Hebammen-Landesvorsitzende Heike Schiffling über die Situation der Geburtshilfe in Bremen
Samstag, 5. Mai 2018, ist Internationaler Hebammentag. Hohe Haftpflichtprämien und in der Folge Berufsaufgabe vieler freiberuflicher Hebammen, immenser Arbeitsdruck für Geburtshelferinnen in den Kliniken, lange Wege für Schwangere, weil kleine Kliniken ihre Kreißsäle schließen – das sind die Schlagzeilen, mit denen Hebammen und Geburtshilfe in den vergangenen Jahren öffentlich vorkamen. Wie ist die aktuelle Situation in Bremen? Heike Schiffling, Vorsitzende des Hebammenlandesverbands Bremen, berichtet. Die 49-Jährige arbeitet seit 27 Jahren als Hebamme.
ZGF: Wie bewerten Sie die Situation der Hebammen in Bremen?
Heike Schiffling: Die Kolleginnen in den Kliniken sind überlastet. Die Geburtenraten steigen, und die Kliniken sind personell und räumlich an ihren Grenzen. Und auf den Stationen der Geburtshilfe spielt sich dasselbe ab wie in den Notaufnahmen: Es gibt unheimlich viel Ambulanz. Der Weg zur Klinik ist niedrigschwellig – aber in der Masse wie es jetzt zu bewältigen ist, reichen die personellen Kapazitäten gar nicht. Und es schafft viel Unruhe.
Aber laut Statistischem Bundesamt wächst die Zahl der Hebammen und Entbindungspfleger in Krankenhäusern.
Hier werden ja die Köpfe gezählt, und nicht die Vollzeitstellen. Die meisten Hebammen arbeiten in Teilzeit – weil sie die Belastung in Vollzeit gar nicht schaffen könnten. Hebammen werden händeringend gesucht, die Kolleginnen können sich die Jobs aussuchen.
Ist Hebamme also kein attraktiver Beruf mehr, wenn offenbar der Nachwuchs fehlt?
Das würde ich so nicht sagen. Dabei zu sein und zu unterstützen, wenn neues Leben auf die Welt kommt, ist eine unglaublich schöne Tätigkeit. Aber es fehlt an Wertschätzung, auch finanziell. Hebammen tragen viel Verantwortung und müssen hochflexibel sein, und das bildet sich weder in der Bezahlung noch in der allgemeinen Wertschätzung ab. Da ist noch deutlich Luft nach oben.
Wie ist denn die Situation bei den freiberuflichen Hebammen? Im vergangenen Jahr haben die letzten drei Beleghebammen ihre Tätigkeit aufgegeben – hat sich hier etwas verändert?
Leider nicht, Beleghebammen haben wir nicht. Aber Bremen verzeichnet nach wie vor eine hohe Rate an Hausgeburten und Geburtshausgeburten. Hier gibt es keinen Rückgang, im Gegenteil: Die Geburtshäuser würden gerne weitere Hebammen einstellen. Derzeit müssen sie Schwangeren absagen, die gerne hier betreut würden, weil einfach die Kapazitäten fehlen.
Immens steigende Haftpflichtprämien haben viele freiberufliche Hebammen gezwungen, die Geburtshilfe aufzugeben – ist diese Problematik nach wie vor so bedrohlich für den Berufsstand wie es in den vergangenen Jahren der Fall war?
Die Problematik besteht nach wie vor, übrigens nicht nur für Hebammen, sondern auch für Belegärzte oder Kliniken – sie alle haben die massive Steigerung der Haftpflichtprämien zu verkraften. Für die Hebammen allerdings ist durch die derzeit laufende Regelung – die Krankenkassen tragen mit dem so genannten Sicherstellungszuschlag einen Großteil der Haftpflichtprämien – der Druck etwas herausgenommen. Aber eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht, und 2020 laufen die jetzt geltenden Verträge aus.
Das heißt?
Dass wir bis dahin eine tragfähige politische Lösung brauchen, die in meinen Augen ein staatlicher Haftungsfonds sein muss.
Wie bewerten Sie es, dass es hier bisher nur vorübergehende Lösungen gibt und eine nachhaltige Klärung nicht in Sicht ist?
Ich bewerte das so, dass Frauengesundheit offenbar keinen sehr hohen Stellenwert hat. Das ist auch daran zu merken, dass Schwangeren in ländlichen Gebieten weite Wege zugemutet werden, weil in den kleineren Krankenhäusern die Kreißsäle schließen. Die Zentralisierung der Kliniken lässt sich sicher nicht zurückdrehen, aber dann brauchen wir doch neue, tragfähige Konzepte, wie die Begleitung Schwangerer und Geburtshilfe dann gehen soll. Dass hier nichts geschieht, grenzt für mich an Frauenfeindlichkeit. Das gilt auch für das Vergütungssystem: Für eine normale Geburt bekommt eine Klinik so viel wie für eine Hämorrhoiden-OP. Eine Geburt dauert Stunden, eine solche OP 20 Minuten. Da stimmt etwas nicht im System, und es gibt auch keinen erklärten Willen das zu ändern. Wenn’s da um Männer ginge, wär der Aufschrei sicher größer.
Anderes Thema: Der Beruf der Hebammen wird akademisiert, sprich: wird ein Studiengang. Ist das in Ihren Augen richtig?
Ja, auf jeden Fall. Und darin liegt keine Abwertung der Kolleginnen, die mit einer zwei- oder dreijährigen Ausbildung in den Beruf gekommen sind. Wir alle machen gute Arbeit und wir haben unglaublich hohe Fortbildungszeiten. Wir sind in unserem Job immer wieder in Situationen, in den wir entscheiden müssen, und in diese Entscheidungen müssen wissenschaftliche Sichtweisen einfließen. Damit müssen Hebammen umgehen können, deshalb ist der Lernort Hochschule der richtige.
Auch wenn dann das Abitur Voraussetzung wird, also Frauen mit niedrigeren Abschlüssen keine Chance haben?
98 Prozent aller Hebammen haben ohnehin schon Abitur – und von daher gesehen darf der Hebammenberuf auch kein Ausbildungsberuf mehr sein. Außerdem ist jungen Frauen auch nicht mehr zuzumuten, dass die Ausbildung nicht EU-kompatibel ist. Und das ist sie derzeit nicht – wir sind eines der letzten Länder in Europa, die die Ausbildung noch nicht ausschließlich akademisiert haben. Und last but not least wird ein Studienabschluss die Situation der Hebammen in den Kreißsälen stärken, Stichwort: Augenhöhe mit dem ärztlichen Personal.
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