Heute kein einzelnes Video zum Wochenende, sondern eine ganze Ausstellung: Die gibt es nicht im Internet zu sehen, sondern hier in der Weserburg. Heute Abend um 19 Uhr ist die Eröffnung von Utopia Now! (25.5. – 24.11.2024) mit Werken der Künstlerin Yael Bartana.
Zum Presserundgang begrüßt Museumsdirektorin und Kuratorin Janneke de Vries mit den stolzen Worten, sie habe eine Zusammenarbeit mit Yael schon von Anfang an auf der Agenda und nach vielen Jahren sei es nun endlich so weit. Trotz der räumlichen Schwierigkeiten habe Sie alle Hebel in Gang gesetzt, die dritte Etage des Museums in einen Ort zu verwandeln, der filmischen Arbeiten eine angemessene Bühne bieten kann. Visuell empfängt der Neon-Schriftzug „Crisis-Crysis-Crycis“ die Besucher*innen. Er überrascht nicht nur durch seine Wortakrobatik, sondern auch durch die Tatsache, dass die Idee dazu entstand, noch bevor der Begriff Krise durch COVID neue Aktualität bekam.
Wer ist Yael Bartana?
Yael Bartana ist 1970 in Israel geboren und lebt heute vorrangig in Amsterdam, Rom und Berlin. Zu Ausstellungsorten ihrer Kunst zählen New York, Amsterdam, London, St. Gallen und Paris, um nur einige zu nennen. Spätestens aber mit dem Gestalten des deutschen Pavillons auf der Biennale 24 gemeinsam mit Ersan Mondtag ist sie in den allgemeinen Fokus der zeitgenössischen Kunstszene gerückt. Und nun reiht sich auch Bremen ein.
Worum geht es in ihrem Schaffen?
Mit „Was wäre wenn“- Szenarien vereinen sich vermeintliche Gegensätze von Realität und Fiktion, von Mythologie und Wissenschaft, von Analyse und Poesie. Und formen sich in ihren Werken zu neuen Symbiosen. Als „pre-enactment“ beschreibt Bartana selbst einige ihrer Ansätze: die Auseinandersetzung mit Problemen von Vergangenheit und Gegenwart, indem sie künstlich in eine spekulative Zukunft hineinprojiziert werden.
„Overcoming future trauma“,
formuliert sie dieses paradoxe Vorgehen. Der Grat zwischen Dystopie und Utopie scheint vielerorts zu verschwimmen, dennoch bleiben Ästhetik und Aussage klar. Ihre Arbeiten resultieren meist in performative Szenarien mit kollektivem Hintergrund, sie beschäftigen sich mit Identität, Konstruktion und Manipulation. Fixiert werden die Gedanken in diversen Medien, ob als Fotografien oder in bewegten Bildern.
Die große hintergründige Frage bleibt stets: Wie formen wir eine Zukunft, die Missstände vermeidet? Ein Spiel mit dem Begriff der Erlösung (redemption now!) und der Nutzung von formal-historischen Motiven schafft schließlich keine konkrete Antwort, dafür aber einen Raum für die Auseinandersetzung mit aufgeworfenen Fragen.
Was beinhaltet die Ausstellung?
Highlight der Ausstellungsräume ist die Welturaufführung des neuesten Films „Mir Zaynen Do! (We are here!) „, 2024. Der Raum wird auditiv wie visuell von mitreißenden Bildern geflutet und zeigt das Aufeinandertreffen eines afrobrasilianischen Staßenmusik-Ensembles der Maroon-Gemeinschaft mit Coral tradiçao, das sich aus jüdischen Immigrant*innen zusammensetzt und traditionelle jiddische Musik interpretiert. Im Film dirigiert die 97-jährige Chorleiterin unter anderem die helle Stimme eines ihrer Tenöre im nebligen Bühnenambiente einer Theaterruine. Beide Gruppen hatten bis zum Projekt keine Berührungspunkte, dennoch verbindet sie eine jeweilige Geschichte von Unterdrückung. Ein solidarischer Klangort entsteht, der dazu einlädt, sich in seinen Bann zu begeben.
Hintergrund vieler Werke ist die deutsche Vergangenheit. In „Zukunftsbewältigung“, 2023 bedient Yael Bartana sich an der Kulisse des Wannsees und lässt tierisch verkleidete Figuren im Mondlicht tanzen. Berlin spielt nicht nur hier die Rolle eines Ortes, an dem kollektive israelische, jüdische und deutsche Konnotationen mitschwingen. Auch im episch anmutenden Filmprojekt „Malka Germania“ (hebräisch für: Königin Deutschland) von 2021 laufen panoramaartig angeordnet drei Sequenzen in direktem Kontrast zueinander. Protagonist*in der vierzig Minuten ist eine messianische Figur, auf einem Esel unter dem Brandenburger Tor entlangreitend. Parallel laufen auf der Leinwand diverse Szenen auftauchender Gebäude, zerschellender politisch und historisch aufgeladener Objekte auf dem Asphalt und Strandmomente voller Leichtigkeit. Es lohnt sich, in diesem Raum ausreichend lange zu verweilen und die bildgewaltigen Sequenzen wirken zu lassen. Ein bisschen Arbeit muss man als Betrachter*in investieren, um sich mit den multiplen Narrativen auseinanderzusetzen.
Versteckt neben dem Aufzug gibt es auch ein älteres Werk von 2010. Im Trickfilm „Entartete Kunst lebt“ begegnet uns eine Neu-Collage der durch die Nazis verbotenen Kriegskunst von Otto Dix.
Als Ruhepole zwischen den intensiven filmischen Projekten stehen mehrere Neon-Installationen, beispielsweise ein eigens für die hiesige Ausstellung angefertigter Schriftzug Utopia Now!. Der steht allerdings verdächtig schräg – es braucht Arbeit um die Zukunft zu erhalten – und zwar now!
Welche Rolle spielen Feminismus und Gender in Yael Bartanas Kunst?
„The feminist movement created more visibility. I’m lucky to be able to show my work.“,
beantwortet Yael Bartana unsere Frage. Das Thema Feminismus betrachtet die Künstlerin vor allem mit Dankbarkeit. Die feministische Bewegung habe mehr Sichtbarkeit für Frauen in der Kunst geschaffen und damit auch ihr ermöglicht, ihre Arbeit zeigen zu können.
Besonders deutlich erstrahlt das Thema Gender in „Crisis-Crysis-Crycis“. Das Neonwerk reagiert auf gegenwärtige Krisen. Neben internationalen Konflikten, der Klimakrise oder dem Aufkommen rechter Bewegungen steht auch der Kampf aus patriarchalen Strukturen im Fokus. Die Änderungen von „crisis“ zu „cry sis“ und „cry cis“ stellen diesen Geschlechterbezug zum Ursprungswort heraus.
Ein weniger buchstäbliches Aufgreifen des Themas geschieht in „We are here“, 2024. Jene gezeigten Frauen des afrobrasilianischen Straßenensembles sitzen an den Trommeln, eine Aufgabe, die traditionell von Männern übernommen wurde. Damit werde die Darbietung auch zu einem Starkmachen der Frauen: „They claim their empowerment through their music“ (Yael Bartana).
Insgesamt bleibt das Thema „Geschlecht“ aber versteckt, wird in keinem Werk explizit. Fokus der Arbeit sei nicht, geschlechterspezifischen oder feministischen Fragen nachzugehen, so Yael Bartana.
„I’m not questioning gender. I’m just showing it. I’m showing that things can be different.“ – Yael Bartana
Wenn ihr neugierig seid, nichts wie hin zur Eröffnung! Um doch noch unserem Format des „Video zum Wochenende“ gerecht zu werden, gibt es hier noch eine Empfehlung zur Frage „What If Women Ruled the World?“. Mit dieser Spekulation beschäftigen sich Yael Bartanas Theaterstück aus 2017 und der daraus zusammengesetzte Film „Two Minutes to Midnight“. Die Regierung eines fiktiven Landes plant ihre Reaktion auf einen nuklearen Angriff. Das Besondere: Alle Regierungsmitglieder sind Frauen. Das Stück spiegelt den „War Room“ aus „Dr. Strangelove“ von Stanley Kubrick. In Yael Bartanas „Peace Room“ stehen interdisziplinäre Zusammenarbeit und De-Eskalation im Fokus, eine Alternative zur toxischen Männlichkeit im geopolitischen Machtspiel.
Der Film von 2021 ist zwar nicht Teil der Ausstellung oder vollständig online verfügbar (Trailer), dafür gibt es aber ein ausführliches Gespräch dazu. Schaut hier in die Highlights rein!
Utopia Now!
25.5.2024 bis 24.11.2024
Eröffnung: 24. Mai 2024, 19 Uhr
Weserburg, Ebene 3
Eintritt frei
-Paula und Pia
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