Bevor ich beginne, möchte ich klarstellen, dass ich keinen Anspruch darauf erhebe für alle oder die Mehrheit zu sprechen und ich unterstelle den Teilnehmenden von One Billion Rising keine schlechten Absichten. Aber schweigen möchte ich nun auch nicht mehr.
„Let us dance to end the violence – Let us shake the earth into awareness.” (onebillionrising.de)
Die Grundidee, sich gegen Gewalt an Frauen* öffentlich und medienwirksam zu erheben und dadurch auf ein so weitreichendes, globales Problem aufmerksam zu machen, ist sicherlich gut gemeint. Aber gut gemeint heißt eben nicht unbedingt auch gut gemacht.
Als Überlebende von häuslicher Gewalt und Stalking, als jemand, die eine Freundin durch einen grausamen Femizid verloren hat, ist mir nicht nach tanzen. Nicht mal ein bisschen. Ich möchte wütend sein (dürfen), weil ich wütend bin. Ich möchte nicht tanzend und lachend zu upbeat Musik ein System anprangern, dass mich fast, und andere tatsächlich, das Leben gekostet hat. Meine Wut ist nicht bunt und diese Musik übertönt meine und unsere Stimme(n).
One Billion Rising Deutschland sagt: „[One billion rising] das bedeutet, ins öffentliche und ins individuelle Bewusstsein zu rufen, womit Frauen sich tagtäglich auseinandersetzen müssen.“
Wirklich? Diese Choreographie, dieser Tanz, die Musik und all die Farben, sie sollen dabei helfen unser Leid, den Schmerz und den Terror unseres Lebens für andere sichtbar zu machen?
Ein Teil von mir fühlt sich verhöhnt
Die Plakate von One Billion Rising, die Werbekampagnen erinnern mich jedes Jahr aufs Neue daran, dass es für meine Wut keinen Platz gibt. Meine Wut ist unangenehm, weil sie nicht nur die Tat(en) an sich betrifft, nicht nur gegen den Täter gerichtet ist, sondern gegen ein System dem wir alle angehören. Gegen die immer noch vorherrschende patriarchale Sicht auf und Sprache über Verbrechen gegen Frauen*, gegen ein unzureichendes Rechtssystem, das nicht in der Lage ist präventiv oder interventionell nicht mal im Nachgang, Gewalt und ihre weitreichenden Folgen zu verhindern oder zu mindern. Ich und viele andere schweigen schon so lange, mussten so lange hinnehmen, dass unsere Stimmen und unsere Worte nicht gehört werden, unsere Erfahrungen und Geschichten nicht geglaubt oder zumindest konstant in Frage gestellt wurden. Und nun wird getanzt.
Awareness? Wirklich?
Noch einmal zur Klarstellung, ich stelle nicht in Abrede, dass ein gemeinsames Event empowernd für Frauen* sein kann. Und ein buntes Event mit Tanz lädt sicher auch den ein oder anderen Mann (ohne *) ein teilzunehmen. Aber wie sensibilisiert und aufgeklärt sind Teilnehmende, Männer wie Frauen*, wirklich nach diesem Event? Verstehen sie das strukturelle Problem? Den Sexismus und die Abwertung gegen Frauen* in unserer Sprache und im alltäglichen Leben? Die unzureichenden Gesetze und Verfahrensweisen bei (sexualisierter) Gewalt, die es immer noch nicht schaffen Frauen* mehr zu schützen? Sehen sie den Terror den Frauen* tagtäglich weltweit, vor allem aber auch hier, direkt neben ihnen erleben? Kann man all dies in den lachenden Gesichtern und den tanzenden Körper lesen? Verstehen sie jetzt mehr als zuvor?
Vielleicht erwarte ich zu viel
Ein einzelnes Event, egal wie groß es ist, kann dies sicher nicht komplett abdecken. Aber es könnte angefangen werden zuzuhören, wenn Betroffene* und sich ausgeschlossen Fühlende Kritik üben. Vielleicht könnte auch darüber nachgedacht werden, wie stark es Frauen* wie mich triggern und belasten kann, jedes Jahr im Februar diese Werbung zu sehen, die so weit entfernt von meiner (unserer) Wut ist. Soweit entfernt, dass ich wieder einmal das Gefühl habe, meine Wut sei fehl am Platz. Ich bin falsch, weil ich nicht lache und tanze – nicht das System, die Gewalt, die mir die Freude am Lachen und Tanzen genommen hat.
Solange One Billion rising so ist, wie es eben ist, werde ich niemals daran teilnehmen können, weil es für Frauen* wie mich nicht gedacht ist. Viele Menschen wurden und werden nicht mitgedacht und ein Versuch uns wirklich einzubinden, ist nicht erkennbar. I still rise – aber mein rise ist nicht bunt, sondern meist umgeben von Dunkelheit, nicht laut und upbeat, sondern meist out of tune und ohne Rhythmus.
Fränzy
Zusätzliche Informationen:
Kritik an der jährlichen Veranstaltung One Billion Rising ist unangenehm, das ist mir bewusst. Vor allem weil es offensichtlich ist, wie selten sie aktiv in den Diskurs miteingebunden wird und wie wenig Verbesserung seitens der Initiatorin und den Veranstalter*innen in den letzten Jahren stattgefunden hat. Die Kritik an dem ableist, non-inclusive, rassistisch konnotierten und heteronormativen Ansatz von One Billion Rising existiert und wurde und wird in dem am Ende dieses Texts aufgeführten Links ausführlich thematisiert. Ich bin dankbar für diese Kritiken und die Arbeit, die sich die Autor*innen gemacht haben, um auf die Problematik von One Billion Rising hinzuweisen. Weil ich mich nun selbst dazu entschlossen habe, eine Kritik zu verfassen, bin ich mir der emotionalen Anstrengung, die damit einhergeht, noch bewusster als zuvor.
Breitgefächerte kritische Linksammlung zu Artikeln in Deutsch und Englisch findet ihr hier:
https://amzaun.wordpress.com/2013/11/29/one-billion-rising-kritische-linksammlung/
Snoopy meint
Auch ich bin in meiner Kindheit Opfer von häuslicher Gewalt gewesen. Was hilft den dieses Tanzen und Aktionen gegen gewaltigtätige Männer (Frauen)? Nichts, gar nichts.
Janni meint
Super Artikel! Ich teile deine Meinung zu 100 Prozent!
Ricarda meint
Klasse geschrieben. Du gibt’s mein Unbehagen Worte..