Welche Rolle spielt der Faktor Geschlecht dabei, wer sich freiwillig engagiert? Darüber und über das, was sich ändern muss, habe ich mit Lena Blum gesprochen, der Leiterin der Freiwilligenagentur Bremen.
In der mehrteiligen Reihe Frauen und Engagement gehe ich den Fragen nach: Wie und wo kann ich mich in Bremen engagieren? Hängt es mit dem Geschlecht zusammen, wer sich engagiert? Und welche Rolle spielt dabei die Politik?
Ehrenamt, Bürgerschaftliches & Freiwilliges Engagement
Es gibt viele Formen von Engagement, die nebeneinander existieren und mit verschiedenen Begriffen bezeichnet werden. Das hängt mit der Entwicklung des Engagements zusammen. Der Begriff Ehrenamt ist heute noch recht verbreitet und wird häufig gleichbedeutend mit freiwilligem Engagement verwendet. Genau genommen handelt es sich beim Ehrenamt laut Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ um besonders formalisierte und dauerhafte Formen des Engagements. Das Ehrenamt entstand Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Beteiligung des Bürgertums an der Selbstverwaltung in Kommunen. Das Bürgerschaftliche Engagement hingegen ist laut der Enquete-Kommission freiwillig, gemeinwohlorientiert, öffentlich, gemeinschaftlich und nicht gewinnorientiert. Dazu gehören viele Bereiche und in den meisten Punkten deckt es sich mit freiwilligem Engagement. Wie Lena Blum mir erklärte, steht Freiwilliges Engagement für alle Bereiche des Engagements. Deshalb ist der Ausdruck Freiwillige der größte Sammelbegriff für Menschen, die sich engagieren.
Ausgeglichenes Geschlechterverhältnis?
Im ersten Teil der Reihe Frauen und Engagement habe ich Orte des Engagements in der Bremer Neustadt besucht. Dabei ist mir aufgefallen, dass es Zusammenhänge von Gender und Engagement gibt. Bei der Recherche bin ich auf eine Statistik von 2019 gestoßen, nach welcher der Frauenanteil der Ehrenamtlichen bei 52,9% liegt. Allerdings geht aus der Untersuchung nicht klar hervor, ob sich die Daten nur auf Ehrenamtliche nach der engen Definition beziehen oder ob damit wie häufig in der Alltagssprache alle Menschen gemeint sind, die sich unentgeltlich engagieren. Zudem gibt es verschiedene Studien zu dem Thema, die teils Unterschiedliches aussagen. So liegt der Frauenanteil unter allen freiwillig Engagierten laut Freiwilligensurvey des Bundestages von 2014 nur bei 41,5%. Auch wenn diese Studie schon etwas älter ist, erfasst sie doch alle Formen des Engagements. In den vorliegenden Untersuchungen werden allerdings leider nur die Geschlechter männlich und weiblich erfasst.
Aus dem Jahr 2020 liegen noch keine aktuellen Daten zum Anteil der Frauen im gesamten Freiwilligen Engagement vor. Doch interessanter als eine Prozentzahl ist vielleicht etwas Anderes.
Gründe für die Ungleichheit
Laut Freiwilligensurvey von 2014 nähert sich der Gesamtanteil der Frauen dem der Männer an, doch besonders in einzelnen Bereichen und den meisten Altersgruppen sind die Geschlechter noch sehr unterschiedlich stark vertreten. Frauen engagieren sich beispielsweise häufiger in Projekten mit Kindern und Jugendlichen sowie im religiösen Bereich als Männer. Im Freiwilligensurvey wird dies als “Muster einer traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung” interpretiert. In den meisten Bereichen überwog 2014 der Männeranteil. Außerdem engagieren Frauen sich laut Freiwilligensurvey seltener in öffentlichen Bereichen als Männer, wie etwa in Vereinen oder Verbänden. Auch das Alter und die Erwerbsarbeit spielen eine Rolle beim Anteil der Geschlechter der Freiwilligen. Besonders unter den Rentner*innen engagierten sich 2014 mit 31% deutlich weniger Frauen als Männer (40,7%). Lediglich unter den 30-49-Jährigen war der Frauenanteil 2014 etwas höher. Teilzeitbeschäftigte Frauen engagierten sich häufiger als Männer, unter den Vollzeitbeschäftigten waren es weniger.
Geschlechterungleichheit im freiwilligen Engagement
Warum engagierten sich den Ergebnissen des Freiwilligensurveys zufolge weniger Frauen? Ein Grund ist, dass Frauen weniger verdienen, da sie zum einen für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden und zum anderen aufgrund eben dieser unbezahlten Sorgearbeit für die Familie häufiger in Teilzeit arbeiten. Engagement ist damit leider immer auch noch eine Frage des Geldes, so Lena Blum. Man kann von strukturellen Problemen sprechen. Der Freiwilligensurvey zeigt außerdem, dass Männer ihre Mitsprachemöglichkeiten im freiwilligen Engagement besser bewerten und häufiger Leitungsfunktionen übernehmen als Frauen. Außerdem erhalten Männer als Freiwillige häufiger Geld. Obwohl die Tätigkeitsinhalte im Engagement diverser geworden sind, gibt es im Engagement auch noch traditionelle geschlechterspezifische Arbeitsteilungen. Der Freiwilligensurvey sagt schlussfolgernd aus, dass sich nicht nur weniger Frauen freiwillig engagieren, sondern auch zu anderen Bedingungen. Von einer Gleichstellung im freiwilligen Engagement ist also noch nicht zu sprechen.
Das muss sich ändern
Was muss passieren, damit mehr Frauen Leitungspositionen und Aufgaben in männlich dominierten Bereichen des Engagements übernehmen? Um Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten der Geschlechter im Engagement zu überwinden, muss sich in der Gesellschaft etwas bewegen. Lena Blum betont, dass strukturelle Veränderungen notwendig sind. Aber auch einzelne Vereine können etwas tun, indem sie für das Thema sensibilisieren oder sich eine Gleichstellungsstrategie überlegen.
“Frauen müssen sich gegenseitig ermutigen, denn Leitungsaufgaben werden ihnen nicht automatisch zugetragen.” Lena Blum
Ein Anfang
Eine der Möglichkeiten, um die geschlechterspezifische Arbeitsteilung in der Freiwilligenarbeit zu durchbrechen, setzt bei den Männern an. Lena Blum berichtet von der Strategie, wie mehr Männer für Engagement in Bereichen mit Kindern und Jugendlichen gewonnen werden können – über role models.
“Um neue Bilder im Kopf zu produzieren, muss dies erlebt werden.”
In Werbefotos für Engagement-Möglichkeiten mit Kindern werden deshalb zum Beispiel auch Aspekte wie Abenteuerlichkeit und handwerkliche Arbeiten anstelle von Fürsorge betont. Natürlich könnte man argumentieren, dass solche Fotos wieder Geschlechterstereotypen bedienen, aber es ist eine Möglichkeit, um die Männer erstmal an Bord zu holen. Viele von ihnen sprechen sich in dem Bereich mit Kindern und Jugendlichen nämlich keine große Kompetenz zu. Wenn sie aber sehen, dass andere Männer sich dort auch engagieren, kann daran angeknüpft werden.
Eines steht fest: Die Gleichstellung im Engagement ist noch nicht erreicht, wie auch in der Gesellschaft insgesamt. Der Weg dahin ist lang, doch nicht unmöglich. Denn Veränderung beginnt im Kopf. Dafür können wir uns alle “engagieren”.
Hannah Lüdert
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