Männer.“
Aus diesen Zahlen lässt sich der sogenannte Gender Care Gap ableiten, also der Unterschied zwischen Männern und Frauen und wie viel Zeit sie jeweils für die Betreuung von Kindern, älteren oder kranken Angehörigen aufbringen. Diese Inzidenz liegt aktuell bei 52 Prozent. Das bedeutet, „dass Frauen durchschnittlich 52 % mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit verwenden als Männer. Bei Paaren mit Kindern beträgt der Care Gap 83 %“ (statistisches Bundesamt). Wie man sich leicht vorstellen kann, wurden die bestehenden Probleme durch Pandemie und Homeoffice nicht gerade verbessert.
Das Problem plus Corona
In den USA gibt es einen neuen Begriff dafür, dass vor allem Frauen während der Pandemie arbeitslos sind oder ihre Jobs verlieren: „shecession“. Die von C. Nicole Mason geprägte Ableitung des Begriffs „recession“ beschreibt den Zustand dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt am härtesten von der Pandemie getroffen wurden. Damit könnte ein großer Teil des zuvor erreichten Fortschritts für Frauen in MINT Berufen verloren gehen, wie Geri Richmond befürchtet:
„Diejenigen von uns, die ihre Karriere damit verbracht haben, sicherzustellen, dass mehr Frauen in der MINT-Welt Fuß fassen, sind entmutigt und befürchten, dass dies langfristige Auswirkungen auf die MINT-Belegschaft haben könnte. Wir können es uns nicht leisten, die Gewinne zu verlieren, für die wir so hart gekämpft haben (Übersetzung d.A.).
Von Wissenschaftlerinnen, die sich in Kleiderschränken vor ihren Kindern verstecken, bis zu Kindern, die den Beruf der Mutter nachahmen und mit Mehl und Dinosauriern eine archäologische Expedition in der Küche nachstellen, ist in den Medien alles vorhanden. Zu den „fünf Tipps für Frauen in MINT-Berufen, die zu Hause arbeiten“ gehört inzwischen, in Extremsituationen einfach nicht auffindbar zu sein. Das scheint vielleicht gravierend, aber das sind auch die Zahlen.
Laut einer Studie berichten 90 Prozent aller Wissenschaftlerinnen, dass der Großteil der Kinderbetreuung auf ihre Schultern fällt, während gerade mal neun Prozent angaben, sich diese Aufgaben fair mit dem anderen Elternteil zu teilen. Wie Geri Richmond bestätigt ist das nicht nur jetzt ein akutes Problem – es könnte auch langfristige Auswirkungen für Frauen in den Wissenschaften haben. Sie fordert daher deutlich:
„Es ist jetzt an der Zeit, aus dieser Pandemie zu lernen und Programme und Praktiken zu entwickeln, um sicherzustellen, dass alle Hände im Labor sein können. Wir brauchen Eltern, die ihren vollen Beitrag leisten können und sich stark und gesund fühlen, nicht verzweifelt, isoliert und erschöpft.“ (Übersetzung d.A.)
Wie das zu bewerkstelligen ist, zeigen einige positive Beispiele.
Weniger Dinosaurier, mehr Flexibilität
Es ist zu bedenken, wie zeitintensiv und auch finanziell aufwendig die Ausbildung zur Wissenschaftler*in ist – nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für Firmen und Institute. Daher plädiert Rudaba Zehra Nasir dafür, mehr dafür zu tun dass Wissenschaftler*innen nach der Elternzeit in ihren Beruf zurückkehren.
Auch schon während der Elternzeit können Frauen zum Beispiel via App mit ihren Kolleg*innen in Kontakt bleiben, und zusammen mit flexiblen Arbeitszeiten kann so in einigen Unternehmen eine Wiedereinstiegsrate von bis zu 87 Prozent erreicht werden.
Nasir gibt dabei Folgendes zu bedenken:
„Unternehmen erzielen oft höhere Renditen, wenn sie einen maßgeschneiderten Ansatz verfolgen und die Kinderbetreuung für alle Mitarbeiter*innen im Rahmen einer umfassenderen Unternehmensstrategie unterstützen. Vor allem können Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor Investitionen in die Pflegewirtschaft ausweiten, Kapazitäten von Pflegedienstleistern aufbauen und Pflegemärkte schaffen. Gemeinsame Anstrengungen können für alle einen dreifachen Gewinn bringen: Arbeitnehmer und ihre Familien, Arbeitgeber und Volkswirtschaften.“ (Übersetzung d.A.)
Auch sind selbst kinderlose Angestellte glücklicher in ihrem Beruf, wenn sie wissen, dass dieser inklusiv und rücksichtsvoll gestaltet wird. Wenn Maßnahmen nicht nur an Frauen sondern auch speziell an Männer adressiert werden, kann so auch ein Teil der kulturellen Vorurteile ausgeglichen werden. Insgesamt sollte sich doch heute niemand mehr im Kleiderschrank verstecken müssen.
Cora Övermann
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