Kommentar der Landesfrauenbeauftragten Bettina Wilhelm:
“Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit haben für die neue Koalition einen hohen Stellenwert, und an vielen Stellen des Vertrags ist beschrieben, wo die Regierung hier nachlegen will. Vieles von dem, was vor vier Jahren begonnen wurde, wird fortgesetzt, ausgebaut und soll finanziell hinterlegt werden. Mit Blick auf die vergangene Legislaturperiode ergibt sich für mich ein Bild der Kontinuität und der Verstärkung, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit in Bremen geht – das ist folgerichtig und sehr zu begrüßen.
Arbeit und Wirtschaft
Dass die in der vergangenen Legislaturperiode beschlossene Landesstrategie Geschlechtergerechtigkeit und Entgeltgleichheit nun durch ein Landesaktionsprogramm und eine Senatskommission intensiviert und breiter aufgestellt werden soll, ist konsequent und sehr erfreulich. Frauen brauchen bessere Chancen und Zugänge am Arbeitsmarkt. Dies ist ein ganz wesentlicher Baustein in der Armutsbekämpfung. Doch auch im Bereich Wirtschaft muss Geschlechtergerechtigkeit mehr als bisher Thema sein. Punktuell wird in diesem Kapitel auf Frauen Bezug genommen, aber insbesondere wenn es um Zukunftsbranchen geht, hätte ich mir konkretere Aussagen gewünscht, dass und wie sie als Zielgruppe erreicht werden sollen. Der bisherige Ressortzuschnitt Arbeit und Wirtschaft hat sich bei der Erstellung der Landesstrategie als hilfreich und sinnvoll erwiesen. Ich hoffe, dass trotz der neuen Ressortzuschnitte beide Abteilungen weiterhin an einem Strang ziehen und die Umsetzung der Landesstrategie zügig vorantreiben. Damit in Bremen auch für Frauen mehr gute Jobs entstehen, müssen sie bei den anstehenden digitalen und ökologischen Transformationsprozessen der Wirtschaft konsequent mitgedacht werden.
Kinderbetreuung
Kinderbetreuung ist die entscheidende Stellschraube für die Teilhabe von Frauen an der Erwerbstätigkeit. Sie umfassend zu stärken und auszubauen, Zeiten bedarfsgerecht zu gestalten und flexibel zu ermöglichen, ist so richtig wie unumgänglich. Sich eine Versorgungsquote von 110 Prozent zu setzen, ist neu und ein Meilenstein für eine bedarfsgerechte Versorgung. Das größte Hemmnis für den Ausbau ist jedoch nach wie vor das fehlende Fachpersonal. Um dem entgegenzuwirken, braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel, wozu auch der Ausbau der gut nachgefragten praxisintegrierten Ausbildung (Pia) gehört. Dort die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen, ist längst überfällig.
Alleinerziehende
Alleinerziehende sollen mit verschiedenen Maßnahmen unterstützt werden. Das ist nicht neu und unverändert wichtig. Ich hoffe, dass die vereinbarten Maßnahmen mehr als bisher ihre Kraft entfalten können. Ein-Eltern-Familien, die meisten von ihnen Frauen, tragen ein sehr hohes Armutsrisiko. Auch hier gilt: Armut kann nur dann wirkungsvoll vermindert werden, wenn diese Zielgruppe umfassend unterstützt wird. Ein Aktionsplan Alleinerziehende muss allerdings mit Ressourcen ausgestattet werden, wenn er Wirkung zeigen soll.
Gewaltschutz
Der Landesaktionsplan Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt soll weiter umgesetzt und vor allem ausfinanziert werden. Zentrale Maßnahmen wie die Finanzierung der Gewaltschutzambulanz oder die Erhöhung der Frauenhausplätze sind zugesagt. Auch der Schutz vor digitaler Gewalt soll verbessert, Polizei und Justiz hier geschult werden. Das ist richtig und nur zu begrüßen.
Frauengesundheit / Geburtshilfe / Reproduktive Gesundheit
Dass Gesundheitsangebote quartiersnah, kultur- und gendersensibel sowie muttersprachlich angeboten werden sollen, ist der richtige Ansatz. Zudem ist angekündigt, die barrierefreie gynäkologische Versorgung von Frauen mit Behinderungen zu unterstützen, auch in den Stadtteilen. Im Bereich der Geburtshilfe ist geplant, Hebammen mit verschiedenen Maßnahmen zu stärken, darunter ein Landesprogramm zu ihrer Fortbildung und Unterstützung. Weitere hebammengeleitete Kreißsäle sollen eingerichtet, die freie Wahl des Geburtsorts durch personelle und strukturelle Verstärkung gesichert werden. All das muss geschehen, wenn die Situation in der Geburtshilfe besser werden soll. Die angespannte Situation bei Schwangerschaftsabbrüchen soll ebenfalls verbessert werden. Bei der Methode sollen Frauen die Wahl haben, und auch in Bremerhaven sollen ungewollt Schwangere endlich Zugang zu Abbrüchen haben. Dies sind gute Nachrichten, wenn es um das uneingeschränkte Recht von Frauen auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper geht.
Bildung und Wissenschaft
Im Bildungsbereich ist die Wirkmacht von Geschlechterstereotypen erkannt und beschrieben. Es freut mich auch, dass das Schulprojekt der ZGF “Be oK – Berufsorientierung und Lebensplanung ohne Klischees” zusammen mit weiteren Projekten fortgeführt werden soll. Was fehlt, ist die Förderung von Frauen im MINT-Bereich, sie wird an einer Stelle zwar genannt, aber nicht messbar konkretisiert. Dabei ist sie nach wie vor notwendig, und das im Hinblick auf den verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz umso mehr. Denn nur wenn alle Geschlechter an ihrer Entwicklung beteiligt sind, kann es gelingen, verschiedene Lebenswirklichkeiten abzubilden sowie Diskriminierungsrisiken vorher zu erkennen und zu minimieren.
Gesetzesvorhaben
Ein sehr positives Novum ist der verabredete Gender-Check bei allen Gesetzesvorhaben. Geschlechtergerechtigkeit als Kriterium im Vorhinein für neue Gesetze anzulegen, ist deutlich sinnhafter und effektiver als im Nachhinein Fehler zu korrigieren. Damit dieses neue Instrument eine Chance auf Akzeptanz und Umsetzung hat, ist es aber unerlässlich, hierfür Kompetenzen und Kapazitäten bei den Zuständigen aufzubauen.
Frauenprojekte
Wir freuen uns, dass die Arbeit des Bremer Frauenausschuss als Dachverband der Frauen- und Mädcheneinrichtungen im Land Bremen endlich eine finanzielle Grundausstattung für seine Arbeit bekommen soll, ebenso wie das Bremer Frauenmuseum einen festen Standort erhalten soll. Auch dem reichweitenstarken queerfeministischen Online Portal frauenseiten wird Absicherung zugesagt – all das sind gute Nachrichten. Die Interessenvertretung und Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen im Land Bremen wird so strukturell gestärkt.
Fazit
Alles in allem sind Gleichstellungsziele und Geschlechtergerechtigkeit im neuen Koalitionsvertrag in vielen Bereichen formuliert und ausbuchstabiert. Entscheidend wird jedoch die Hinterlegung mit Ressourcen sein: mit Geld und mit personellen Kapazitäten. Ohne diese beiden Faktoren werden viele gute und wichtige Maßnahmen nur auf dem Papier bestehen. Bestes Beispiel hierfür ist das Gender Budgeting (Geschlechterperspektive als Haushalt-Kriterium), das nun flächendeckend eingeführt werden soll: Ohne hier personelle Ressourcen an den koordinierenden und beratenden Schaltstellen aufzubauen, wird dieses Vorhaben nicht gelingen. Das hat der ambitionierte, aber unterm Strich wenig wirksame Gender-Check beim Bremen-Fonds in der Corona-Zeit leider bewiesen. Die Haushaltsaufstellung im Herbst wird zeigen, welche Vorhaben die Koalition priorisiert und umsetzen wird. Ich gehe davon aus, dass die neue Regierung hier keinen Wunschzettel, sondern eine Planung mit Realisierungsanspruch vorgelegt hat.”
Pressemeldung vom 27.06.2023 – Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau
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