Die Zahlen sind zwar rückläufig, aber immer noch reisen junge Frauen und Mädchen aus Deutschland aus, um sich dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen. Mit der Hoffnung, ein besseres Leben als in Europa zu finden, im Gepäck landen sie dann in einem Albtraum aus Unterdrückung und Kriegsalltag. Die Rückkehr nach Europa scheint für Frauen im IS oftmals unmöglich.
Das Terror-Netzwerk „Islamischer Staat“ wird im folgenden Text Daesh genannt. Daesh (ausgesprochen Da-esch) ist ein abwertendes Akronym für den IS und soll zum Ausdruck bringen, dass das Terrornetzwerk weder Staat noch Kalifat ist.
Die digitale Rekrutierung junger Frauen und Mädchen
Daesh rekrutiert in Europa schon seit einiger Zeit nicht nur kampfbereite Männer, sondern auch junge Frauen und Mädchen. Laut Angaben des Bundeskriminalamtes sind ein Fünftel aller Personen, die aus Deutschland ausreisen, um sich Daesh anzuschließen, weiblich. Doch was bringt gerade Frauen dazu, Europa zu verlassen und ein Terrornetzwerk zu unterstützen, das für Sexsklaverei, Massenvergewaltigungen und Hinrichtungen bekannt ist?
Über Facebook, Whatsapp oder in Chatrooms werden 14 bis 17-jährige Mädchen kontaktiert und angeworben. Mit der digitalen Propaganda über Internetplattformen und Social Media trifft das Terrornetzwerk Daesh die junge, weibliche Zielgruppe. In Mädchennetzwerken wird mit Kriegspropaganda und dem Traum von einem besseren Leben geworben, während der bittere Kriegsalltag von bereits ausgereisten Frauen zur Kriegsromantik verklärt wird. Daeshs „Kämpfer“ werden wie Popstars im Internet gefeiert und verehrt. Privater Kontakt zu Freund*innen, Verwandten oder Bekannten, die bereits zu Daesh in den Irak oder nach Syrien gereist sind, beeinflusst zudem aus der Ferne.
Es trifft nicht nur muslimische Frauen und Mädchen
Die Gründe für Frauen auszureisen und das Terrornetzwerk zu unterstützen, sind vielseitig. Daesh wirbt mit einfachen, traditionellen Familienrollen. Die Heirat mit einem der „Kämpfer“ und die scheinbare Emanzipation aus den unterdrückenden, patriarchalen Familienverhältnissen zu Hause sind beispielsweise treibende Kräfte. Auch gefühlte Isolation, Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung aus der Gesellschaft spielen eine entscheidende Rolle. Die Frauen und Mädchen sind oft stark politisiert und wollen gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung von Muslim*innen kämpfen. Sie träumen davon, bei Daesh ein besseres Leben zu finden und sich gleichzeitig für die „gute Sache“ zu engagieren. Dabei ist die Gruppe an Frauen und Mädchen, die sich Daesh anschließt, alles andere als einheitlich. Die Frauen im IS kommen aus verschiedenen Religionen, sozialen Schichten und Familienverhältnissen.
„Es kann jeden treffen – querbeet: muslimisch, nicht muslimisch, Ost, West. Es gehen auch Mädchen und junge Frauen weg, die Anerkennung über die klassische Frauenrolle suchen. Denen das Leben hier zu kompliziert ist. Dort reicht es, wenn du Ehefrau bist. Und wenn du Märtyrerwitwe bist, ist die Anerkennung noch höher“,
so die Islamismusexpertin Claudia Dantschke in einem TAZ-Interview.
Der Albtraum: Die bittere Realität der Frauen im IS
Die Kriegsrealität holt die jungen Frauen und Mädchen allerdings schnell ein. Kommen die Frauen in den Irak oder nach Syrien, werden sie zumeist zwangsverheiratet, vergewaltigt und unterdrückt. In Mehr-Ehen haben sie sich an strenge Regeln zu halten. Sie müssen sich mit den anderen Ehefrauen um den Haushalt und die Kinder kümmern, während ihre Männer an der Front kämpfen. Zu ihren Familien dürfen sie oft keinen Kontakt haben und leben so in brutaler Isolation. Die gebürtige Iranerin und islamische Theologin Hamideh Mohagheghi erklärt bei Deutschlandradio Kultur, dass die strengen Rituale und Regeln dem primären Ziel der völligen Entmündigung der Frauen im IS dienen sollen. Islamismusexpertin Claudia Dantschke rät im TAZ-Interview dennoch dazu, die Frauen im IS nicht nur in der Opferrolle zu sehen:
„Eine Frau, die sich Diener Allahs nannte, hat bei Twitter das erste Massenköpfungsvideo gepostet und geschrieben: The most beautiful moment. IS wird immer bleiben.
Das ist wie beim Rechtsextremismus: Man darf die Frauen nicht unterschätzen.“
Zurück nach Europa: (K)ein Ausweg
Expert*innen schätzen die Chancen für Frauen sehr gering ein, aus diesem brutalen Netzwerk wieder auszubrechen. Das liegt zum einen daran, dass sich Frauen in den von Daesh beherrschten Gebieten ohne männlichen Vormund kaum öffentlich bewegen können. Indoktrinierung und die hohen Kosten für Schleuser erschweren zusätzlich die Rückkehr. Trotzdem gibt es immer wieder Rückkehrer*innen, die es geschafft haben, den Fängen des terroristischen Netzwerkes zu entkommen. Häufig desillusioniert und traumatisiert kehren sie nach Europa zurück, ausgestoßen aus beiden Systemen. Für Daesh sind sie Verräterinnen, für die westlichen Gesellschaften inzwischen Terroristinnen. Meist erwarten sie bei ihrer Rückkehr nach Europa Gerichtsverhandlungen und Haftstrafen wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation.
Hayat und ufuq: Prävention und Deradikalisierung
Seit einiger Zeit sind die Zahlen von Ausreisenden stark rückläufig. Dennoch bedarf es dringend der Prävention und gesamtgesellschaftlicher Aufklärung über extremistische Propaganda, denn im Internet geht die Radikalisierung in sozialen Netzwerken und Chats weiter. Vereine wie beispielsweise ufuq.de setzen sich präventiv in Schulen und Jugendeinrichtungen gegen Islamismus, aber auch Islamfeindlichkeit ein. Durch Aufklärung und Dialog gelingt ihnen der Gegennarrativ.
Die Beratungsstelle Hayat bietet außerdem eine Anlaufstelle für Aussteiger*innen aus dem militanten Dschihadismus. Betroffene können sich, ganz nach Vorbild der Beratungsstelle Exit für rechtsradikale Aussteiger*innen, dort melden und bekommen dann tatkräftige Unterstützung bei dem Ausstieg aus dem extremistischen Milieu und dem Wiedereinstieg in die Gesellschaft. Auch Familienangehörige, Lehrer*innen, Freunde und Eltern können sich an Hayat wenden, um der Radikalisierung von betroffenen Kindern, Geschwistern, Schüler*innen und Angehörigen entgegenzuwirken. Die Initiative iDove, die von der Afrikanischen Union in Zusammenarbeit mit der GIZ ins Leben gerufen wurde, unterstützt zudem ab diesem Jahr Projekte, die zur Deradikalisierung oder Prävention von gewalttätigem Extremismus in Afrika und Europa beitragen.
Britta Grossert
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