Menschen, die auf der Flucht sind, haben vieles zurückgelassen. Wissenschafter*innen haben unter-sucht, was hilft, hier anzukommen und sich einzuleben.
Diese Menschen hatten beispielweise ein Zuhause und eine Arbeit, die sie durch Krieg verloren haben oder die sie aufgegeben haben, aus Angst um das eigene Leben und um Repressalien zu entkommen. Dies alleine stellt schon ein sogenanntes kritisches Lebensereignis dar. Die Kriegserlebnisse und das, was auf der Flucht durchgemacht wurde, sind darüber hinaus weitere kritische Lebensereignisse. Diese können zu Traumata und langfristigen Belastungen führen. Am häufigsten erlebte traumatische Ereignisse waren nach einer wissenschaftlichen Untersuchung mit türkischsprachigen Patienten/ Patientinnen in der Primärversorgung die folgenden:
- Tod oder Verlust wichtiger Bezugspersonen: Jede(r) Dritte (30%);
- schwere Unfälle: Fast jede(r) Dritte (27%);
- schwere Krankheiten: Jede(r) Vierte (24%) und
- Naturkatastrophen: Jede(r) Fünfte (22%).
Auch wenn Frauen und Männer gleichermaßen traumatisierende Erlebnisse machen, gibt es ein paar Unterschiede zwischen Männern und Frauen:
- Gefangenschaft wurde häufiger von Männern als von Frauen erlebt.
- Nur von den Frauen wurde interpersonelle Gewalt (9%) und sexueller Missbrauch oder sexuelle Angriffe angegeben.
Das heißt, Frauen und Mädchen können besonderen Belastungen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sein. Dies kann vor oder während der Flucht oder auch danach sein. In verschiedenen Untersuchungen (z.B. Fozdar, 2012) wurde dabei der „alltägliche, verdeckte Rassismus“ bestätigt. Die stärkere Gefährdung der Frauen ist vor allem dadurch begründet, dass beispielsweise bei einer Diskriminierung von muslimischen Menschen Frauen mit Kopftuch eindeutiger als Musliminnen erkannt und entsprechend benachteiligt oder sogar attackiert werden. In der Studie von Fozdar (2012) wurden dabei Beispiele genannt wie Beschimpfungen aus dem Auto heraus und Belästigungen im Zug.
Daneben ist auch die Benachteiligung im Alltag nichts Neues. So wurde in der wissenschaftlichen Untersuchung von Hussein, Manthorpe und Stevens schon 2011 genannt, dass die Teilnahme an Sprachkursen für Frauen schwieriger ist, weil diese Familienaufgaben inne haben wie die Kinderbetreuung und weniger finanzielle Möglichkeiten oder soziale Unterstützung. Verschiedene Studien (z.B. Kalter, 2014) haben gezeigt, dass geflüchtete Frauen eher weniger soziale Unterstützung und soziale Netzwerke haben als männliche Flüchtlinge. Dies ist dann auch ein maßgeblicher Grund dafür, dass es Frauen erst einmal schwerer fällt, sich im neuen Land einzuleben und erfolgreich zu integrieren. Eine gute Integration ist beispielsweise darin zu sehen, dass der bisherige Beruf wieder aufgenommen oder generell eine Arbeit ausgeübt wird. Leider scheinen jedoch Frauen generell eine geringere Wahrscheinlichkeit zu haben, am Arbeitsmarkt zu partizipieren als Männer (z.B. Bevelander & Pendakur, 2012). Der Grund dafür ist neben weniger sozialer Unterstützung und sozialen Netzwerken (s.o.) in persönlichen Ressourcen und der Gesundheit zu sehen: Frauen zweifeln stärker an ihren Fähigkeiten (auch wenn dazu kein Grund ist) und haben eher Gesundheitsprobleme (Thomas de Vroome & Frank van Tubergen, 2010).
Daraus kann sind dann ein Teufelskreis entwickeln: weniger Arbeitsmarktpartizipation insbesondere von Frauen wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden aus (Cheung 2014). Und schon vor fast 10 Jahren war klar: die stärkste Barriere zur erfolgreichen Integration von Flüchtlingen war die Arbeitsplatzsuche (Phillimore & Goodson, 2006). Insbesondere weibliche Flüchtlinge haben hierbei oftmals schlechtere Karten. Dies kann auch darauf zurückzuführen sein, dass die Bildung und die Berufstätigkeit vor der Flucht bei Frauen schon geringer war als bei Männern (Cheung, 2014). Auch wenn Frauen tendenziell weniger Ressourcen als Männer haben, so kann doch festgestellt werden, dass weibliche Flüchtlinge erfolgreich ankämpfen gegen die folgenden Einschränkungen:
- ihre Sprachdefizite,
- ihre formale Bildungsbenachteiligung,
- den initialen Verlust von sozialer Unterstützung und sozialen Netzwerken,
- kulturell-definierte Geschlechterrollen und
- geschlechtsspezifische Stereotypen (Koyama, 2014).
Erfreulich ist, dass das Interesse an geflüchteten Frauen und frauenspezifischen Themen in den aufnehmenden Gesellschaften steigt (Hussein, Manthorpe & Stevens 2011). Und auch die Bereitschaft, das Ankommen der Frauen zu unterstützen, nimmt – generell wissenschaftlich betrachtet – zu.
Auf der anderen Seite weisen Hussein und Kollegen (2011) auch darauf hin, dass nicht nur Frauen von den religiös-bedingten Einschränkungen betroffen sind beispielsweise Pflegedienste am anderen Geschlecht auszuüben. Da jedoch Pflegeberufe typischerweise eher von Frauen ausgeübt werden, müssen Beteiligte wie Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen entsprechend sensibilisiert werden. Denn dann kann es gelingen, für diese Frauen Arbeitsbedingungen zu schaffen, in denen sie trotz dieser Einschränkung und Vorbehalte arbeiten können.
Hier gibt es noch viel Handlungsbedarf. Ein erster Schritt dahin ist, sich der Besonderheiten der Frauen und Mädchen bewusst zu werden. Viele weitere Schritte müssen folgen.
Sonia Lippke, Jacobs University Bremen
Adelgund meint
Frauen flüchten aus vielen Gründen. Ich habe mal einen Artikel dazu gelesen (dessen link ich leider nicht mehr finden konnte), der eine große Vielfalt an Gründen darbietet, warum Frauen auf der Flucht sind. Interessanterweise ging es dabei meist um religiös motivierte Fakten, wie zum Beispiel Zwangsverheiratung, Verstümmelung von Geniatlien bei Frauen oder allgemeine Unterdrückung der Frau. Viel schlimmer finde ich es aber wenn Frauen, die nach EU flüchten, dann nicht mit diesen Sitten aufhöhren, sondern diese sogar an ihre Kinder weiterreichen .. Ich finde, die Politik ist hier gefordert und man muss eindeutig Schranken auflegen! Meine 5 cents dazu!
sabine meint
Ich kann deiner Aussage, dass es zu offenkundigem „der „alltägliche, verdeckte Rassismus“ kommt eigentlich nur zustimmen. Besonders in diesen Tagen sieht man das sehr gut und vor allem leider sehr OFT!! Allerdings wird sich das Problem bei Frauen, die von religiös-bedingten Einschränkungen betroffen sind , in den nächsten Tagen nur verstärken. Findest du nicht? Wie siehst du hier die nahe Zukunft? Danke und LG Sabine 🙂