„Aufklärung ist immer schwieriger als Verdummung.“
Charlotte Wiedemann, geboren 1954 in Mönchengladbach, ist Auslandsreporterin, politische Journalistin und Autorin und schreibt unter anderem für die ZEIT, GEO, Le Monde diplomatique, den Freitag und die taz. Außerdem lehrt sie an verschiedenen Journalistenschulen und saß im Wissenschaftlichen Beirat des Bremer Übersee-Museums für eine neue Afrika-Dauerausstellung. Einen Bezug zu Bremen hat die neue Frau der Woche also auch.
Gegen Eurozentrismus
Nach längerer Zeit im Inlandsjournalismus lebte Charlotte Wiedemann ab 1999 für einige Jahre in Malaysia und war seitdem für Reportagen in Ländern Südostasiens, Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens unterwegs. Was sie für uns so besonders spannend und zur Frau der Woche macht, ist ihre Art des Schreibens, das stetige Hinterfragen eurozentristischer Perspektiven und ihr „Bewusstsein dafür, dass diese Welt verändert gehört.“ Besonders in ihren Berichten über die islamischen Welten wird ihre Weigerung, sich den öffentlich gängigen Diskursen über den Islam anzuschließen, offenkundig. Häufig stehen Frauen im Mittelpunkt ihrer Berichte. Denn an ihrer Position würden sich oftmals die Konflikte und Problematiken von Gesellschaften spiegeln, wie sie in einem Interview erzählt.
„Wer Musliminnen stets nur in einer Opferrolle sieht, wird deren Länder kaum akkurat beschreiben können.“
Und so erzählt sie beispielsweise von den verschleierten und unverschleierten Gesichtern der Emanzipation im Jemen und fordert hiesige Diskurse über Kopftücher, andere verschleiernde Kleidungsstücke und Frauen in islamischen Gesellschaften heraus.
Es braucht einen neuen Feminismus
Gleichzeitig zu ihren Auslandsreportagen beschäftigt sich Charlotte Wiedemann auch mit der deutschen Öffentlichkeit und Debatten um den Islam, Geflüchteten und Feminismus. Das passt gut zusammen, schließlich bestimmen die Klischees und gerahmten Vorstellungen über andere Länder und Kulturen auch die Sichtweise und den Umgang mit Menschen nicht-deutscher Herkunft in Deutschland.
In ihrem Essay „Recht auf Nacktheit, Recht auf Verhüllung“ ruft sie zu mehr Toleranz auf, besonders auch in feministischen Kreisen. Denn auch beim Kopftuch ginge es um den Körper der Frau und dessen Selbstbestimmung. Oftmals gelte hingegen in der (europäischen) Öffentlichkeit eben diese Selbstbestimmung der Frau lediglich
„als Argument gegen das Kopftuch, nicht aber als ein Wert, den die Kopftuchträgerin für sich selbst in Anspruch nehmen kann. Ihr Kopf gehört ihr? Mitnichten.“
Und sie fragt weiter
Weitergehend plädiert sie für einen neuen Feminismus,
„mit neuen Allianzen – und mit einer Vision von Emanzipation, die über die Grenzen von Religion, Hautfarbe und Lebensstil hinweg verbindend sein könnte. Darüber habe ich schon „vor Köln“ geschrieben; jetzt scheint ein fortschrittlicher und antirassistisch argumentierender Feminismus noch dringender.“
Eigene Sichtweisen hinterfragen
Die Kopftuchdebatte lehrt uns mehr über westliche Denkmuster und Strukturen, als über den debattierten Gegenstand selbst, nämlich kopftuchtragende Frauen. An diesem Beispiel zeigt sich die Notwendigkeit der Reflexion eigener Sichtweisen, zu der uns Charlotte Wiedemann in ihren Artikeln immer wieder auffordert. Aber Vorstellungen und Stereotype sitzen tief und werden durch oftmals unreflektierte Berichterstattung weiter gefestigt.
Charlotte Wiedemann ist nicht nur eine herausragende Journalistin und, modern ausgedrückt, interkulturell sehr kompetent, sondern veranlasst durch ihre Texte zum Nachdenken und möchte die Welt verändern. Sie kämpft sozusagen gegen die „Verdummung“ an. Dafür ist sie unsere Frau der Woche!
Zum weiteren Lesen empfiehlt sich ein Blick auf ihre Website und die bereits erwähnten Magazine und Zeitschriften, die Artikel von Charlotte Wiedemann veröffentlichen. Informationen zu ihrem journalistischen Selbstverständnis finden sich unter anderem in ihrem 2012 erschienenen Buch „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben. Oder: Wie Journalismus unser Weltbild prägt.“ und einem Interview, aus dem hier mehrfach zitiert wurde.
Rieke Bubert
Emilia meint
Wir zwingen die Frauen nur dazu, in ihrer privaten Häuslichkeit zu verharren. Das kann nicht sein!
Edith Laudowicz meint
Ich freue mich sehr über diesen Artikel – ich bin sehr erstauntu und entsetzt darüber, wieviele Frauen aufgrund einer diffusen Angst vor einem verhüllten Gesicht ein Verbot der Verschleierung fordern und dies noch mit Argumenten wie „Befreiung der Frauen“ begründen. Eine Befreiung kann nur dann erfolgen, wenn es die Betroffenen selber wollen, es gibt keine stellvertretende Befreiung. Damit sage ich nicht, dass ich diese Verschleierung gut finde – sie ist für mich Ausdruck einer Religionsausübung, die auf extrem patriarchalen Normen basiert. Bekleidungsvorschriften, die das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in bezug auf Kleidung extrem einschränken gibt es nicht nur im Islam, sondern auch bei christlichen Sekten und im orthodoxen Judentum.
Angst ist im politischen Raum ist schlechter Ratgeber. In ganz Deutschland gibt es ca.300 vollverschleierte Frauen – das kann frau nicht ertragen? Davon mal ganz abgesehen ist das Recht auf Religionsfreiheit ein hohes Gut. Nur wenn es gelingt, derartig konservative Auslegungen der Religion zu verändern, wird es eine Chance zu Veränderung der Bekleidungsvorschriften geben.
Marianne meint
„Selbstbestimmungsrecht der Frauen in bezug auf Kleidung extrem einschränken gibt es nicht nur im Islam, sondern auch bei christlichen Sekten und im orthodoxen Judentum.“
Siehe Kopftuch: Kopftücher und bodenlange Röcke sind sogar die typische Kleidung orthodoxer Jüdinnen.
Ronja meint
Ein interessanter Artikel über eine spannende Frau. Vielen Dank!