Journalist*innen haben es in Mexiko nicht leicht. Unabhängige Berichterstattung, die auch die Regierungsangehörigen sowie das organisierte Verbrechen miteinbezieht, hat oftmals einen hohen Preis. In regelmäßigen Abständen erreichen uns Nachrichten von getöteten, gefolterten, entführten und bedrohten Journalist*innen. Unsere Frau der Woche ist Lydia Cacho, mexikanische Journalistin, Autorin und Menschenrechtsaktivistin, die sich nicht einschüchtern lässt. Sie kämpft für die Pressefreiheit, mittlerweile mit Personenschutz.
Mexiko gilt neben Pakistan und dem Irak als das gefährlichste Land für Journalist*innen. Seit dem Jahr 2000 sind in Mexiko mehr als 80 Medienschaffende ermordet worden. Die tatsächliche Zahl wird höher liegen, denn weitere Journalist*innen bleiben “verschwunden”. Die Täter*innen – oftmals Angehörige des Staates selbst – bleiben größtenteils unbestraft. Das Gros der Medienschaffenden zensiert sich aus Selbstschutz selbst und meidet problematische Themen. Trotzdem gibt es Journalist*innen, die dagegen ankämpfen und ganz vorn bei diesem Kampf um unabhängigen Journalismus sind drei Frauen: Lydia Cacho, Carmen Aristegui and Sanjuana Martinez.
Häusliche Gewalt, Frauenrechte und Kinderpornographie
Lydia Cacho wurde 1963 in Mexiko-Stadt geboren. Schon früh fielen ihr Ungerechtigkeiten in ihrer Nachbarschaft und die soziale Ungleichheit auf. Um etwas zu verändern, ihrer Wut über diese Ungerechtigkeiten Ausdruck zu verleihen und “jemand besseres zu werden” – so erzählt sie in einem Vortrag – wird sie Journalistin. In ihren ersten Reportagen beschäftigt sie sich mit Fällen von häuslicher Gewalt in indigenen Gemeinschaften und Dörfern. Ein Thema von dem in den 1980er Jahren im katholisch geprägten Mexiko niemand hören möchte. Auch der Verleger sieht häusliche Gewalt als Privatsache an. Lydia Cacho hingegen beschäftigt sich weiter mit dem Thema, gründet gemeinsam mit anderen Frauen in Cancún ein Frauenhaus. Dort kommt sie außerdem in Kontakt mit Frauen und Kindern, die sexueller Ausbeutung entflohen sind. Diese erzählen ihre Geschichten und Cacho recherchiert.
Nach mehreren Artikeln erscheint 2005 ihr Buch „Die Dämonen von Eden“. Hier präsentiert sie ihre Rechercheergebnisse. Sie deckt einen Ring von Kinderpornographie und Prostitution auf, in den ranghohe Politiker, Polizisten und Geschäftsmänner verwickelt sind. Cacho nennt auch die Namen der Beteiligten. Die Morddrohungen, die sie bereits vorher erhalten hat, häufen sich, sie bekommt nun Personenschutz. Trotzdem wird sie im Dezember 2005 entführt und gefoltert. So furchtbar es klingt: Kritische Journalist*innen müssen in Mexiko auf einen solchen Fall vorbereitet sein. Lydia Cacho hatte ihre Mitarbeiter*innen und Familie instruiert, was zu tun sei, im Fall der Fälle. Ihr Bürogebäude wird kameraüberwacht – man kann ihre Entführung bei Youtube ansehen. So wurde ihre Entführung publik. Mit Hilfe von Amnesty International und Human Rights Watch konnten ihre Angehörigen ihre Freilassung von der als „Festnahme“ bezeichneten Entführung erwirken.
Die Täter wurden nie bestraft. Stattdessen musste Cacho sich einem jahrelangen Gerichtsprozess aussetzen, in dem sie der Verleumdung angeklagt wurde. Das Erlebte verarbeitet sie in dem Buch „Memorias de una infamia“.
Globaler Menschenhandel und Sexsklaverei
Lydia Cacho lässt sich nicht einschüchtern, versucht mit der Angst zu leben. Die Gewalt, die sie vorher „theoretisch“ beschrieben hat, hat sie nun selbst erlebt. Trotzdem arbeitet sie weiter, schreibt über den internationalen Menschenhandel und der damit verbundenen Zwangsprostitution und recherchiert undercover u.a. in Mexiko, Birma, Japan, Kambodscha und der Türkei. 2010 erscheint ihr Buch „Sklaverei. Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel“, 2011 folgt die deutsche Übersetzung mit einem Vorwort von Carolin Emcke.
Sie deckt die globalen Verflechtungen des Menschenhandels auf und gibt seinen Millionen Opfern eine Stimme. Neben dem Handel von Drogen und Waffen boomt der Handel von Menschen, besonders Frauen und Kinder sind betroffen. Sie werden zu (Sex-)Arbeit gezwungen, ihnen werden Organe entnommen, sie werden zwangsverheiratet oder –adoptiert. Laut Nichtregierungsorganisation KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. – steht der Menschenhandel im Kontext von Migrationsprozessen, weltweiter Armut, wirtschaftlichen Krisen und ethnischen Konflikten sowie politisch-ökonomischen Umbruchprozessen. Und fast jedes Land der Welt ist in den Handel involviert. Cacho klagt an:
„Der Menschenhandel, der in 175 (!!!) Ländern der Erde dokumentiert ist, legt die Schwächen des globalisierten Kapitalismus genauso bloß wie die Ungleichheiten, die durch die wirtschaftlichen Spielregeln der Mächtigen entstehen.“
„Ich bin kein ängstlicher Mensch“
Lydia Cacho ist mittlerweile international bekannt und erhielt für ihren investigativen Journalismus und ihren Einsatz für Menschenrechte mehrere Preise und Auszeichnungen. Trotzdem bzw. vermutlich gerade deswegen, lebt sie gefährlich. Auch heute bekommt sie noch Morddrohungen. Immer mal wieder begibt sie sich aus Selbstschutz zeitweise ins Exil. Wie Jürgen Neubauer schreibt, bringe „Der Fall Lydia Cacho“ die Situation von Journalist*innen in Mexiko auf den Punkt:
„Die Verfassung schützt zwar die Informationsfreiheit, aber die Gesetze schützen die Journalisten nicht und die korrupte Justiz verfolgt sie im Auftrag der zynischen Politik. Theoretisch können selbst verurteilte Verbrecher Journalisten, die ihren Fall öffentlich machen, wegen Rufmords anklagen – und wer das Geld für den Prozess hat, hat oft auch das Geld, ihn zu gewinnen.“
Lydia Cacho schreibt trotzdem weiter. Für ihren Mut, ihren Einsatz für die Menschenrechte und die Pressefreiheit, dafür, dass sie sich den Mund nicht verbieten lässt, ist sie unsere Frau der Woche. Stellvertretend für die anderen (mexikanischen) Journalist*innen, die für ihre Arbeit ihr Leben riskieren.
Rieke Bubert
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