Geistergeschichten gibt es schon seit jeher. Jede*r hat sicher schon mal eine gehört – egal wo man lebt oder aufgewachsen ist. Denn jede Kultur scheint ihre eigenen Gespenster zu haben. Auffällig viele davon sind weiblich. Warum dem so ist, kann ich auch nicht erklären. Aber ich möchte euch heute, anlässlich des Halloweenfestes, die bekanntesten weiblichen Spukgestalten aus Europa, Asien und Mittelamerika vorstellen.
????Deutschland und Resteuropa: Die Weiße Frau
Dieses Gespenst soll an vielen europäischen Schlössern anzutreffen und die ruhelose Verstorbene des jeweiligen Adelsgeschlechtes sein. Die meisten Berichte von Sichtungen stammen aus dem 17. Jahrhundert.
Die bekannteste deutsche Weiße Frau ist der Geist der Gräfin Kunigunde von Orlamünde. Frisch verwitwet und Mutter zweier kleiner Kinder wollte Kunigunde Albrecht von Hohenzollern heiraten. Dieser ließ verbreiten, er würde sie nur heiraten, wenn nicht „vier Augen“ im Wege stünden. Obwohl damit wohl seine Eltern gemeint waren, die eine Hochzeit ablehnten, bezog Kunigunde die „vier Augen“ auf ihre zwei Kinder. Um Albrecht heiraten zu können, durchbohrte sie die weichen Schädel ihrer beiden Dreijährigen mit einer Nadel und tötete sie. Später, von ihrem schlechten Gewissen geplagt, gründete sie ein Kloster und verstarb dort als Äbtissin. Doch auch im Tod fand sie keine Ruhe und soll darum bis heute in der Gegend herumspuken, auf der Suche nach ihren Kindern.
Die Weiße Frau ist nicht per se bösartig oder gefährlich. Jedoch kündigt sie familiäre Todesfälle an. Hierin ähnelt sie der Banshee, die alteingesessenen irischen Familien zugeordnet wird und einige Tage vor dem Tod eines Familienmitgliedes vor deren Fenster sitzt und weint. Auch die Banshee trägt ein weißes Kleid, ist aber, im Gegensatz zur Weißen Frau, sehr alt und hat glutrote Augen. Ein interessanter Unterschied ist auch, dass die Person, deren Tod angekündigt wird, das Klagen selbst nicht hört. Diejenigen, die es hingegen hören, soll die Stimme der Banshee in den Wahnsinn treiben.
????Lateinamerika: La Llorona (dt. “Die Weinende”)
Dies ist, so erzählt man sich in Mexiko, Panama und Costa Rica, der Geist einer Frau, den man an Flüssen antreffen soll. Denn sie sucht dort bis in alle Ewigkeit weinend nach ihren ertrunkenen Kindern. Je nach Landesversion ertränkte die Frau entweder ihre Kinder aktiv, weil sie ihrer Vermählung mit einem Mann im Wege standen, oder weil der Ehemann die Kinder mehr liebte als sie. In einer anderen Variante war die Frau verantwortungslos, ließ ihre Kinder nahe eines Flusses unbeaufsichtigt spielen und kam zu spät, um sie vor dem Ertrinken zu retten.
????Japan: Kuchisake-onna (dt. „Frau mit zerrissenem Mund“)
Diese Frau ist ein Wesen der japanischen Mythologie und gilt als besonders bösartig. Sie soll eine schöne junge Frau sein, die ihren Mund mit einer Chirurgenmaske verdeckt. Damit fällt sie nicht weiter auf, denn gerade in der Grippesaison zählt es in Japan zum guten Ton, die Mitmenschen mittels Mundschutz vor den eigenen Keimen zu schützen. Kuchisake-onna lauert nachts Menschen auf und fragt diese “Bin ich schön?” Antwortet man mit “Ja.”, dann nimmt sie ihre Maske ab und offenbart darunter einen fürchterlich entstellten Mund. “Auch jetzt noch?”, fragt sie ihr Opfer dann. Was man daraufhin antwortet, entscheidet über das eigene Schicksal. Sagt man “Ja.”, so zückt sie eine große Schere und schneidet ihrem Opfer den Mund auf, damit es genauso “schön” wird, wie sie. Antwortet man “Nein.”, so tötet die Frau einen sofort. Fluchtversuche sind zwecklos, denn sie ist übermenschlich schnell. Die beste Antwort, die man Kuchisake-onna geben kann, ist eine ausweichende. Etwa “Naja, so la la.” oder “Durchschnittlich.” Das verwirrt sie angeblich und man kann ihr entkommen.
Doch warum hat die Kuchisake-onna überhaupt ein entstelltes Gesicht? Die Legende dazu beruht wohl auf einer alten Geschichte aus dem achten Jahrhundert. Sie handelt von einer bildschönen Frau, die mit einem reichen Samurai verheiratet war. Ihr Mann war jedoch krankhaft eifersüchtig und bezichtigte sie eines Tages im Streit der Untreue. Er schnitt ihr mit seinem Schwert eine klaffende Wunde von Ohr zu Ohr und fragte “Wer wird dich jetzt noch schön finden?”
In Südkorea kennt man übrigens ebenfalls die Frau mit zerrissenem Mund. Allerdings erzählt man sich dort eher die moderne Legende, dass eine eitle Frau bei einer Schönheitsoperation verunstaltet wurde.
????Großbritannien und USA: Bloody Mary
Die Bloody Mary ist ein rachsüchtiger Geist, der in Spiegeln erscheint. Die Gestalt ist heutzutage vielen aus viralen Horrorgeschichten, sogenannten Creepypastas, bekannt. Besonders die Mutproben, die die Erscheinung herbeirufen sollen, sind im Internet in etlichen Varianten verbreitet und vor allem bei Jugendlichen beliebt. Danach soll man vor dem Badezimmerspiegel bei Kerzenschein mehrmals hintereinander „Bloody Mary“ flüstern. Bei richtiger Ausführung des Rituals soll im Spiegel eine junge Frau mit langen Haaren und totenbleicher Haut erscheinen, manchmal auch mit blutiger Schnittwunde im Gesicht. Laut einer anderen Variante der Geschichte soll hingegen keine Geisterfrau im Spiegel erscheinen, sondern das eigene blutverschmierte Spiegelbild.
Zart Besaitete, bitte überspringt den folgenden Kurzfilm lieber:
In früheren Zeiten ermutigte die Legende junge Mädchen, in der Dunkelheit, nur mit einer brennenden Kerze und einem Handspiegel rückwärts eine Treppe hinaufzusteigen. Wenn sie dann in den Spiegel sahen, sollten sie ihren zukünftigen Gemahlen sehen können. Wenn sie Pech hatten, sahen sie stattdessen aber einen Totenschädel. Dann wussten die Mädchen, dass sie noch vor ihrer Hochzeit sterben würden.
Der Name Bloody Mary ist wahrscheinlich auf Maria Tudor zurück zu führen. Sie erhielt ihren Beinamen von protestantischen Gegnern aufgrund ihrer äußerst gewaltsamen Versuche, den Katholizismus im Königreich zu re-etablieren.
Für diejenigen, die beim Titel Bloody Mary Durst bekommen haben, gibt es unten ein Rezept für den berühmten gleichnamigen Cocktail. Hiermit also “Cheers” und Happy Halloween!????????
Juliane Hentschel
Irene meint
Vielen Dank für diesen spannenden, sehr informativen Artikel! Bisher habe ich mir über Geister, insbesondere weibliche, noch kaum ernsthaft Gedanken gemacht. Was mir jetzt aber auffällt: Frauen haben ihre Kinder über alles zu stellen, einen eventuell unbekannten Ehemann zu akzeptieren und schön zu sein. Sonst erfolgt Strafe! Aber das kennen wir ja eigentlich schon….