„Die Hexe verkörpert die von jeglicher Dominanz, von jeglichen Begrenzungen befreite Frau; sie ist ein anzustrebendes Ideal, sie weist den Weg.“
Die meisten haben wahrscheinlich noch nicht allzu viel über Hexen und die bis heute andauernden Auswirkungen der Hexenverfolgungen auf Frauen gelesen. Das ist nicht weiter verwunderlich, wie Mona Chollet bereits in der Einleitung ihres Buchs „Hexen – die unbesiegte Macht der Frauen“ deutlich macht. Während der Rekonstruktion der Geschichte von Hexenverfolgungen zitiert Chollet Expert*innen, die sich über die absurden Verrenkungen von Historiker*innen nur wundern können: So verleugnen die meisten bis heute, dass die Hexenjagden ein „Ausbruch von Frauenfeindlichkeit“ waren.
War das nicht irgendwann im Mittelalter?
Die Hexenverfolgungen fanden in Europa in der Renaissance vor allem im 16. und 17 Jahrhundert statt und hatten für zehntausende Frauen Folter und Ermordung zur Folge. Sie nehmen dabei im Kollektivbewusstsein einen, wie Chollet schreibt, seltsamen Platz ein. Oft werden sie irrtümlich im Mittelalter angesiedelt, was erstmal nach einer aufklärungsfernen Zeit klingt, mit der wir heute nichts mehr zu tun haben. Dabei werden die Jagden oft einem religiösen Fanatismus zugeschoben, obwohl während der Inquisition kaum Hexen verfolgt wurden. Die Mehrheit der Verurteilungen wegen Hexerei erfolgte in Zivilgerichten.
Die Verteufelung der Frau
Chollet zieht Verbindungen zum Antisemitismus, da im Rahmen der Verfolgungen von „Synagogen“ der Hexen und „Hexensabbat“ die Rede war. Man(n) verdächtigte die als Hexen charakterisierten Frauen, ähnlich wie die Jüd*innen, einer Verschwörung, die der Vernichtung der Christenheit diene und stellte sie gleichermaßen mit der Hakennase dar.
Als zentrales Ziel der Hexenjagden sieht Chollet die Ausmerzung mächtiger und geistreicher Frauen; die Frauenfeindlichkeit sei in den Verfolgungen zentral. Was die Autorin weiter schildert, klingt nahezu absurd und ist eigentlich nur noch mit morbidem Humor zu ertragen: Nicht nur waren in den Hexenprozessen durchschnittlich 85 Prozent der Verurteilten Frauen. Europäerinnen erhielten den Status vollwertiger Rechtssubjekte (nachdem sie zuvor vor Gericht nicht einmal als Zeuginnen zugelassen waren) erst, als sie der Hexerei bezichtigt werden sollten. In Deutschland, einem Epizentrum der Hexenverfolgungen, wütete zwischen 1587 – 1593 in 22 Dörfern um Trier eine so erbitterte Hexenjagd, dass in zwei der Ortschaften nur eine einzige Frau am Leben blieb. Die Prozesse wurden eingestellt, als die Anschuldigungen auch die höheren gesellschaftlichen Schichten erreichte, die sich infolgedessen beeilten, den Verfolgungen schnell Einhalt zu gebieten.
Auswirkungen bis heute
Manche der als Hexen Angeklagten galten zugleich als Magier*innen und Heiler*innen – eine damalige Selbstverständlichkeit, handelte es sich doch um Frauen, die Arznei lieferten, Kranke und Verletzte pflegten oder Frauen bei der Geburt halfen. Später wurden Frauen und Hebammen, wie Chollet zeigt, aus medizinischen Berufen verdrängt und ihr historisches Wissen rund um Arznei und Heilmittel durch die Verfolgungen vernichtet.
Der in vier Abschnitte gegliederten Band liest sich wie eine Anleitung: Wo in uns steckt diese „unbesiegbare Macht“, die Chollet schon im Titel erwähnt und wo wird sie noch immer beschnitten? Chollet berichtet von der Geißelung weiblicher Unabhängigkeit, vom Helfer*innenkomplex und ermutigt zu Kinderlosigkeit und grauen Haaren. Ihre Argumentation lädt dazu ein, die eigene, indoktrinierte Angst vor dem Altern und die Rolle der Frau in Care- und medizinischen Berufen zu hinterfragen.
Chollet setzt dabei viel Wissen voraus, trotzdem ist der Essay zugänglich und eine gute Einstiegslektüre zu anderer feministischer Literatur über die Hexenverfolgungen wie die Forschungen von Silvia Federici, die Chollet zitiert.
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Über die Autorin
Mona Chollet ist eine Schweizer Autorin und Journalistin. Sie ist Chefredakteurin der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique und betreibt die kulturkritische Website Périphéries. Sie ist Femen-Kritikerin und Befürworterin der Abschaffung von Prostitution.
* Frau bezeichnet eine soziale Kategorie.
Anael Dzubilla
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