Imeh Ituen ist Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf koloniale Kontinuitäten in der Umwelt- und Klimakrise, sowie Aktivistin des BIPoC Environmental Justice Kollektiv Berlin (auch: Black Earth), die sich zu Umwelt- und Klimagerechtigkeit engagiert. Im Interview spricht sie unter anderem darüber, wie sie zum Aktivismus gekommen ist, was Aktivismus für sie ausmacht, über Privilegien, „Safer Spaces“ und was sie als Aktivistin bestärkt.
Wie würdest du selbst dein gesellschaftliches oder gesellschaftspolitisches Engagement beschreiben – bezeichnest du dich als Aktivistin?
Ja, ich bezeichne mich auch als Aktivistin. Dazu gehören für mich die meisten Aktivitäten von Black Earth. Ich würde aber sagen, dass mein gesellschaftliches Engagement auch andere Formen hat, die nicht aktivistisch sind. Ich halte auch Vorträge oder gebe Workshops, was für mich nicht per se aktivistische Arbeit ist. Ich finde, auch Wissensproduktion ist gesellschaftliches Engagement, welches nicht unbedingt aktivistisch sein muss. Das alles kann aber auch aktivistisch sein. Einen Workshop zur intersektionalen Strategiefindung auf einem Klimacamp zu geben, finde ich zum Beispiel auch aktivistisch.
Wie bist du zum Aktivismus gekommen?
Sehr stark politisch geprägt wurde ich durch meinen Vater. Zum Aktivismus gekommen bin ich dann über die Auseinandersetzung mit Gerechtigkeitsthemen. Gerechtigkeit ist auf jeden Fall ein Thema, das mir in vielen Bereichen sehr nahe geht und wo ich nicht anders kann, als aktiv zu werden. Dass ich mich jetzt als Aktivistin bezeichne, ist noch gar nicht so lange der Fall. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich vorher weniger in organisierten Kontexten unterwegs war, sondern mal hier, mal da. Ich glaube, deswegen war es für mich nicht so naheliegend mich so zu bezeichnen, auch wenn ich das heute anders sehen würde. Ich glaube nicht, dass mensch irgendwo in einer Gruppe organisiert sein muss, um Aktivist*in zu sein.
Was macht Aktivismus aus? Ist Aktivismus für dich Ergänzung oder Gegensatz zu Politik?
Ich glaube nicht, dass Aktivismus und Politik zwangsläufig gegensätzlich sind. Für mich ist Politik sehr stark institutionalisiert, es gibt Parteien und Ämter, in die Menschen reingewählt werden und in denen sie dann eine große Anzahl von Menschen repräsentieren – auch auf kommunaler Ebene. Und das macht für mich den großen Unterschied zu Aktivismus aus. In Bewegungen begegnen sich Menschen mehr auf Augenhöhe. Dort geht es in erster Linie nicht darum, irgendwen im großen Stil zu repräsentieren, sondern gemeinsam eine Stimme zu entwickeln.
Ich denke, Aktivismus im Sinne von direkter Demokratie ist prägend für das Verständnis von westlicher Demokratie, zum Beispiel in Bezug auf Meinungsfreiheit. Aber ich würde es nicht so sehen, dass Aktivismus der Politik dient oder sie ergänzt, sondern dass Aktivismus für sich steht und in sich einen eigenen Wert hat. Der nämlich genau darin besteht, Menschen ohne vermittelnde Instanzen zusammen zu bringen.
Wie hat sich dein/ euer Aktivismus unter den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie verändert? Und tut es jetzt vielleicht wieder schwerwiegender?
Natürlich hat sich vieles verändert, weil Demos jetzt zum Beispiel wieder nicht möglich sind oder wir uns auch als Gruppe nicht physisch treffen. Es macht einen großen Unterschied, wenn sich so viel ins Digitale verlagert. Und Corona hat auch auf all die inhaltliche Arbeit Auswirkungen, zu der Menschen politisch aktiv sind. Wir haben zum Beispiel Spenden- beziehungsweise Reparationsaufrufe unterstützt, für Menschen, die besonders stark betroffen sind. Ich glaube, es ist schon eine Herausforderung für aktivistische Gruppen, weil so viel von dieser Organisation auf der Straße oder in physischen Treffen stattfindet. Und das ist natürlich schwierig. Wir versuchen die Situation aber gerade auch für uns nutzen, um den Blick auf uns zu richten und Sachen zu machen, die liegen geblieben sind.
2019 habt ihr als Kollektiv z.B. bei Ende Gelände oder dem Leipziger Klimacamp sogenannte „Safer Spaces“ angeboten, also Räume, die beispielsweise ausschließlich für BIPoC da sind. Was hältst du vom Konzept Safer Spaces? Welche Erfahrungen hast du oder habt ihr mit solchen Räumen gemacht?
Also ich muss schon sagen, dass unser ganzes Kollektiv ein Safer Space ist, weil es BIPoC only ist und aus einer FLINT-Mehrheit besteht. Safer Spaces finde ich wahnsinnig wichtig. Wir sind uns auch im Kollektiv einig, dass gerade der Fakt, dass das Kollektiv ein Safer Space ist, dazu beigetragen hat, dass wir es geschafft haben, uns in relativ kurzer Zeit sehr gut zu organisieren. Einfach weil unsere Energie nicht darein geflossen ist, irgendwelche Sachen zu diskutieren, die viel Energie schlucken. Das heißt natürlich nicht, dass wir in allen Dingen die gleiche Meinung haben. Aber wir haben eine gemeinsame Basis: Wir wissen, es gibt Rassismus, Kolonialismus und alle möglichen anderen Formen von -ismen. Und es ist uns wichtig, alle diese zusammen zu denken und wirklich für eine gewaltfreie Welt für alle zu kämpfen.
Es wird dadurch einfacher, mit sehr wenig Gewalt in unseren eigenen Strukturen zu tun zu haben. Gewaltfreiheit ist natürlich fast nie möglich, da wir alle in dieser Gesellschaft sozialisiert wurden. Und wir können als Einzelpersonen auf verschiedene Weise privilegiert gegenüber anderen Personen sein, auch innerhalb unserer Gruppe.
Wie wichtig ist es im Aktivismus die eigenen Privilegien zu reflektieren?
Es ist für mich selbst sehr wichtig und es sollte auch für jede andere Person wichtig sein. Aus meiner Sicht muss das auch immer ein Ziel von sozialen Bewegungen sein. Wenn es wirklich darum gehen soll, etwas für soziale Gerechtigkeit zu tun, die allen Menschen zu Gute kommt, dann müssen wir die verschiedenen Dimensionen von Unterdrückung und das Privilegiert-sein mitdenken. Denn sonst werden nur die geschützt, die ohnehin schon am geschütztesten sind. Und das sowohl in den Lösungen, als auch im Aktivismus als Prozess selbst, also: Wer darf mit? Wer kommt zu Wort? Wer ist beteiligt an den Entscheidungen? Wer ist überhaupt sichtbar? Wenn das auch an den Stellen nicht mitgedacht wird, dann wird auf allen Ebenen, sowohl in dem Framing von Bewegungen, als auch in den Lösungsmaßnahmen, die Unterdrückung fortgesetzt.
Wie schafft man den Spagat dazwischen, die eigenen Privilegien und Diskriminierungen zu reflektieren und trotzdem handlungsfähig beziehungsweise gesellschaftspolitisch aktiv zu sein?
Also den ersten Teil der Frage würde ich anders beantworten als den zweiten Teil der Frage. Ich glaube, die Privilegien zu reflektieren ist ganz entscheidend, um handlungsfähig zu bleiben. Auch innerhalb von Gruppen gibt es eine große Diversität, aber auch nach außen. Es gibt ein schönes Zitat von einer trans-positionierten Aktivistin, die sagt, Organisationen, Gruppen, die nicht intersektional sind, sind obsolet. Und das ist wirklich meine feste Überzeugung.
Einerseits nach innen, weil es auch innerhalb von Gruppen eine Diversität gibt, Menschen, die Diskriminierung erfahren, ob es Frauen sind, queere Menschen, Schwarze Menschen, Indigene Menschen, Menschen of Colour, oder Menschen, die in unserer Gesellschaft be_hindert werden. Das Spektrum von Diskriminierung ist groß. Und ich glaube, wenn innerhalb einer Gruppe die Auseinandersetzung mit Privilegien nicht stattfindet, dann zerbricht das auch eine Bewegung, weil das Menschen exkludiert.
Und andererseits nach außen: Ohne die Privilegien zu reflektieren, lassen sich keine Bündnisse, keine Allianzen langfristig und nachhaltig eingehen. Deswegen ist es aus meiner Sicht einfach erforderlich.
Deshalb ist es auch für uns als Kollektiv sehr wichtig, uns weiterzubilden, zum Beispiel einen critical-cis Workshop für alle zu machen oder uns mit Klassismus auseinanderzusetzen. Wir geben Workshops für andere, zu Themen, mit denen wir uns auskennen, aber wir fragen auch Leute an, uns von Themen zu erzählen. Ich sehe das so als Tandem. Ich finde, das kann und sollte nicht in einem Widerspruch stehen.
Davon abgesehen ist all das ermüdend, Aktivismus kostet Kraft und sich mit den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen ebenfalls. Das ist noch mal eine andere Frage: Wie schafft mensch es sich immer wieder zu empowern und neue Energie zu schöpfen, um weiterhin aktiv zu sein? Darauf hab ich keine Antwort (lacht).
Und was bestärkt dich dann darin, (als Aktivistin) weiterzumachen?
Erst einmal bestärken mich die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Ob es Menschen sind, mit denen ich direkt zusammenarbeite, wie bei Black Earth, oder ob es mir unbekannte Menschen sind. Das Gefühl zu haben, wir kämpfen für die gleiche Sache – das bestärkt mich.
Gerade mit den Klima-Themen habe ich viele Momente, in denen ich denke, es ist hoffnungslos. Aber was mich letztendlich immer wieder mobilisiert, ist das Wissen, dass ich eine von den letzten Personen bin, die es trifft. Deswegen sehe ich das einfach als meine Verantwortung – auch wieder da, meine Privilegien zu nutzen oder zu teilen, wo möglich. Und zu kämpfen, wie das so viele vor mir getan haben und mit mir tun.
Aktiv zu sein holt mich heraus aus meiner Ohnmacht. Wir können uns all die schlechten Nachrichten angucken und den Kopf in den Sand zu stecken. Aber das fühlt sich auch ziemlich furchtbar an. Mit anderen Leuten zusammen aktiv zu sein, raus zu gehen und das Gefühl zu haben, zumindest das, was mir einfällt und in meiner Macht steht, zu tun – das bestärkt mich auf jeden Fall.
Charlotte Heidebrecht
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