Ich nutze meine Hände. Ich erlerne ein Handwerk. Mit meinen 10 Fingern und meinen Handkanten kann ich meiner detektivischen Leidenschaft folgen und verborgene Kinder im Mutterleib aufspüren. Schon in der frühen Schwangerschaft wächst nicht nur der Embryo, sondern auch die ganze Gebärmutter. Diese richtet sich auf, wie ein Luftballon wird sie immer größer und bläht sich auf. Das Kind wächst. Aus einem Embryo wird ein Fetus, aus einem Fetus wird ein Baby. Ein Kind. Ein Mensch.
Der erste Leopold-Handgriff
Die vier wichtigsten Handgriffe einer Hebamme lerne ich jeden Tag und nutze jede Gelegenheit zu üben. Mit dem ersten Leopold-Handgriff taste ich den Fundus, den Höhenstand der Gebärmutter. Die obere Kante reicht in der 36. Schwangerschaftswoche (SSW) bis maximal unter den Rippenbogen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Atmen für viele Frauen deutlich erschwert, doch mit dem Eintreten der Senkwehen ändert sich das zur Erleichterung aller wieder. Gut atmen können ist wichtig für die Geburt selbst. Hier müssen alle Kräfte gebündelt werden. Durch das Ertasten des Fundus kann ich abschätzen, ob sich das Kind regelrecht entwickelt. Ist es groß genug oder noch etwas zu klein für die SSW? Stimmt der errechnete Termin mit meinem Tastbefund überein oder gibt es Abweichungen? Taste ich den Kopf oder den Po oben?
Der zweite Leopold-Handgriff
Als nächstes taste ich, auf welcher Seite der kindliche Rücken liegt und wo sich Füße und Hände befinden. Dafür suche ich an den Seiten des Bauches, wo ich ein durchgängiges Körperteil, sprich den Rücken, finde. Wenn CTGs (Cardiotocography – Wehenschreiber) geschrieben werden müssen, kann der Herzton des Kindes am Rücken besser abgeleitet werden. Ein Dopton (tragbarer Wehenschreiber) oder mein Pinard-Rohr setze ich ebenfalls dort an. Auf der anderen Seite des Bauches fühle ich dann, ob ich Füße und Hände finden kann. Ich beziehe die Mutter mit ein und frage, ob sie dort mehr Kindsbewegungen spürt und häufiger mal getreten wird. Manchmal werde ich getreten, dann weiß ich, ich liege richtig mit meiner Einschätzung. Mit beiden Händen schiebe ich das Kind etwas hin und her, so kann ich das Gewicht des Kindes und die Fruchtwassermenge abschätzen. Mittlerweile habe ich schon ein relativ gutes Gefühl, finde ich.
Der dritte Leopold-Handgriff
Mit dem dritten Leopold-Handgriff fühlen wir Hebammen über der Symphyse, dem Schambein, ob Kopf oder Po unten liegen, sprich unter der Geburt vorangehen werden. Diese Information wird zum Ende der Schwangerschaft immer wichtiger, denn mit dem Größerwerden des Kindes wird auch der Platz in der Gebärmutter immer enger. Die Kinder drehen sich dann nicht mehr so einfach um 180°. Es ist vor Beginn der Geburt wichtig zu wissen, ob es sich um eine Kopflange oder eine Steißlage handelt, denn das Vorgehen, die Begleitung der Hebamme, unter der Geburt ändert sich. Kopf und Steiß fühlen sich unterschiedlich an, so ist es relativ leicht zu erkennen, welches Körperteil vorangehen wird. Der Kopf lässt sich hin und her bewegen und ist fester als der Po des Kindes. Dieser ist weicher und schmaler. Ist kaum noch eine Bewegung möglich, ist der Kopf oder der Steiß schon ins Becken eingetreten.
Der vierte Leopold-Handgriff
Der vierte Handgriff von Leopold gibt Aufschluss darüber, ob der vorangehende Teil (Kopf oder Steiß) noch über dem Becken liegt oder schon tiefer eingetreten ist, wie weit und in welcher Position. Dieser Handgriff eignet sich für die Mütter, um ein Gespür für ihren Körper, ihr Becken und das Zusammenspiel von Kind und Becken zu bekommen. Dazu schiebt sie beide Hände flach mit den Fingerspitzen unter das Schambein, nur so weit es geht. Gegen Ende der Schwangerschaft, wenn der vorangehende Teil tiefer tritt, ist kein Platz mehr für die Hände. Dieser Handgriff kann etwas schmerzen und wir tasten diesen dann nur noch wenn nötig.
… und deren Anwendung auf der gynäkologischen Station
Aktuell bin ich auf der gynäkologischen Station tätig und mit den Frauen zusammen kann ich viel über frühe Schwangerschaftswochen lernen. Zusammen nehmen wir uns die Zeit, noch mal fern der medizinischen Überwachung Bezug zwischen dem Körper der Frau und dem Kind herzustellen. Manchmal kennen die Frauen die Leopold-Handgriffe noch nicht, oft wissen sie über ihr Kind zu recht ganz anders Bescheid als ich. Die Gespräche, während meinem Übungsdurst sind so wertvoll, für die werdenden Mütter und für mich. Der Krankenhausalltag wird kurzfristig weniger reglementiert und weniger langweilig. Ich genieße es so sehr, mehr über mein neues Handwerk zu erfahren und weiterzugeben.
Alle Hände voll zu tun!
Am Ende meines letzten Einsatzes im Kreißsaal kamen wir aus einer anstrengenden Geburt. Meine Anleitungshebamme und ich hatten alle Hände voll zu tun, um die Geburt gut zu begleiten und zu betreuen. Es gab mehrere Komplikationen verschiedenster Art. Letztlich hielt die Mutter ein quietsch-fideles Baby in den Armen und hatte das Gefühl, diese Geburt ist besser verlaufen als ihre letzte. Alles nochmal mehr als gut gegangen. Nach einer kurzen Verschnaufpause musste die Hebamme die Geburt dokumentieren, davon bin ich noch befreit. Ich durfte in der Zeit bei einer Erstgebärenden mit Verdacht auf Blasensprung CTG schreiben. Aber mit allem was dazu gehört. Yes, so gern. Ich kam in den Kreissaal und wurde begrüßt mit: „Also eigentlich glaub ich nicht mehr, dass das ein Blasensprung war, aber ich bin so aufgeregt.“ Ein Grinsen auf meinem Gesicht.
Und ganz viel Vorfreude
Die werdenden Eltern waren so unglaublich positiv, so voller Vorfreude und wussten nicht, aus welcher Geburt ich gerade kam. Es war wunderschön mit beiden zusammen den Bauch abzutasten, mit dem Pinard-Rohr Herztöne zu erahnen, das CTG zu erklären, zu hören wie weit die Vorbereitungen für den Nachwuchs zu Hause schon sind, welches Elternzeitmodell geplant ist und, und, und. Diese drei haben aus einem gut anstrengenden Tag, mit ganz viel Input für mich, einen richtig schönen Tag gemacht. Als das CTG fertig war und die werdenden Eltern auf die Ärztin warteten, habe ich mich auf den Weg nach Hause gemacht, immer noch grinsend und mit ganz viel Vorfreude auf den nächsten Tag im Kreißsaal.
Lea Finster
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