Das dritte Jahr hat begonnen. Ich bin sehr aufgeregt. Was kann ich, was nicht? Wie soll ich das alles lernen? All diese Fragen werden mich nun begleiten und Antworten werde ich finden: einige, nicht alle. Neue Fragen werden sich ergeben, da bin ich ganz sicher.
Entscheidungen treffen
In meinem Ausbildungskrankenhaus dürfen wir Schülerinnen nach der Übergabe als Erste auswählen, welche Gebärende wir mit ihrem Kind gerne betreuen möchten. Ich empfinde das als großes Privileg, diese Chance haben die wenigstens Schülerinnen während der Ausbildung.
Meist bestimmt die Hebamme, der sie zugeteilt sind, sofern die Schülerin einer festen Hebamme zugeteilt ist. Mit dieser ersten Auswahl haben wir die Möglichkeit, aktiv die Inhalte unserer Ausbildung mitzugestalten. Wir sind eingebunden und können zum Teil steuern, welche theoretischen Inhalte wir vertiefen möchten oder aber jetzt gerade nicht. Wir könnten Komplikationen aus dem Weg gehen oder uns überraschen lassen, und die angemeldete Frau* nehmen, die noch gar nicht da ist. In der Regel stehen vier bis fünf Geburtstandems an der Tafel.
Es gibt Tage, da weiß ich es ganz genau: Die Frau von gestern, die kenne ich schon. Oder diese Informationen über die Schwangerschaft oder den aktuellen Befund finde ich spannend und möchte wissen wie es weiter geht. Mir fehlt Wissen über Einleitungsverläufe, ich wähle diese Frau aus. Wir haben gerade Präeklampsie in der Schule besprochen. Okay darüber würde ich gern mehr lernen… Frühgeburt, Beckenendlage, Zwillinge, alles möglich. Schlaraffenland der Geburtsvielfalt.
Dann gibt es die Tage, an denen ich wirklich keine Ahnung habe. Wer die Wahl hat, hat eben auch die Qual. Ich habe schlecht geschlafen und bin eigentlich noch gar nicht richtig wach. Kaffee. Es stehen so viele Gebärende an der Tafel, dass ich völlig den Überblick verliere und am Ende der Übergabe vergessen habe, welche Informationen ich über die erste Frau dort oben erhalten habe. Alle Verläufe scheinen sehr kompliziert oder von den Frauen ist gerade gar keine im Kreißsaal direkt anwesend und wir warten erstmal die CTG- Befunde und die ärztliche Übergabe ab. Wer also zuerst an der Kreißsaaltür klingelt gewinnt die Schülerin dazu. Jackpot?!
Die Qual der Wahl
Mein jetziger Kreißsaaleinsatz findet in einem anderen Krankenhaus statt. Eigentlich sind wir Schülerinnen fest zugeteilt, doch es gibt diese eine fünfwöchige Ausnahme. Es ist ein kleines Krankenhaus, meist stehen zwei Gebärende an der Tafel. Eine davon ist im Kreißsaal und geht Richtung Geburt, die andere ist noch nicht da. Die Hebammen dort haben nicht die für mich alltägliche Auswahl. Sie betreuen die Frau, die vor Ort ist. Basta. Punkt. Es gibt auch nur diese eine oder maximal eine zweite Hebamme. Die Gebärende hat sowohl in meinem Ausbildungskrankenhaus als auch dort keinen Einfluss darauf, wer von uns sie betreut. Sie liest nicht zuerst das Portfolio der Hebamme und entscheidet sich bewusst für eine von diesen oder gegen jene: Diese Hebamme sieht sympathisch aus. Jene, hat bestimmt viel Erfahrung, wo die alles schon gearbeitet hat. Oh je, nein, die erinnert mich an meine Mutter, die kann ich hier gar nicht gebrauchen. Oder, mh sie spricht meine Sprache nicht. Schwierig…. All das fällt weg. Für die Frau ist es in jedem Fall ein Ungleichgewicht, für das ich tatsächlich auch keine gute praktische Auflösung sehe. Es ist wie es ist, klingt zu einfach, es ist aber in jedem Fall schräg.
Für die Hebammen in dem kleinen Krankenhaus ergibt sich das gleiche Phänomen. Sie können nicht einfach gehen, eine andere Hebamme um Rat fragen, abgeben. Wenn die Chemie nicht stimmt oder die eigenen Energiereserven nicht gut gefüllt, heißt es trotz allem: Augen zu und durch, Mitgefangen, Mitgehangen. Definitiv, das Beste geben und die Daumen drücken, dass es für die gute Begleitung reicht.
Verantwortung fordert
Ich genieße mein Privileg, ich weiß es wirklich sehr zu schätzen. Ich kann nur Danke sagen, liebe Hebammen, dass ihr uns Schülerinnen dieses Instrument in die Hand gebt. Wie es dazu kam weiß ich gar nicht, aber selbstverständlich ist es nicht. Es ist ein Geschenk, so niedrigschwellig Einfluss nehmen zu können. Es ist fordernd. Jederzeit könnte ich sagen: Puh, das kann ich nicht entscheiden heute, puh was meinst du? Daher ist es selten überfordernd, denn ihr seid ja auf unserer Seite. Nachdem wir 2 Jahre euer Schatten waren, werdet ihr nun unserer. Das Backup, welches uns Sicherheit gibt, die Festplatte deren Speicher wir abrufen können. Immer da, immer nah – das wünsche ich allen Schülerinnen und Studierenden.
Lea Finster
Hinweis: Alle Artikel der Reihe: „Hebamme werden“ findet ihr auch gesammelt in dieser Liste.
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