Ich bin mit Grey´s Anatomy groß geworden. Ich befürchte, Krankenhausserien im Allgemeinen haben es mir angetan. Grey´s Anatomy schätze ich nicht nur wegen dieser vielen tollen, großartigen, klugen Frauen, die alle Hauptrollen spielen, sondern auch, weil die Themensetzung oft dem aktuellen Diskurs entspricht. Mal sind sie ihrer Zeit voraus, mal etwas hinterher. Diese Wahrnehmung könnte verzogen sein, weil ich einerseits nicht in den USA lebe und andererseits nur Free TV nutze. Der Mittwoch ist bei mir geblockt.
Grey’s Anatomy und ein verblüffender Vorschlag
Noch vor meinem Ausbildungsstart 2019 gab es eine Folge, die bei mir viele Fragen aufwarf. Als Carina (Staffel 14/3) einer Gebärenden vorschlug, bei einer vermeintlich komplizierten Geburt, bei der es nicht so richtig vorangehen wollte, zu masturbieren, um sich Erleichterung zu verschaffen, hielt ich dies zunächst für völlig absurd und abwegig. Verrückt: „Wie kann frau unter einer Geburt entspannen? Wie kommt die denn auf so eine irre Idee? Als ob in die richtige „Stimmung“ zu kommen nicht schon schwer genug ist? Jetzt soll sie das im Krankenhaus tun? Bei all den piepsenden Geräten und der wenigen Privatsphäre? Bei diesem Schmerz?“ Aus meiner ersten Reaktion wurde Neugier. Der Gedanke lies mich nicht los. Ich hielt in der Hebammenschule ein Referat zu Orgasmen unter der Geburt.
Mein Ergebnis: Es gibt sie wirklich, die Frauen die beim Gebären Lust empfinden. Ich wünschte wirklich, wir Frauen wüssten darüber einfach besser Bescheid, müssen uns nicht für dieses geile Gefühl schämen und könnten eine neue Perspektive fern von „Unter Schmerzen sollst du Gebären“ wenigstens denken. Doch wie kommen wir an diesen Punkt? Zunächst einmal müssen wir verstehen, was da wie passiert.
Recherchen
Aus einer quantitativen Studie von Postel (2013) geht hervor, dass 0,3% (von 206 000) der Gebärenden einen Orgasmus unter der Geburt erlebt haben, das sind nicht viele. Was sind das also für Frauen? Aus kleineren qualitativen Studien ergibt sich, dass diese Frauen ein gutes Körpergefühl haben, wenig verkopft sind, vermehrt zu Hause als im Krankenhaus geboren haben, eine andere Sprache nutzen, also zum Beispiel nicht von „Wehen“ sondern von „Wellen“ sprechen. Entweder setzen sie sexuelle Stimulation gezielt ein oder werden von ihrer Lust überrascht („unexpected birthgasm“ Harel 2007).
Spannend finde ich den Gedanken, dass „Lustempfinden das natürliche Gegenteil von Schmerzempfinden ist“ (Rumpel 2015). Die Hormone, die wir bei der Geburt brauchen und freisetzen, mit dem Kind zusammen produzieren und sie gegenseitig pingponghaft zuschieben, sind die natürlichsten Schmerzmittel, die wir haben. Großartig dieses Oxytocin, ß-Endorphin, Prostaglandin und auch Adrenalin. Dieser Cocktail hilft über den Schmerz, über die Angst und kann zu kraftvoller Ekstase führen.
Alles ist okay
Wenn ihr Leser*innen das jetzt auch so wahnsinnig großartig findet, verrückt und abgefahren, oder denkt, ich spinne total: Das ist alles okay. In erster Linie geht es mir wirklich nur darum, den Gedanken zuzulassen, dass ein Kind gebären nicht immer unbedingt furchtbar anstrengend und schmerzhaft sein muss. Wir müssen von diesem Postulat der Schmerzen weg, um Lust zulassen zu können. Freut euch, wenn ihr eure Geburt als erfüllend und lustvoll empfunden habt, geht offen in die bevorstehende Geburt hinein, seid nicht traurig, wenn es doch verdammt weh tut oder weh getan hat. Seid nicht neidisch, wenn eure Geburt einfach nur zum Flüchten war. Geburten sind immer überwältigend. Sie gehören zu eurer ganz persönlichen Geschichte. Euer individuelles Erleben ist das einzige was zählt und richtig und wichtig ist. Ich wünsche allen Frauen* eine gute Geburt.
Lea Finster
Literatur:
- Harel, Danielle (2007): Sexual Experiences of Women during Childbirth. Doctoral Dissertation. The Institute for Advanced Study of Human Sexuality. San Francisco.
- Postel, Thierry (2013): Childbirth climax: The revealing of obstetrical orgasm. In: Sexologies 22/ 4, pp. e89-e92.
- Rumpel, Kristina Marita (2015): Flow Birthing. Geboren aus der Welle der Freude. Murnau am Staffelsee: Mankau Verlag.
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