Zum Stand aktueller Frauenpolitik und ebenjener in Bremen gibt uns die Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm in einem Interview Auskunft.
Was sind aus Ihrer Sicht aktuelle frauenpolitische Themen in Deutschland?
Bettina Wilhelm: Dazu zählen Equal Pay, die Auswirkungen der Digitalisierung, die Debatten um Schwangerschaftsabbrüche und das so genannte Werbeverbot, also § 218 und § 219a, sowie das Ringen um Paritätsgesetze, um eine Quote für Parlamente. All diese und andere Themen gewinnen unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie nochmal neue Brisanz. Corona wirkt wie ein Brennglas und verstärkt die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Sie haben in den vergangenen Monaten einen massiven Roll back erlebt: homeoffice, homeschooling, Haus- und Sorgearbeit beanspruchen vor allem sie über die Maßen. In den systemrelevanten Berufen liegt der Frauenanteil bei 75 Prozent: Frauen kümmern sich als Pflegende und Ärztinnen um Erkrankte, sitzen als Kassiererinnen im Supermarkt und wuppen mehrheitlich die Mehrfachbelastung zu Hause. Frauen- und gleichstellungspolitische Forderungen wie Equal Pay, eine Aufwertung der Care-Berufe, flexible und verlässliche Kinderbetreuung sind aktueller denn je. Hinzu kommt, dass Branchen, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, wie Hotel- und Gastgewerbe, Tourismus oder Kultur sowieso nicht die beste Bezahlung und Arbeitsbedingungen haben, von der Krise aber besonders stark betroffen sind. Minijobs – mehrheitlich von Frauen ausgeübt – sind die ersten, die in der Krise wegfallen. Das Kurzarbeitsgeld wird nach dem Nettolohn berechnet, womit den Frauen mal wieder das ungerechte Ehegattensplitting auf die Füße fällt. Mein Fazit: Frauen zahlen derzeit drauf, in jeder Hinsicht. Das muss und wird landes- und bundespolitisches Thema sein. Deshalb fordern wir eine geschlechtergerechte Verteilung der Fördermittel im Bund, aber auch in Bremen und Bremerhaven.
Mit welchen Themen beschäftigt sich die Bremische Frauenpolitik allgemein?
Bettina Wilhelm: Großes Thema für Bremen ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die im Bundesvergleich den letzten Platz belegt. Dazu zählt auch der hohe Anteil Alleinerziehender, die ohne Ausbildung oder Erwerbsarbeit sind und ein hohes Armutsrisiko tragen. Der Bremer Arbeitsmarkt ist geprägt von männerdominierten Branchen wie Logistik oder Luft- und Raumfahrt, die auch als Zukunftsbranchen explizit gefördert werden. Hier beispielsweise die Gesundheitswirtschaft als weitere, zu fördernde Zukunftsbranche zu etablieren, muss ein Ziel sein. Weitere Themen sind aktuell die Umsetzung der Istanbul-Kovention, das ist das Übereinkommen des Europa-Rats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder. Hier hatten wir gerade den Auftakt für einen Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen und Kindern – eine Gesamtstrategie, die Bestehendes bündelt und aufeinander abstimmt, Lücken identifiziert und schließt. Das ist ein großer, wichtiger Prozess, der in einem Jahr abgeschlossen sein soll. Gerade in der vergangenen Woche sind Berichte von rassistischen und sexistischen Drohungen in der Bremer Feuerwehr an die Öffentlichkeit gelangt – dieser aktuelle Anlass belegt einmal mehr die Wichtigkeit des Themas.
Gibt es Besonderheiten in Art und Umsetzung in der Bremer Politik? Unterscheiden sich die Themen von anderen Bundesländern?
Bettina Wilhelm: Frauen in Bremen haben aus verschiedenen strukturellen Gründen ein hohes Armutsrisiko. Zum Teil weist das auf Strukturen, die vielen Großstädten gemein sind – zum Teil sind es aber auch Bremer Spezifika. Dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen so gering ist, hat auch spezifisch bremische Gründe, Stichwort Wirtschaftsstruktur. Umso dankbarer bin ich, dass die Regierung nun mit ihrem Aktionsplan für Alleinerziehende einen sehr wichtigen Faktor von Armutsgefährdung angeht, den Fachleute – darunter die ZGF (Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau, Anm.d. Red.) – seit über einem Jahrzehnt benannt, analysiert und als Handlungsfeld deutlich aufgezeigt haben.
Hat sich die Bremische Frauenpolitik in den letzten Jahrzehnten verändert? Wie genau?
Bettina Wilhelm: Die ZGF begeht im kommenden Jahr ihr 40jähriges Jubiläum, und natürlich hat sich Frauenpolitik seither verändert. Die Belange von Frauen und auch Männern mitzudenken, ist viel selbstverständlicher geworden. Es ist nach wie vor nicht immer einfach, aber die Haltung und Erkenntnislage der politisch Handelnden, das Wissen um benachteiligende Strukturen, ist ein ganz anderes als noch vor Jahrzehnten. Wir argumentieren immer noch gegen die alten Rollenmuster, aber der Wille sie wirklich zu knacken, ist deutlicher zu spüren, größer, als noch vor Jahren. Auch haben frauen- und gleichstellungspolitische Themen in den öffentlichen Debatten in den vergangenen Jahren eine ganz neue Konjunktur bekommen, Stichworte sind hier die #Aufschrei- und #MeToo-Debatten oder Equal Pay.
Wie können Frauen in Politik einsteigen?
Bettina Wilhelm: Politisches Engagement kann schon in der Schule beginnen, als Klassen- oder Schulsprecher*in, aber auch bei Debattierwettbewerben. Wie tough und politisch engagiert junge Frauen sind, erlebe ich alljährlich beim „Young Women in Public Affairs Award“, den Zonta Bremen vergibt. Fridays for future hat ein unglaubliches Aktivierungspotenzial, hier sind junge Frauen die führenden Köpfe. Engagement beginnt heute vielfach im Netz: in den sozialen Medien, wo ich mich äußere, eine Haltung einnehme, argumentiere, überzeuge oder eben auch nicht – und so merke, wie ich beitragen kann, eine Haltung zu zeigen und im besten Fall Zustände zu verändern. Hier kann ich mir auch Verbündete suchen. Der Instagram-Account „frauenmachtpolitik“ ist ein mutmachendes Beispiel. Dass wir jetzt, im zweiten Lockdown, noch nicht so viele Lösungen, aber einen deutlich anderen Blick auf die Frauenperspektive unter Corona haben, hat ganz sicher auch mit den massiven, lauten Netzdebatten zu dem Thema zu tun. Natürlich gibt es im etablierten Politiksystem Strukturen, die Frauen eher abschrecken: späte, lange Sitzungstermine, viel zeitaufwändige Netzwerkerei in Vereinen und anderen lokalpolitischen Gremien. Netzwerken und miteinander reden muss ganz sicher sein, aber weder spät noch lang noch zwingend in den bestehenden Strukturen. Das haben viele Politikschaffende bereits erkannt und arbeiten daran.
Frauen in der Politik sind nicht automatisch frauenpolitisch aktiv. Wie schätzen Sie den Status Quo von sichtbaren Politikerinnen im Land Bremen ein?
Bettina Wilhelm: Der Frauenanteil an der Regierung ist hoch, auch der Frauenanteil im Parlament ist besser geworden. Frauen- und Queer-Politik hat in der aktuellen Regierung einen höheren Stellenwert als in den vorangegangenen. Ich erlebe viele Bremer Politikerinnen als sehr profiliert, bestens informiert und hoch engagiert, die diskriminierende oder hemmende Strukturen in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich angehen und umgestalten. Zugleich muss ich oft feststellen, dass Frauenpolitik immer noch eher Detail oder Nebenaspekt ist und nicht als Querschnittsthema mitgedacht wird. So werden zum Beispiel Anfragen an den Senat oft nicht geschlechtsspezifisch gestellt und in der Folge auch so nicht beantwortet, was dann gelegentlich den Blick auf Strukturen und Ursachen versperrt.
Was wünschen Sie sich für die Bremer Frauenpolitik 2021?
Bettina Wilhelm: Frauenpolitik ist zentral, wenn es um Gerechtigkeitsfragen geht. Der gerechte Ausgleich aller berechtigten Interessen ist Wesenskern der Demokratie. Gleichstellung ist ein Gradmesser für Demokratie. Sexismus ist eine Verletzung der Menschenwürde, Häusliche Gewalt die größte Menschenrechtsverletzung weltweit. Das müssen wir klar vor Augen haben und entschieden dagegen vorgehen. Auch bei dem für Bremen so wichtigen Thema der Digitalisierung gibt es gravierende geschlechterpolitische Aspekte, die im Fokus sein müssen. Hier wünsche ich mir viel Power, die uns gemeinsam und auf Augenhöhe in eine faire und gerechte Zukunft führt.
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