Ergebnisse. Das ist häufig das, worauf es in den Wissenschaften ankommt. Es braucht Ergebnisse, um etwas publizieren zu können. Es braucht Publikationen, um den nächsten Job, die nächste Beförderung zu bekommen. Es braucht attraktive Resultate für Fördermittel. Wer wäre da nicht in Versuchung, ab und zu eine Abkürzung zu nehmen?
Wissenschaftliches Fehlverhalten
Bei dem ganzen Druck, der in den Wissenschaften herrscht, kann es zu Fällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten kommen. Die drei Grundkategorien sind hierbei das Erfinden von Ergebnissen ohne wissenschaftliche Basis (Fabrikation), das Verfälschen von vorhandenen Ergebnissen (Falsifikation) und Plagiate. Gerade Plagiatsfälle finden oft Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, jedoch nach Meinung des Ärzteblatts bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit, wie sie es verdient hätten.
Wenn man bedenkt, wie weitreichend ein Plagiatsfall sein kann, indem er sowohl auf das Institut als auch auf vorherige Mitarbeiter*innen der schuldigen Person einen Schatten des Zweifels wirft, ist vielleicht auch verständlich warum manche Fälle gar nicht erst eröffnet werden oder so intern wie möglich gelöst werden. Eine Studie von Daniele Fanelli aus dem Jahr 2009 zeigte, dass 2% aller Wissenschaftler*innen (zumindest anonym) zugeben, wissenschaftliches Fehlverhalten begannen zu haben – und ganze 14% eben dieses bei ihren Kolleg*innen vermuten oder davon wissen.
Von ganz klein…
Manche der Plagiatsfälle mögen einer*m auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so gravierend erscheinen. Man stelle sich vor, eine junge Wissenschaftlerin arbeitet in einem Labor. Ihr männlicher Betreuer lässt ihre Ergebnisse in seine Publikation mit einfließen – er ist ja der Betreuer, oder nicht? Bestimmt weiß er, was er da tut, und sie will auch gar nichts dagegen sagen. Das Gleiche könnte natürlich auch bei einer Betreuerin passieren. Geschlecht, Alter, und auch Herkunft, sind maßgebliche Faktoren in den Naturwissenschaften.
Smith-Doerr et al. haben zum Beispiel in einer Studie 2017 festgestellt, dass vor allem junge Wissenschaftlerinnen sich öfter entschuldigen und mehr Leistung ihren Kolleg*innen zusprechen. Was die Forscher*innen als „Krise des Selbstbewusstseins“ bezeichnen (original: „crisis of confidence“), ließ sich bei 45 Frauen und nur 7 Männern feststellen.
… bis ganz groß
Es fängt also an mit Kleinigkeiten, aber es bleibt bei Weitem nicht dabei. Wenn man einen Nobelpreis nicht als Kleinigkeit betrachtet, dann gibt es auch hier gravierende Fälle von falsch zugesprochener Leistung und der entsprechenden Anerkennung. Wer hat die Struktur der DNA, dem, was uns als Menschen ausmacht, entdeckt? Watson und Crick, würden die meisten sagen, und zu Teilen stimmt das auch. Aber es gab noch eine dritte Partie – Rosalind Franklin. In ihrer Monographie Love, Power and Knowledge erklärt Hilary Rose, dass Franklin bereits ein entscheidendes Foto hatte, welches Watson und Crick sich „ausgeliehen“ haben – ohne Franklins Zustimmung. Die beiden gewannen den Nobelpreis der Medizin im Jahre 1962, und Rosalind Franklin geriet erstmal in Vergessenheit – doch sie war nicht die Einzige.
Ebenfalls weitbekannt ist Albert Einstein. Aber die wenigsten wissen von seiner Frau, Mileva Einstein Maríc. Ihr Name verschwindet auf mysteriöse Art und Weise von einigen der gemeinsamen Publikationen. Nicht verschwunden, vor allem in dem Bewusstsein der Wissenschaft, ist dagegen Lise Meitner. Im Jahr 1944 gewann ihr Partner, Otto Hahn, den Nobelpreis. Die Physikerin selbst wurde nicht gewürdigt – nicht nur weil sie eine Frau war, sondern gerade vielleicht auch, weil sie Jüdin war.
35 – 40 Jahre später
Neben diesen drei sehr bekannten Fällen gibt es drei weitere Fälle, wo der Nobelpreis für die jeweilige Wissenschaftlerin zwar vergeben wurde – allerdings lange nachdem die Forschung abgeschlossen war, so als hätte das Komitee irgendwann ein schlechtes Gewissen entwickelt. Wie lange? 35 – 40 Jahre später. Zu diesen drei Preisträgerinnen gehören Barbara McClintock, Rita Levi-Montalcini, und Getrude Elion. Die Tatsache, dass Frauen ohnehin öfter einen Nobelpreis in den Kategorien „Literatur“ oder “Frieden“ als in den Naturwissenschaften gewinnen, ist eine Tatsache, über die auch so manche*r nachdenken mag. Aber gibt es denn keine Forschung zur ungerechten Verteilung von Anerkennung in den Wissenschaften? Natürlich gibt es die.
Der Matilda-Effekt
Die Inklusion von wissenschaftlichen Ergebnissen, welche von Frauen erarbeitet wurden und dennoch nicht von ihnen publiziert werden, ist bekannt als Matilda-Effekt. Die Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter prägte 1993 den Begriff und bezieht sich damit auf die Frauenrechtlerin Matilda Joslyn Gage, welche den Effekt bereits ein Jahrhundert zuvor beschrieben hatte, ohne ihn jedoch zu benennen. Heutzutage schreibt Sabine Rodenbäck:
„Die Ergebnisse und Erfolge von Wissenschaftlerinnen werden systematisch verdrängt oder geleugnet – und stattdessen ihren männlichen Kollegen zugerechnet. In der Geschichte der Wissenschaft gab es viele Forscherpaare, die gemeinsam arbeiteten – unter dem Namen des Mannes wurden die Ergebnisse veröffentlicht.“
So lässt sich der Matilda-Effekt definieren und verstehen. Dabei ist er als Anspielung auf einen weiteren Effekt gedacht, welcher bereits 25 Jahre zuvor formuliert wurde.
Der Matthew-Effekt
1968 prägte Robert K. Merton den Begriff des Matthew-Effekts, im deutschsprachigen Raum auch geläufig als Matthäus-Effekt. Tatsächlich basiert dieser Effekt auf einem Zitat aus der Bibel: diejenigen, die wenig haben, werden auch wenig bekommen. Dieses Prinzip wurde von Merton auf die Wissenschaften angewandt. Unbekannte Wissenschaftler*innen werden wenig Anerkennung erhalten, während große und bereits etablierte Namen sehr viel mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für ihre Arbeit generieren. Es ist ein Spiel des guten Rufs.
Wer also bereits seinen oder ihren Nimbus genießt, hat gute Chancen, weitere Lorbeeren zu erhalten. Dies ist Teil eines wissenschaftlichen Systems, wo inoffizielle Vorgänge genauso ausschlaggebend sind für eine Karriere, wie offizielle. Es ist auch ein System, welches frau nach wie vor auf viele verschiedene Arten benachteiligt.
Cora Övermann
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