Anfang August 2016 erreichte uns ein Hilferuf von Helga Hausner aus dem Norden Islands, die in den Westfjorden in Isafjördur als Reiseleiterin und Stadtführerin arbeitet. Sie wollte die erste von ihr angebotene Rundreise selber als Reiseleiterin begleiten und hatte ihre eigene Vertretung während dieser Zeit mit langer Hand geplant. Und dann kam doch alles anders als erwartet, als die Frau, die kommen wollte, ernsthaft erkrankte. Noch war genug Zeit, um einen Ersatz zu finden. Eine junge Frau sagte ihr zu und kam nach Island und wurde von ihr in Reykjavík abgeholt und eingelernt. Aber als die erste Probeführung (ohne Touristen) anstand, bekam sie kalte Füße und reiste wieder ab. „War ich bis jetzt noch nach isländischer Devise (þetta réttast!) mit der Gewissheit, dass sich alles noch fügen wird ruhig geblieben, begann ich gewaltigen Stress zu bekommen. In einem Monat brauchte ich die Vertretung! Deshalb mein Hilferuf.“
Helgas Ruf nach Hilfe
„Liebe Frauen,
das ist ein ganz kurzfristiger Hilferuf!
Die Frau, die mich eine Woche im August vom 20. bis 28. August während meiner Rundreise vertreten wollte, hat kurzfristig abgesagt. Mir ist inzwischen total schlecht, weil alles geplant ist und Buchungen für die Zeit bereits vorliegen.
Es geht darum meinen Garten, mein Haus und meine Katze Lillie zu hüten und Touristen zu guiden. Diejenige, die es macht, bekommt während der Einarbeitungszeit (so schnell wie möglich) Unterkunft und Verpflegung umsonst. Jeder Walk wird bezahlt.“
Über Facebook leiteten wir den Hilferuf weiter, und siehe da, es meldeten sich etliche Frauen. Eine, und zwar Sylvia aus Bremen, war bereit, schnell nach Island zu reisen. In dieser kurzen und aufregend schönen Zeit hat Sylvia ein Tagebuch verfasst, dass wir z.T. veröffentlichen dürfen. Dazu gehören wunderschöne Landschafts-Fotos.
Ankunft in Island
„Vom internationalen Flughafen in Keflavik ging es vom 60 km entfernten Inlandsflughafen in Reykjavik weiter. Mit dem Auto braucht man von Reykjavik zu den Westfjorden sechs Stunden und mit dem kleinen Flugzeug etwas mehr als eine halbe Stunde. Und dann fällt sicher jedem Neuankömmling auf, dass hier alles mehrere Gänge langsamer zugeht. Der Inlandsflughafen war sooo klein, dass ich mich an die Karibik erinnert fühlte. Aber der Flughafen in Isafjördur ist noch kleiner als der in Reykjavik. Die Piloten müssen auch zum Schluss immer auf Sicht fliegen, weil die Täler in den Fjorden so eng sind. Die Berge sind um Isafjördur herum ca. 700 m hoch, wirken aber viel höher. Helga erwartete mich. Ein kurzer Weg um das Ende des Fjords herum und schon waren wir gegenüber dem Flughafen am Hang in ihrem malerischen Häuschen ziemlich am Ende des Ortes.
Es war dann nur wenig Zeit bis die bereits gebuchte historische Führung durch den Ort um 10:00 Uhr losging, zu der ich Helga natürlich begleitete. Was gab es alles zu erzählen beim Gang durch die Sträßchen und dann noch ein bisschen den Hang am Ort hoch! Helga erzählt von den Wikingerzeiten, dem Leben der Menschen danach und dann das Leben der Frau im Jahr 1893, die sie ’spielt‘. Die Bauweise der Häuser – früher aus Torf – dann Holz aus Norwegen und Wellblechverkleidung aus England (heute noch!). Den Nachmittag verbrachten wir auf ihrer Terrasse. Ich ging mit Helgas Rad und den Unterlagen den Weg noch einmal ab. Abends fiel ich schlagmüde ins Bett.
Und irgendwann war es dann soweit: Ich wachte aus dem Tiefschlaf beim Klingeln meines Weckers um 8:00 Uhr auf. Es stand meine erste Führung an – aufgeregt und unsicher am Anfang und sicher und stolz am Ende. Ich hatte meine Arbeit gut gemacht!!“
Helga guckt zurück: „Oh, was war ich froh, dass sich die Sylvia so kurzfristig bereiterklärte zu kommen! Und das Tollste war, sie ist nur wenige Tage jünger als ich – und beide sind wir Frauen, die sich etwas zutrauen. Bereits noch in Bremen erhielt sie von mir alle nötigen Unterlagen und konnte sich bereits theoretisch vorbereiten und einstimmen. Obwohl Sylvia nur relativ kurze Zeit hatte, um sich die Stadtführung und alles Wissenswertes drum herum anzueignen, hatte ich bei meiner Abfahrt ein gutes Gefühl. Ich konnte ihr mein Haus, meine Katze und mein Unternehmen beruhigt anvertrauen.“
Alleine auf Erkundungstour
Sylvia berichtet weiter: „Und dann musste ich ohne Helga zurechtkommen. Sie fuhr nach Reykjavik, um ihre Frauengruppe aus Deutschland abzuholen. Aber noch hatte ich zwei Tage Zeit, um mich weiterzubilden und mich umzuschauen. Dabei kam ich an einem entzückenden alten Häuschen vorbei, wo Kinder einen Tisch mit Beeren und anderen Dingen aufgebaut hatten und mich gleich ansprachen, etwas zu kaufen. Ich sagte, dass ich sie nicht verstünde, und ob jemand englisch spreche – und schon sprachen sie mich auf englisch an. Da konnte ich nicht widerstehen und kaufte ein kleines Päckchen Beeren. Inzwischen kam der Vater aus dem Hintergrund und sagte in schweizerisch gefärbtem Deutsch, dass die Kinder auch Deutsch verstünden. So kamen wir ins Plaudern (jeder kennt hier Helga) und er erzählte, dass er sich vor vielen Jahren in eine Isländerin hier im Ort verliebt habe, nun hier mit seiner Familie lebt und für die Stadt als Umweltbeauftragter arbeitet.
Ach überhaupt, Isafjördur liegt malerisch als Halbinsel im hinteren Teil des Fjordes mit einem schönen natürlichen Hafen und war früher mal ein wichtiger Handelsort auf Island. Die Westfjorde haben ein sehr mildes Klima: Im Winter zumeist zwischen -4 und +4 Grad C. Die Berge säumen den Fjord, sehr karg (Baumgrenze 100 m), da die Wikinger alles abgeholzt haben, gibt’s kaum noch natürlichen Wald, wie buschige Birken, ganz flachen Wacholder oder auch Weide und Bergesche. Die Aufforstung von Kiefern u. ä. begann erst im letzten Jahrhundert. Bäume brauchen allein fünf Jahre, um fest zu wurzeln. Da, wo nötig werden an den Hängen Schutzwälle gegen Geröll- und Schneelawinen errichtet. Das Gestein ist sehr porös. Die Vegetation ist also im Wesentlichen flach. Interessant wird es erst wenn man genau hinschaut. Blaubeeren gibt es in Massen. Helga macht z. B. aus Blaubeeren und Rhabarber einen Wein! Und ihr Garten gibt auch alle möglichen Kräuter, Kartoffeln und jede Menge Blumen her. Das Licht und der wolkenlose Himmel sind einfach wunderbar und lud mich zum Fotografieren ein und zu einem Sonnenbad auf Helgas Terrasse, wo es mit 30 °C mir schon fast zu heiß wurde. In diesem Teil – den Westfjorden – gibt es keine Vulkane mehr (seit Jahrmillionen) obwohl es viele heiße Quellen gibt.
Im Nebel unterwegs
An einem Morgen weckte mich das Nebelhorn – der ganze Fjord war in Nebel gehüllt! Also für die Führung um 10:00 Uhr mal wärmer anziehen! Es ging um das Thema Fisch und hieß „Please Taste“. Der Verkäufer im Fischladen ist ein richtiger Kenner und weitgereist. Als wir durch den historischen Teil des Ortes gingen, lichtete sich langsam der Nebel und meine kleine Gruppe konnte inzwischen auch „sehen“ in was für einem schönen Fjord sie gelandet ist – eine Gelegenheit wunderbare Fotos zu machen! Und welche Freude für meine Gäste, als sie den selbst gegrillten Fisch auf Helgas Terrasse im inzwischen vollen Sonnenschein genießen durften!“ Als Helga in der Mitte der Vertretungswoche mit ihren Reiseteilnehmerinnen zum Mittagsessen im Haus eintraf, war Sylvia die perfekte Gastgeberin. Sie hatte Fisch gekauft und alles liebevoll zurechtgelegt. „Es war einfach toll von dieser offenen und lebenslustigen Frau im eigenen Haus begrüßt zu werden,“ erinnert sich Helga.
Hier müssen wir erst mal einen Stopp machen. Die umfassenden interessanten Berichte sprengen wohl den Rahmen der frauenseiten.bremen. Sylvia hat auf jeden Fall in dieser kurzen Zeit viel erlebt und über das ihr bis dahin unbekannte Island viel gelernt. Vielleicht fliegt sie in diesem Jahr noch einmal in das Land der Elfen und Trolle. Zum Abschluss die Worte von Helga: „Wenn ich etwas gelernt habe in den vergangenen Jahren, dann ist es das, dass ich meinen Gefühlen vertrauen darf. Und die hatten beim Skypegespräch Ja zu Sylvia gesagt – und das zu Recht!“
Heidemarie Gniesmer
G.Hülsbergen meint
Ein schöner Bericht darüber, was man gewinnen kann, wenn Frau sich traut.
Helga Hausner war mutig, diesen unkonventionellen Weg zu gehen, sich Hilfe zu suchen, und Sylvia war mutig, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Beide wurden für diesen Mut belohnt.
Außerdem macht dieser Bericht natürlich auch Werbung für Island, d.h. Lust, Land und Leute vor Ort zu besuchen und den Reiz Islands selbst entdecken zu wollen. Wenn allerdings viele mit den großen Kreuzfahrtschiffen zeitgleich in größerer Anzahl Island besuchen, was sich als Trend abzeichnet, könnte der Besucheransturm allmählich problematisch werden.
Helga Hausner meint
Klar, Kreuzfahrtschiffe bringen viele Gäste auf einmal zu den Orten, die vorher mehr unbekannt waren, wie mein Ort Ísafjördur. Es gibt aber nur einen Tagesansturm durch den Ort und dann ist Ruhe. Die Natur ist weitgehend nicht betroffen, weil die Menschen eher nur den Ort und den Abhang direkt am Ort bevölkern. Ausserdem zeigt die Entwicklung, dass bei uns eher kleinere Schiffe anhalten mit 100 bis 400 Passagieren, die überhaupt nicht auffallen. Als Einzeltourist auf eine der wenigen Tage mit 3500 Personen Schiffen zu treffen ist allerdings nicht so toll. Da muss man sich dann auf den Abend freuen, wenn man einen Stadtspaziergang in Ruhe machen will oder den Tag für eine längere Exkursion oder Wanerung nutzen.