Bremen. Eine schwule Kneipe, verraucht, das Bier schal, die Gespräche laut. Ich sitze am Tresen und versuche – wieder mal – einer Horde ergrauter Herren zu erklären, warum „Fotograf“ nicht geschlechtsneutral ist.

Einer lacht. „Mädel, das ist doch alles Gendergaga. Ihr habt doch echt keine anderen Probleme, was?“
Oh, doch. Ich habe genug Probleme. Probleme, die sich auftürmen wie ein verdammter Berg, den ich alleine hochkraxeln muss, während meine männlichen Kollegen fröhlich mit der Seilbahn hochfahren. Ich bin selbstständig. Fotografin. Transfrau. Und ich bin verdammt müde davon, unsichtbar gemacht zu werden – durch eine Sprache, die mich ausradiert, durch ein System, das mich belächelt und durch eine Gesellschaft, die so tut, als wäre das alles nicht real.
Die Mär vom harmlosen „Fotograf“ – und wie Google das Problem verstärkt
Lass uns Klartext reden: Sprache formt die Realität. Punkt. Es gibt genug Studien, die belegen, dass Menschen bei „der Arzt“ an einen Mann denken. Bei „der Ingenieur“ auch. Bei „der Unternehmer“ ebenso. Frauen und nicht-binäre Menschen kommen in diesem Bild schlicht nicht vor.
Und jetzt kommt das eigentliche Problem:
Wir haben uns so sehr an das generische Maskulin gewöhnt, dass es in unserem Denken dominiert – und damit auch in unserer digitalen Infrastruktur.
Google ist darauf trainiert, das zu verstärken. Wenn du nach einem „Fotograf in Bremen“ suchst, bekommst du eine Liste voller männlicher Kollegen. Also sucht man gezielt nach „Fotografin Bremen“, um wirklich Frauen zu finden – und was passiert? Männer tauchen trotzdem in den Rankings auf.
Männer dominieren das generische Maskulinum, aber infiltrieren auch gezielt die weibliche Form. Das ist ein sich selbst erhaltendes System:
- Die männliche Form wird gegoogelt.
- Google zeigt vor allem männliche Anbieter.
- Männer bekommen die Aufträge, Frauen verschwinden aus den Ergebnissen.
- Die männliche Form bleibt die Norm.
- Selbst wenn Frauen gesucht werden, werden Männer trotzdem bevorzugt angezeigt.
Das ist kein Zufall. Das ist ein System, das Frauen wirtschaftlich benachteiligt – und niemand will es wahrhaben.
Wirtschaftliche Folgen: Wenn Männer die Bühne bekommen und Frauen die Rechnung zahlen

Jetzt mal Butter bei die Fische: Wie viele Frauen sind in Deutschland selbstständig? 34 Prozent. Nicht mal die Hälfte. Und das zieht sich durch alle Branchen. Warum? Weil das generische Maskulinum nicht nur Sprache betrifft – sondern Geld, Karriere und Sichtbarkeit.
Wenn ein männlicher Fotograf gesucht wird, taucht er auf. Wenn ich als Fotografin sichtbar sein will, muss ich doppelt so laut schreien. Denn während Männer als Profis wahrgenommen werden, darf ich mir stattdessen anhören:
„Zoé, warum trägst du beim Shooting eigentlich keinen Minirock?“
Und nein, das war kein dummer Spruch unter Kumpels. Das war ein ernst gemeintes Angebot – mit Geld. Ich sollte mich „nicht so zieren“, es gäbe ja genug andere, die sich darauf einlassen würden. Ein Mann in meinem Job bekommt Respekt. Ich bekomme Preisvorschläge für meine Würde. Und ich? Ich darf mich dumm und dämlich optimieren, während ich gleichzeitig damit klarkommen muss, dass mir manche Kunden weniger für meine Arbeit zahlen wollen – aber plötzlich bereit wären, mehr auszugeben, wenn ich das Shooting in High Heels mache.
Wenn Schwule zu Rechten werden und Feministinnen zu Gatekeepern
Aber weißt du, was noch schlimmer ist als das Schweigen der Männer? Der Verrat aus den eigenen Reihen. Wenn sogenannte „Feministinnen“ mit Whataboutism kommen: „Was bringt Gendern, wenn Frauen noch weniger verdienen als Männer?“ – als wäre es unmöglich, gegen mehrere Ungerechtigkeiten gleichzeitig zu kämpfen. Dabei ist genau diese Ungerechtigkeit Teil des Problems.
Sprache ist nicht nur ein Nebenkriegsschauplatz – sie ist ein Machtinstrument. Wenn Frauen sprachlich unsichtbar gemacht werden, dann spiegelt sich das auch in wirtschaftlicher Unsichtbarkeit wider. Wer sich gegen geschlechtergerechte Sprache stellt, unterstützt damit genau die Strukturen, die Frauen in schlechter bezahlte Berufe drängen und Care-Arbeit als selbstverständlich voraussetzen.
Und dann gibt es die anderen, die sich nicht nur anpassen, sondern gleich mit den Wölfen heulen.
Wenn schwule Cis-Männer sich demonstrativ vom Queersein distanzieren („Ich bin ja nur schwul, nicht queer.“ – Jens Spahn lässt grüßen), um sich im Patriarchat als „die guten Schwulen“ zu präsentieren. Wenn Frauen wie Alice Weidel sich in die Arme einer Partei werfen, die sie am liebsten zurück an den Herd schicken würde.
Und für was? Um den Patriarchen zu gefallen? Um sich den Applaus derer zu sichern, die sie nie als gleichwertig ansehen werden?
Böse Zungen wissen es schon lange: Wer glaubt, mit dem Faschismus kooperieren zu können, um sich selbst zu retten, wird am Ende nur als Letzter gefressen.
Man könnte ja mal Ernst Röhm fragen. Falls man eine Seance macht.
Das Problem ist real – also hört auf, es kleinzureden
Jede Frau, die sich selbstständig macht, hat zwei Jobs: Ihre eigentliche Arbeit und den ständigen Kampf um Sichtbarkeit.
Wenn du eine Fotografin suchst, findest du in den Ergebnissen erst mal zehn Fotografen. Wenn du eine Ärztin suchst, siehst du erst mal zehn Ärzte.
Das ist kein Zufall. Das ist ein System. Und solange sich daran nichts ändert, bleibt das generische Maskulinum nicht nur eine sprachliche Ungenauigkeit – sondern eine wirtschaftliche Waffe gegen alle, die nicht ins patriarchale Raster passen.
Und dann wundert sich die Gesellschaft, warum Frauen seltener selbstständig sind? Warum weniger Frauen in Führungspositionen sind? Weil Sprache ihnen schon in der Wahrnehmung diesen Platz nicht gibt.
Mein Name ist Zoé. Ich bin Fotografin. Und ich existiere.
Ich bin Fotografin, nicht Fotograf. Ich bin sichtbar. Ich lasse mich nicht aus diesem System rausschreiben.
Und wenn du das nächste Mal jemandem sagen hörst, dass Gendern ja so unwichtig sei – dann frag ihn doch mal, ob er bereit wäre, seine ganze Karriere lang als „Krankenschwester“ oder „Putzfrau“ bezeichnet zu werden. Mal sehen, wie unwichtig Sprache dann noch ist.
Und falls du eine Fotografin suchst, die ihren Job verdammt ernst nimmt, dann findest du mich hier:
www.photonenhexe.de.
Aber ich bin noch lange nicht fertig.
Das hier war nur der Anfang. Denn Sprache ist nur ein Teil des Problems.
Bleibt dran!
Kommentar von Zoé
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