Die Sonne hat sich langsam ein wenig verzogen, ein angenehmer Lufthauch zieht von der Weser her und bringt Gerüche nach Bratwurst und abgetragenem Leder mit sich. Von links schallt Gelächter und Musik aus dem Vereinsbistro, von rechts hinten höre ich, wie Stollenschuhe gegen Plastik prallen und ab und zu in eine Pfeife geblasen wird.
Ich sitze auf einer Tribüne am Fußballplatz des ATS Buntentor und schaue auf ein weiteres Fußballfeld. Sechs komplett in Rot gekleidete Personen springen über das Feld, beobachten sich, tarieren sich gegenseitig aus, dribbeln, schießen, rufen. Um mich herum sitzen Familienmitglieder und Interessierte. Links und rechts befinden sich Tore, an der einen Seite des Spielfelds sind große rote Fahnen in den Boden gesteckt worden. Auf dem Feld befinden sich kleine neongelbe Hütchen, wie sie oft bei Fußballtrainings verwendet werden. Es ist die typische Zeit und der klassische Ort für ein Vereinsspiel.
Nur dass es sich um kein Vereinsspiel handelt. Die Spielerinnen sind eigentlich Tänzerinnen, der Ball ist imaginär und das Fußballfeld fungiert hier als Bühne. Trainerin aka Choreografin Magali Sander Fett und ihr Team, das TanzKollektivBremen, zeigten ihre Tanz-Performance.
Die Performerinnen, das sind Magali Sander Fett aus Brasilien, Frauke Scharf aus Bremen, Miriam Röder aus Mönchengladbach, Veronica Bracaccini aus Rom, Ela Fischer aus Dakar und Neus Ledesma aus Barcelona. Für den Sound sorgt Jonas Wiese, das Bühnenbild beziehungsweise Fußballfeld wird von Till Botterweck gestaltet und für Kostüme ist Katja Fritzsche zuständig. Das TanzKollektivBremen versteht sich als Plattform für zeitgenössischen Tanz. Es geht dem Kollektiv um die tänzerische Auseinandersetzung mit der Realität und um die Relevanz und Ausdrucksformen des Körpers in der Gesellschaft.
Tänzerisches Spielen
Die wortwörtliche Feldforschung der Performerinnen zielt darauf ab, tänzerisch die Welt des Fußballs zu erkunden, die Regeln zu verstehen und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Tanz und Fußball zu erkennen. Tanz und Fußball haben erst mal nicht so viel gemeinsam. Könnte man denken. Wenn man dann aber die Tänzerinnen dabei beobachtet, wie sie typische Bewegungen aus dem Fußball in Tanz transformieren, bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Das Abrollen nach einem Sturz wird zur kontrollierten Choreografie, das augenscheinliche Spiel mit dem Ball wird zur zweisamen Tanzbewegung. Trotzdem ist es schwer, den Fokus auf alle Performerinnen gleichzeitig zu haben. Statt auf 11 Spieler*innen muss man sich zwar nur auf 6 Personen konzentrieren, trotzdem passiert in allen Ecken etwas, was man zwangsläufig verpasst, weil man mit den Augen nicht überall sein kann.
Es scheint, als hätten die Performerinnen diverse Fußballspiele scharfsinnig beobachtet und imitierten ein solches nun unverkennbar. Manchmal ist das Imitieren mehr ein Kommentieren mit leichtem Augenzwinkern, denn auch das betont stereotyp männliche Verhalten, was oft auf Fußballplätzen zu finden ist, wird hier reproduziert.
Eine Sprache
So wird indirekt mit dem Publikum kommuniziert, denn diese fußballerischen Akte sind universell und finden sich weltweit auf allen Fußballplätzen und können dementsprechend von jedem Publikum erkannt werden. Und da zeigt sich schon eine der ersten Parallelen: Fußball und Tanz haben zwar überall verschiedene Variationen, doch grundlegend verfügen sie über eine Sprache, mit der man sich überall auf der Welt verständigen kann. Um mit jemandem zu tanzen oder Fußball zu spielen, muss man sich verbal nicht verstehen. Die Regeln sind meistens klar und müssen nicht neu ausgehandelt werden.
Der internationale Aspekt wird innerhalb der Performance aufgegriffen, indem zwischendrin alle Performerinnen Wörter wie Abseits, Anzahl der Spieler*innen, Anstoß oder Einwurf in ein Mikro sprechen, nacheinander und in unterschiedlichen Sprachen. Die Wörter sind unterschiedlich, die Regeln aber gleich. Als in einem Teil der Performance ein erbitterter Kampf vor dem Tor imitiert wird, wird das kommentarisch von einer Performerin auf Französisch untermalt. Auch ohne alles zu verstehen, kann man vom Kontext und der Tonlage her darauf schließen, dass sie eine*n Fußballkommentator*in imitiert.
Dranbleiben!
Nach längerem Nachdenken fallen mir plötzlich immer mehr Vergleiche ein. Fußball und Tanz ähneln sich auch in dem, wie in der eigenen Entwicklung damit umgegangen wird. Viele Kinder fangen jung mit Fußball oder Ballett an, als Hobby nebenbei. Wenn aus dem Hobby aber mehr werden soll, vielleicht sogar eine berufliche Karriere, heißt es, dranzubleiben. Das heißt mehrmals die Woche zu trainieren, auf spezielle Schulen zu gehen und die Sportart künftig als erste Priorität zu sehen. Innerhalb dieses Prozesses passiert es in beiden Kompetenzen, dass sich ein eigener Stil entwickelt, in dem man tanzt oder spielt.
Unterschiedliches Klientel
Zwischendurch merkt man schon, dass man sich nicht bei einem tatsächlichen Fußballspiel befindet. Das Jubeln, Grölen und Klatschen der Zuschauenden fehlt, die Konventionen des Publikums zeigen mir, dass ich mich immer noch in einem Theater-Kontext befinde. Das Gesehene wird ganz anders rezipiert und der Fokus liegt auf anderen Dingen als beim Fußball. Die Momente, in denen die Musik aussetzt und die Performerinnen sich still über den Platz bewegen, sind beinahe irritierend und erinnern daran, dass man sich bei einer Performance befindet.
Regeln
Am Ende von „Kick&Rush“ sagt jede Performerin noch etwas über ihre jeweilige Auffassung von Regeln, positive und negative Aspekte. Diese Dinge sind ganz unabhängig vom Fußball, sie sprechen davon, wie Regeln helfen können, sich zu orientieren, um sich sicher zu fühlen, um klar zu wissen, was man tun muss. Sie schränken aber auch ein, beeinträchtigen die Kreativität und geben das Gefühl, nicht frei genug zu sein.
Auch bei der Performance merke ich immer wieder, dass die Regeln von Tanz und Fußball vermischt, neu ausgehandelt oder gänzlich weggelassen werden. Tanz und Fußball verschmelzen, werden eins, teilen sich dann wieder auf in zwei konträre Seiten, um sich dann in einzelnen Bewegungen wieder zu vereinen.
Am Ende des Spiels (oder der Aufführung?) finden sich die Spielerinnen/Tänzerinnen in einem Haufen zusammen, alle Arm in Arm in einem Kreis, um sich dann quasi auszuklappen und ganz theaterkonform zu verbeugen. Plötzlich fühle ich mich wieder wie nach einem Fußballspiel, es wird geklatscht und gejubelt, die Familienmitglieder begrüßen die Performer*innen und gratulieren zum guten Spiel und die ersten Kinder fangen an, auf dem nun leeren Platz einen Ball hin und her zu kicken.
Neue Termine:
SA 4.6. + SO 5.6. 2022
Uhrzeit: 19 Uhr
Wo: Gelände des ATS Buntentor auf dem Stadtwerder, Weg zum Krähenberg 1
Weitere Informationen zu dem Stück: spielplan (schwankhalle.de)
Anne Preuß
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