Inhaltswarnung: In diesem Beitrag geht es um Sexismus und sexuelle Belästigung. Einige Schilderungen sind sehr heftig und eindeutig. Wer damit nicht umgehen möchte, sollte sich lieber einen anderen Beitrag von den frauenseiten aussuchen.
Ich habe eine Opernsängerin angerufen, um mit ihr über Sexismus zu sprechen.
Nachdem ich im Interview mit der Bremer Tontechnikerin Katharina Lehmann über Sexismus in der Tontechnik über sexualisierte Belästigung und Übergriffe im Theater gesprochen habe, während parallel die taz zu den Vorfällen an der Berliner Volksbühne titelte, war ich schockiert, aber leider nicht überrascht.
Weil ich mehr über die Situation von Frauen und Queers auf der Bühne erfahren wollte, habe ich eine Hamburger Opernsängerin angerufen.
Mareike* (*Name wurde von der Redaktion geändert) war direkt bereit, mit mir zu sprechen, möchte aber anonym bleiben. Denn so viele Opernsängerinnen mit ihrem Vornamen gebe es dann doch nicht in Hamburg. Unser Telefonat musste einmal aufgrund ihrer Proben verschoben werden und auch als ich Mareike dann am Telefon habe, kommt sie gerade vom Proben.
Meine Frage, ob sie ihr Studium und die Lehre selbst als eher „männerdominiert“ erlebt habe, verneint Mareike. Sie sei aber auch, wie sie direkt hinzufügt „nicht so“:
„Ich finde diese Gender-Diskussion etwas anstrengend. Also ich fühle mich nicht benachteiligt, nur weil von Kollegen gesprochen wird (…) ich bestehe da nicht drauf, dass man Mitarbeitende oder so sagt, das finde ich etwas anstrengend.“
Was im Studium sehr deutlich sei, wäre aber der „Unterschied zwischen Mann und Frau“:
„Bei uns wird doch nochmal darum gebeten, bei ‘nem Konzert, dass man zwei verschiedene Abendkleider anzieht und ‚könnten Sie ein rotes Kleid anziehen‘ und egal eigentlich wie man singt bei Konzerten, ist das auf jeden Fall ‘ne Frage, die öfter gestellt wurde (…) das fand ich immer nur interessant, denn bei Männern war es nur ‚Frack oder Anzug‘ „
Ich möchte von Mareike auch wissen, ob sie an deutschen Opernhäusern Männer in Machtpositionen erlebt hat, die ihre Überlegenheit folgenlos ausnutzen.
Als Beispiel nenne ich ihr Philipp Kochheim, der nach seinen Übergriffen am Staatstheater Braunschweig weiterhin als Intendant und szenischer Leiter der Dänischen Nationaloper tätig ist.
„(…) das merkt man ja alleine daran, dass ich irgendwie anonym bleiben will, hier im Artikel (…) dass man da eine gewisse Vorsicht hat. Vor allem ist es dann ja immer dieses ‚oh ne, die ist anstrengend, die versteht keinen Spaß‘ oder ‚die schreit dann sofort metoo‘, den Ruf kann man da natürlich relativ schnell wegkriegen. Den kann man als Mann natürlich nicht so schnell weg kriegen“
In Bremen sei ihr „sowas“ gar nicht passiert, auch gar nicht begegnet.
„Ich merke gerade, dass es gar nicht so einfach ist, anonym zu bleiben (…) egal. An meinen Opernhäusern ist mir das nicht so passiert, im Studium ist mir das ‘n paar mal passiert. Also ein Professor hat mit mir meinen Abschluss gestaltet, nicht mein Hauptprofessor, das war ein Dirigent und der hat gesagt ‘dafür, dass du das jetzt machst, lädst du mich aber dann danach mal zum Italiener ein, dann trinken wir gemeinsam schön was‘ „
Natürlich könne man sich hier die Frage stellen, was das mit sexueller Belästigung zu tun hat. Aber es sei eben die Art und Weise, wie etwas gesagt wird. Derselbe Dirigent, erzählt Mareike, hätte ihr außerdem deutlich gesagt, sie würde die Männer später am Theater verrückt machen. Seiner Meinung nach hätte sie ihren Fokus lieber nicht auf ihre „sexuelle Energie“, sondern auf ihr Singen legen sollen.
„Mir wurde (…) unterstellt, ich strahle so viel sexuelle Energie aus (…) und ich soll mich mal lieber aufs Singen konzentrieren (…) das fand ich richtig unverschämt, weil ich denke: Wenn du deine sexuellen Gedanken nicht unter Kontrolle hast, wenn wir gemeinsam Arbeiten, da kann ich nun leider nichts für. Ich ziehe mich hier gerade nicht aus.“
Dass alles, was Mareike dann erzählt, für mich sogar nach etwas mehr als männlichen Dominanzverhalten klingt, sage ich nicht.
„Auch im szenischen Unterricht ist natürlich auch (…) also in der Hochschule für Musik gab es auch in meiner Zeit tatsächlich nur Professoren, also Männer, für die szenische Arbeit und ja, wenn man dann irgendwas sexuelles gespielt hat (…) also ich hab ‘ne Szene gespielt und dann hat mir der Professor die Arme auf dem Rücken zusammen gehalten und mir gesagt: Stell dir einfach vor, du wirst von mir gefesselt. Und das gehört zur Szene, das stimmt, aber das ist einfach eklig, ne?“
Derselbe Professor habe einer Kommilitonin gegenüber auch eine weitere Bemerkung gemacht, bei der sich Mareike kurz unsicher ist, ob sie sie mir gegenüber äußern soll – schließlich wüssten die betroffenen Personen dann ja, was gemeint ist. Schließlich erzählt sie doch:
„er hat auch gesagt, wenn du singst (…) stell‘ dir einfach vor, als ob du einen riesengroßen Schw*nz [sic!] im Mund Mund hast, nicht so einen wie von deinem Freund (…)“
Ich frage Mareike, ob sie oder ihre Kommilitonin sich getraut hätten, dem Lehrenden etwas entgegenzustellen.
„Nein! Nein, weil man ist dann direkt die empfindliche Sängerin. Es ging dann ja nur um die Szene (…) man kann dann sehr schwer klar machen, dass es etwas mit der Art und Weise zu tun hat (…) ich bin schon auch sehr flapsig, wenn ich rede und ich kumpele dann irgendwie sehr herum (…) ich hab dann so einen Hang, dass besonders ältere Männer sich angesprochen fühlen, mich dahingehend (…) wie sage ich das? Zu belästigen, vielleicht?“
Außerdem will ich wissen, ob sie derartige Einladungen zum Essen schon ausgeschlagen hat und ob sie dadurch je benachteiligt wurde.
„Es gab schon 3,4, Gelegenheiten, da habe ich schon (…) gerade wenn die Einladung über Nachrichten kam oder so als flapsiger Spruch, hab‘ ich meistens noch ‘ne Nachricht hinterher geschrieben, dass ich eigentlich möchte, dass sich unser Verhältnis auf‘s rein Berufliche konzentriert.“
Ob sie durch solche Absagen in der Vergangenheit Nachteile erfahren oder nicht gebucht wurde, könne sie nicht sagen. Sie sei allerdings auch nie fest am Theater angestellt gewesen und hätte bisher an sehr netten Häusern gearbeitet – Vorfälle hätte sie eher im Studium erlebt.
„Nachteile nicht (…) aber es ist ja unangenehm. Man hat nicht so den Nachteil, weil ich glaube, keiner von denen wollte jetzt ernsthaft mit mir in die Kiste springen (…) es geht um den Kommentar und fertig.“
Um eine Machtdemonstration?
„Weiß nicht (…), ne, da kann ich nichts zu sagen, ob das was mit Macht zu tun hat oder ob das einfach (…) wir sind in so ‘nem ästhetischen Beruf und wir leben uns alle ganz frei aus oder so zu tun hat. Ich weiß auch von Kollegen, dass die auf der Bühne auf einmal die Zunge im Hals hatten bei ‘ner Vorführung und der Kollege sagt auch ‘sorry, ja, ich war gerade so in der Rolle drin‘, wo man denkt: Ne!“
Also Sexismus und Übergriffigkeit getarnt als Kunst?
„Ja.“
Anael Dz
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