Es war das erste Wochenende in meiner Ausbildung. Ich war auf dem Flohmarkt. Nicht dieser schöne große Bremer Flohmarkt auf der Bürgerweide, sondern ein kleiner bei meinen Eltern. Ganz nett ist es dort, aber nicht der Hit.
Man ist auch wirklich schnell fertig, es sei denn meine Mama ist dabei. Sie geht grundsätzlich jeden Gang ab, an jedem Tisch vorbei und schaut sich alles ganz genau an. Irgendwo könnte ja ein Schatz verborgen sein. Es war so heiß und mir verging schnell die Lust. Am Ende des Ganges sah ich jedoch einen einzelnen Stand. Ich dachte mir: „Da in der großen alten Kiste finde ich gleich meinen Schatz.“
Am Stand angekommen reichte ein Blick in die Kiste, für alles andere hatte ich keinen Sinn mehr. Ich griff zielstrebig nach einem alten kurzen trichterförmigen Holzrohr. Meine Hände hielten ihn ganz fest, meinen Schatz. Meine Mama meinte noch: „Was willst du denn mit dem hässlichen Kerzenständer?“ Die Frau hinter dem Stand fragte: „Wissen Sie was das ist?“ Ich nickte. „Mama, das ist ein Pinar-Rohr, mit dem kann ich Herztöne von ungeborenen Kindern hören.“
Das Pinard-Rohr, oder auch Pinard-Stethoskop genannt, wird mein tägliches Werkzeug sein. Mit diesem traditionellen simplen Stück Holz wird für normale Ohren Unhörbares hörbar. Ab der 12. Schwangerschaftswoche können geübte Ohren hören, wie das Herz im Uterus schlägt. Ab der 16. Woche kann auch ich als Anfängerin schon etwas hören. Es bedarf ein bisschen Übung und schon kann ich fast unsichtbares Leben, hörbar machen. Real werden lassen. Je fortgeschrittener die Schwangerschaft, je größer das Herz des Kindes, umso leichter wird ist es für mich die leisen Töne zu verstärken.
Im Klinikalltag wird kaum noch selbst gehört. Das Pinar-Rohr ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Es wird durch das CTG ersetzt. Dieses zeichnet die Herztöne ebenfalls auf und gibt darüber hinaus noch an wie die Herztöne der Mutter sowie ihre Wehentätigkeit sind. Praktisch nicht wahr? Alles in einem Gerät.
Darauf könnte ich mich im 21. Jahrhundert doch eigentlich verlassen. Warum sollte ich mir dann die Mühe machen, genau zuzuhören? Selbst zu hören. Ganz einfach: Ich will das können.
Mir ist es wichtig, dass nicht nur ich verstehe was im Körper der Frau innerhalb der Schwangerschaft passiert, mir ist genauso wichtig, dass die Frau versteht, was in ihrem Körper geschieht. Dafür muss ich mit ihr, ihrem Körper und ihrem Kind In Touch kommen.
Ein CTG schafft eine erste Barriere zwischen der Frau und ihrem Körper. Die Schwangerschaft wird graphisch und technisch ausgewertet und bewertet. Aus dem Klinikalltag ist es jedoch nicht wegzudenken und natürlich werde ich es entsprechend nutzen. Da führt kein Weg vorbei, das ist mir klar. Doch für meine Arbeit möchte ich mich gern auf mich verlassen können, nicht auf eine Maschine.
Ich bin sehr froh, dass wir als Auszubildende das Privileg haben, richtig hören zu üben. Wir müssen ein Gefühl dafür entwickeln, wie sich Bäuche im Verlauf der Schwangerschaft verändern, wie aus Embryos Feten und Kinder werden. Und wie sich ein gesundes Herz anhört. Wir müssen üben, üben, üben. Unsere Ohren zu trainieren ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Hören ist Können und Kunst zugleich, denn die Welt ist so oft viel zu laut für die kleinen Töne des Lebens.
Lea Finster
Meyer-Herbst meint
Liebe Lea,
Du hast ja so recht!! Schön, dass es noch junge Menschen gibt, die sich nicht nur auf Maschinen verlassen wollen. Ich freue mich schon auf weitere Berichte von Dir.
Irene
Ulrike Hauffe meint
Liebe Lea,
Du hast eine wunderbare Haltung zu Deiner Ausbildung. Danke.
Ulrike