Im Rahmen unseres Music Specials möchten wir euch drei ausgewählte Initiativen vorstellen, die sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Musikwelt einsetzen und durch das Empowerment von Frauen in und durch Musik die Musikindustrie nachhaltig verändern wollen.
1. Bechdel Sound Test (Großbritannien)
Gegründet wurde die Initiative Bechdel Sound Test Anfang 2018, auf dem Höhepunkt der #metoo-Bewegung und pünktlich zum 100-jährigen Bestehen des Wahlrechts für Frauen in Großbritannien. Die Initiatorin Lisa Connolly ist eine Londoner Filmstudentin, die aus einem kleinen Dorf in Sussex im Süden Englands stammt. Mittlerweile lebt sie seit über zehn Jahren in London.
Die Entstehung des Bechdel Sound Tests
Connolly war damals, bestärkt durch all die feministische Energie, bei einem Blick auf ihre Spotify-Liste aufgefallen, dass einige unglaublich gute weibliche Künstlerinnen nicht die Anerkennung bekamen, die sie ihrer Ansicht nach verdienten. Das brachte sie auf die Idee, eine Party in einem lokalen Second-Hand-Vinyl- und Buchladen zu veranstalten und all diese Musikerinnen zu feiern. Als Filmstudentin und Feministin verknüpfte sie ihre Idee mit der Anwendung des Bechdel-Tests, um das Bewusstsein für die Geschlechterkluft in der Musik in der Gesellschaft zu schärfen. Der Bechdel-Test oder auch Bechdel-Wallace-Test wird eigentlich als einfaches statistisches Hilfsmittel angewendet, um Geschlechterklischees und Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Filmen zu beurteilen und deutlich zu machen. Bekannt machte ihn 1985 die amerikanische Cartoon-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel in ihrem Comic Dykes to Watch Out For (deutscher Titel: Bemerkenswerte Lesben).
Um den Test zu bestehen und damit zu belegen, dass ein Film eigenständige weibliche Rollen beinhaltet, müssen die folgenden drei Fragen bejaht werden:
- Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?
- Sprechen sie miteinander?
- Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?
In neueren Varianten des Tests wird zusätzlich gefragt, ob die beiden Frauen im Film einen Namen haben. Es gab zwar vor 2018 bereits einige theoretische Überlegungen, den Test auch im Musikbereich anzuwenden, aber niemand hatte diesen Gedanken bis zu diesem Zeitpunkt in die Tat umgesetzt. Das nahm Lisa Connolly nun in die Hand und stellte die wichtigste Grundregel für den Bechdel Sound Test auf: Die Musik muss weiblich sein – alle Genres sind erlaubt.
Der Bechdel Sound Test bekommt Aufwind
Inzwischen hat das übersichtliche Projekt ordentlich Fahrt aufgenommen. Die Mission des gewachsenen Non-Profit-Kollektivs ist es, das Bewusstsein für das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Musikindustrie zu stärken, eine Plattform für aufstrebende Künstlerinnen zu schaffen und die Talente von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten in Musik und Kultur ordentlich zu feiern. In einem oft männerdominierten Musikumfeld veranstalten sie Gigs, eigene Clubnächte und Festivals, bei denen kreative Frauen im Mittelpunkt stehen. Die Veranstaltungen finden vorrangig in London statt, sollen aber schrittweise auf ganz Großbritannien ausgeweitet werden.
Du willst tiefer ins Thema einsteigen? Tipp zum Weiterlesen:
Eine spannende Lektüre zur Geschlechterkluft in der Musik ist der Report „Counting the Music Industry: The Gender Gap. A study of gender inequality in the UK Music Industry“ von Vick Bain, einer Expertin für Gleichberechtigung und Vielfalt in der britischen Musikindustrie.
2. Festival WOMEN IN JAZZ (Deutschland)
WOMEN IN JAZZ ist ein Festival für zeitgenössischen Jazz in Halle an der Saale, dessen Fokus auf der Präsentation von Jazzprojekten liegt, die künstlerisch von Frauen geleitet und verantwortet werden. WOMEN IN JAZZ hat Vorbilder in den USA, ist jedoch in Europa mit dieser besonderen Ausrichtung auf Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Kunst einzigartig.
Das erste Festival fand 2006 statt und hat die rasante Entwicklung des Frauenjazz aufgenommen und mitgestaltet. Erst nach der Jahrtausendwende begannen Musikerinnen, die internationale Jazz-Szene zu erobern und entscheidend mitzuprägen. Dem Festival ist es in den vergangenen Jahren gelungen, Vertreterinnen des Jazz von allen Kontinenten auf die Bühnen in Halle zu holen. In Mitteldeutschland ist WOMEN IN JAZZ zu einem kulturellen Highlight im Bereich der zeitgenössischen Musik geworden. 2019 wurde die Schallgrenze von insgesamt 100.000 Festivalbesucher*innen überschritten. Interessanterweise hat sich mit dem besonderen Festivalthema auch die, für ein Jazzfestival übliche, Besucherstruktur gewandelt: über die Hälfte des Publikums ist weiblich.
2020 wurde dann der Wettbewerb WOMEN IN JAZZ – NEXT GENERATION VIRTUELL gestartet. 22 Jazzmusikerinnen waren dabei und 1.700 Jazzfans haben die Projekte über die Internetplattform des Festivals bewertet. Die Gewinnerin Isabella Effenberg (PL) wird im Mai 2021 zum 16. Festival WOMEN IN JAZZ ein Konzert geben.
Eine weitere Aktion im Rahmen des WOMEN IN JAZZ ist der JAZZ GIRLS DAY. Er richtet sich an Mädchen von 10 bis 18 Jahren, die Lust haben, in einer Band zu spielen. Sie sind herzlich zu einem Workshop-Tag und gemeinsamen Nachmittagskonzert eingeladen, weitere Infos zur Anmeldung gibt es hier.
3. Women in Vinyl (USA)
Women in Vinyl wurde 2018 von Jenn D’Eugenio gegründet, einer Sales & Customer Service Managerin bei Furnace Record Pressing mit Sitz in Alexandria, Virginia.
Alles startete mit einem Blog, einer Website und den dazugehörigen Social Media Accounts, um Geschichten von Frauen, die in der Musikindustrie tätig sind, rund um den Globus publik zu machen. 2020 begann Women in Vinyl mit dem Aufbau eines Gremiums, bestehend aus starken Persönlichkeiten und den unterschiedlichsten Bereichen der Musik- und Vinylindustrie, um so ein gemeinnütziges, umfassendes Netzwerk zu schaffen, das Mädchen und Frauen mit Hilfe von Stipendien, Mentor*innen, Jobbörsen, Entwicklung von Business-Plänen und Workshops auf ihrem Karriereweg gezielt unterstützt.
Die Organisation macht Erfolge sichtbar und vor allem hörbar, sammelt und teilt Wissen und Ressourcen, inspiriert, schafft Vorbilder und gibt Frauen die Werkzeuge an die Hand, die sie brauchen, um sich in der Musikwelt Gehör zu verschaffen.
Anja Hermann
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