Ich bin von Natur aus neugierig. Ich lerne gerne Neues und erweitere meinen Horizont. Wenn ich mal wieder ein neues Projekt für mich entdeckt habe, dann bin ich anfangs immer mit Enthusiasmus und voll motiviert dabei. Nach einer Weile, seien es Wochen oder Monate, flaut der Elan bei mir ab und es kommt eine neue Sache, die mich fasziniert, und meine Prioritäten verschieben sich wieder.
Wer von euch dieses Verhalten von sich selbst kennt, die*der wird sicher auch das Gefühl kennen, dass mit ihr*ihm etwas nicht stimmt. Jedenfalls hat mir mein Umfeld schon seit Kindheitstagen eingebläut, dass es gut sei zu wissen, was man will. Dass man nur weiter komme im Leben, wenn man sich auf eine Sache spezialisiert und diese dann verfolgt. Wer sich nicht festlegt und von einem Projekt zum nächsten springt, sei ein „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“, ein*e Dilettant*in, ein oberflächlicher Mensch und so weiter. Und es scheint ja auch genügend Menschen zu geben, die genau wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen und es dann auch durchziehen. Jahrelang hatte ich mich mit solchen Menschen in meiner Umgebung verglichen und daher mein eigenes Verhalten als Unvermögen eingestuft.
Vor einigen Wochen habe ich dann aber herausgefunden, dass diese negative Einschätzung nicht zutreffend war. Ich habe nämlich von Barbara Shers Buch „Du musst dich nicht entscheiden, wenn du tausend Träume hast“ erfahren. Darin etabliert die Autorin das Konzept der „Scanner-Persönlichkeit“. Ich habe mir das Buch besorgt und mich beim Lesen sofort darin wiedergefunden. Der Ansatz der Autorin hat mich so sehr beeindruckt, dass ich ihr Buch an dieser Stelle einfach weiterempfehlen muss.
Sich selbst als Scanner*in erkennen
Ich weiß jetzt, dass ich eine Scannerin bin. Ich und andere Scanner*Innen sind uns in vielen Dingen ähnlich. Wir haben viele Interessen, die oft thematisch gar nichts miteinander zu tun haben. Voller Begeisterung fangen wir etwas an, aber dann, nach einer Weile, erlischt unser Feuer für die Sache und wir haben lauter unabgeschlossene Projekte vorzuweisen. Wir sind neugierig, wollen uns auf keinen Schwerpunkt festlegen, sondern “sammeln” sozusagen Wissen ohne uns zu spezialisieren. Ein*e Expert*In für etwas zu sein, erscheint uns eher einengend und langweilig. Manchmal haben wir so viele Ideen gleichzeitig, dass wir das Gefühl bekommen, wir müssten uns am besten fünfteilen, um alle davon umzusetzen. Und das am liebsten nicht erst irgendwann, sondern heute noch!
Aber wofür soll man sich bei so vielen Interessen denn entscheiden? Was ist das Richtige? Was ist das Wichtigste? – B. Sher
Der Überfluss an Ideen und Plänen, gepaart mit dem Gefühl, wir müssten uns doch eigentlich festlegen, führt nicht selten dazu, dass wir entscheidungsunfähig werden und am Ende gar keine Idee verfolgen. Oder wir scheuen uns, neue Projekte überhaupt in Betracht zu ziehen, weil wir sie ja eh nie beenden würden. In der Konsequenz sind wir immer irgendwie unzufrieden, egal ob wir uns zu einer Entscheidung durchringen oder nicht.
Für Scanner ist die Welt wie ein riesiger Süßigkeitenladen voller Verlockungen…Das Problem ist nur, dass Scanner im Süßwarenladen verhungern. Sie denken, dass sie nur von einer Süßigkeit naschen dürfen. – B. Sher
Ich lerne unentwegt von Sher, dass es keinen Grund gibt, sich für den Überschwall an Projektideen zu schämen. Immerhin breche ich ja kein Gesetz und schade auch niemandem mit der eigenen Neugier und dem eigenen Enthusiasmus!
Obwohl ich das Buch noch nicht einmal fertig gelesen habe, hat sich schon ein Wandel in meinem Denken vollzogen. Mein Schamgefühl, das immer mit dem Pläneschmieden einhergegangen war, ist etwas geringer geworden. Sogar mein Training im Fitnessstudio gestalte ich nun betont abwechslungsreich, damit ich endlich auch langfristig motiviert bleibe.
Laut Sher sind grundsätzlich drei Schritte für ein zufriedeneres Leben nötig. Der Anfang sei die Erkenntnis, dass ich selbst eine Scannerin bin. Der zweite Schritt sei, mir bewusst zu werden, dass ich weder oberflächlich bin noch irgendeine „Macke“ habe, sondern einfach anders veranlagt bin. Der dritte Schritt seien ein paar einfache Ansätze, die es mir ermöglichen sollen, meinem „Ideen-Chaos“ etwas Struktur zu geben. Schließlich wollen wir Scanner*innen doch nichts sehnlicher als unsere Unentschlossenheit zu überwinden und endlich unsere Potentiale auszuschöpfen.
Die eigenen Ideen respektieren
Das Management-Tool für Scanner*innen, welches im Buch eingeführt wird, nennt die Autorin das „Scanner-Projektbuch“. Dabei handelt es sich um ein leeres Notizbuch, in dem Platz ist für alle Ideen und Gedankenausflüge, die sonst verloren gehen würden. Die eigenen Ideen sollen ganz ungehemmt und ungeordnet beschrieben werden. Und zwar alle Ideen. Ohne vorherigen Filter nach Relevanz, Nutzen oder Machbarkeit. Es geht nämlich bei dem Projektbuch nicht darum, welche Ideen dann letztendlich angefangen oder beendet werden, sondern einfach darum, der Kreativität ihren Spielraum zu geben und die eigenen Ideen wichtig zu nehmen.
Allein die Tatsache, dass Sie es für wert erachten, Ihre Gedanken festzuhalten, verändert Ihre gesamte Sicht auf sich selbst. – B. Sher
Wer sich beim Lesen dieses Artikels einige Male wiedergefunden hat, sollte dem Buch auf jeden Fall eine Chance geben. Darin ist etwa zu lesen, dass nicht jede Scanner*in gleich tickt. Es gibt nämlich auch “Serienspezialist*innen”, “Universalist*innen”, “Tellerjongleur*innen” und weitere Untergruppen. Diese feinen Unterschiede werden vor allem dann bedeutsam, wenn es um das Thema Karriere geht. Die Schwierigkeiten, die Scanner-Persönlichkeiten nämlich in der Berufswahl und im Berufsleben haben, sind ein wichtiger Schwerpunkt des Buches. Die Autorin gibt dabei aber auch Anregungen, wie man als Scanner*in den eigenen (beruflichen) Weg finden kann.
Juliane Hentschel
Ricarda meint
Oh das ist schön! – Beim Lesen dieses Artikels ist mir das Essen angebrannt – ich werde es trotzdem essen, weil mir Ähnliches so oft passiert ist. Mal sind es Archivaufnahmen von D.W. Winnicott, mal sind es Haie, Vulkane und Tatort-Tweets…
Als Übersetzerin traf ich Texte mit Gesetzesvorlagen, Algorithmen und DNA-Forschung. Trotzdem: Übersetzen ist hart und undankbar. Twittern ist da ergiebiger. 🙂