Das erste Kind, das mein Opa in der Öffentlichkeit im Kinderwagen geschoben hat, war mein Bruder. Es war bereits 1993. Kurz darauf ist er gestorben. Bei seinen eigenen vier Kindern und den vier Enkelkindern hat er den Kinderwagen immer an meine Oma abgegeben, sobald ihnen Spaziergänger*innen entgegenkamen. Sich als Mann um die Kinder zu kümmern, war verpönt. Ich kenne nur die Version meiner Oma, denn meinen Opa habe auch ich nicht richtig kennengelernt. Der Ton in ihrer Stimme war jedoch immer bedauernd, wenn wir über die damalige Rollenverteilung sprachen. So viele ungenutzte Chancen – für sie und für ihn. Einfach schade.
Ich lebe in einer ganz anderen Welt. So schwer es für Paare noch immer ist, sich aus heteronormativen Geschlechtergefügen zu befreien (wenn sie es denn wollen): Väter sind in der Öffentlichkeit eindeutig als Väter zu erkennen. Sie tragen ihre Kinder vor der Brust, sie schieben Kinderwagen, holen die Kinder von der Kita ab, schmieren ihnen Butterbrote und reiben ihnen mit Spucke den Dreck aus dem Gesicht. Bis hierher wunderbar. Weiter so.
Unsichere Zeiten
Doch gerade ist meine Welt im Ausnahmezustand. Ein unsichtbarer Virus bedroht alles, was wir bisher erreicht haben. Väter werden in einigen Kreißsälen Deutschlands von der Geburt ausgeschlossen und dürfen ihre Frau und ihr Kind nicht mehr am Wochenbett besuchen. Zum Schutz des Neugeborenen, weil wir zu wenig wissen. Zum Schutz des Personals, weil wir zu wenig haben und es langfristig brauchen. Zum Schutz der Allgemeinbevölkerung, weil der Virus sich nicht weiter verbreiten soll, beziehungsweise nur langsam, damit wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten und die Schwachen der Gesellschaft nicht mehr als nötig gefährden.
All das klingt erst mal vernünftig. Vorausschauend, vorsichtig, sicher. Doch was macht es mit den Müttern und Vätern, die sich einer solchen Situation stellen müssen? Was wenn der Vater beim einschneidensten Moment seiner Familie nicht an der Seite seiner Frau stehen darf? Oder kurz danach wieder gehen muss? Das ist nicht fair. Wir brauchen die Väter im Kreißsaal. Dort, wo Familie beginnt, eine Familie zu sein.
Warum wir gerade jetzt Väter im Kreißsaal brauchen
Die Gebärenden brauchen ihre Partner. Die Schwangerschaft ist für die wenigsten ein Zustand der Normalität, des Alltags. Es treten Unsicherheiten auf, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt. Kurz vor der Geburt zu erfahren, dass der Vater des Kindes nicht mit zur Geburt gehen darf, bedeutet emotionalen Stress. Das ist nicht akzeptabel. Ängste und Sorgen wachsen oder entstehen. Von Trauma spreche ich jetzt gar nicht erst. Für einen guten Geburtsfortschritt sollten sich die Frauen sicher und gut aufgehoben fühlen. Es ist unser Job, dies zu fördern.
Das Personal braucht die Väter. Wir sind doch alle viel zu knapp besetzt, Fachkräftemangel wo man nur hinschaut. Wir können eine 1:1 Betreuung nicht leisten. Die Partner entlasten nicht nur die Gebärenden, sondern auch das geburtshilfliche Personal der Kliniken.
Die Entscheidungen mancher Kliniken sind für mich nicht nachvollziehbar. Na klar, kann auch ohne Väter geboren werden. Das geht. Es muss ja. Doch zu meiner Aufgabe als Hebamme gehört es, nicht nur Mutter und Kind zu einem guten Start ins Leben zu verhelfen, sondern der Familie als Ganzes: Mutter, Kind und Vater. Bei meinem Opa war nicht mal daran zu denken, dass er bei der Geburt eines seiner Kinder dabei sein könnte. Dahin sollten wir nicht zurück. Denn dann verpassen auch wir die Chancen unseres Lebens. Wir nehmen den Familien, mit einem Besuchsverbot in diesen Ausmaßen, die Chancen, ihr Familienleben gleichberechtigt zu starten. Wir ersticken die kleinen Pflanzen der Geschlechtergerechtigkeit im Keim und treten sie mit Füßen, nur weil wir kurz Panik schieben? Das kann und darf nicht sein.
PS: Gegen eine Besuchsregelung habe ich prinzipiell nichts einzuwenden, doch ein striktes Besuchsverbot ist nicht akzeptabel. Die Frau entscheidet, wen sie bei der Geburt ihres Kindes dabeihaben möchte. Dabei ist es letztlich egal, ob es der Vater des Kindes, ihre eigene Mutter, eine gute Freundin oder der beste Freund, die Schwiegermutter, ihre Cousine oder die Nachbarin ist. Keine der Frauen sollte alleine gebären müssen, sie sollte eine Person an ihrer Seite wissen, die sie kennt und der sie vertraut, denn auch das ist Sicherheit.
Lea Finster
Anmerkung der Redaktion: „In Bremen können Schwangere weiterhin ihre Partner*innen mit in den Kreißsaal nehmen. Sie sind eine bedeutende Hilfe und Unterstützung bei der Geburt. Es ist so eine wichtige gemeinsame Erfahrung.“ Tweet der Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard am 2. April 2020.
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