Rezension eines Artikels der EMMA zum Thema Geburt
In dem Artikel „Wie natürlich muss es denn sein?“, erschienen in der Ausgabe Januar/Februar 2015 der EMMA, beleuchtet die Medizinjournalistin Dr. Med. Martina Lenzen-Schulte das Für und Wider eines Kaiserschnittes. So wird der Artikel zumindest eingeleitet. Auf den folgenden zwei Seiten findet der Leser bzw. die Leserin jedoch wenig Argumente gegen einen Kaiserschnitt. Ist der Kaiserschnitt das lange vernachlässigte neue Wundermittel, durch das eine Geburt zum Klacks wird?
Nein, so einfach ist es natürlich nicht
Dr. Med. Martina Lenzen-Schulte beginnt ihren Artikel damit, dass entgegen aller Vorstellungen, eine normale Geburt nicht die Regel sei. Nur in 7 Prozent der Fälle gehe die Geburt ohne Eingriff vonstatten. Es sei laut Aussage der Autorin ein Märchen, dass alles ganz anders sein könne, ließe man der Natur nur Zeit. Die Autorin nennt die verzögerte Geburt als Hauptgrund für einen Kaiserschnitt bei Erstgebärenden. Hier würden die Verfechter*innen einer natürlichen Geburt für’s Weitermachen plädieren und der Schwangeren einen Kaiserschnitt als Trostpreis vermitteln. So als hätte die
Gebärende sich nicht genug angestrengt. Dabei läge es bei einigen Frauen, die z.B. an Übergewicht oder Diabetes litten, an der Beschaffenheit der Muskelzellen der Gebärmutter, die zu schwachen Kontraktionen führten und somit eine Geburt verzögerten. Das jedoch nicht alle Schwangeren, deren Geburt verzögert ist, automatisch an Diabetes oder Übergewicht leiden, übersieht die Medizinerin hier wohlweislich.
Die Geburt: das Stiefkind der medizinischen Forschung
Ein Argument, in dem man ihr jedoch gerne zustimmt, ist dass die Geburt von der medizinischen Forschung gerne vernachlässigt wird. Hier muss die Forschung weiter vorangetrieben werden. Anschließend führt die Autorin als Argument für einen Kaiserschnitt jedoch die Schädigung des Beckenbodens durch eine natürliche Geburt an. Der dazu befragte Experte gibt ihr Recht und argumentiert, die hohe Kaiserschnittrate liege auch an dem zunehmend höherem Alter und dem Übergewicht der Schwangeren.
Beckenbodenschäden, Dammrisse, Inkontinenz – also lieber Kaiserschnitt?
Dr. Med. Martina Lenzen-Schulte übersieht zudem, dass ein Kaiserschnitt nicht zwingend vor Schäden am Beckenboden schützt. Bis heute kann die Forschung nicht klären, ob die Veränderungen des Beckenbodens durch die Geburt bedingt sind. Denn es werden auch hormonelle Umstellungen während der Schwangerschaft oder die größer und schwerer werdende Gebärmutter, die auf den Beckenboden drückt, als mögliche Ursachen in Betracht gezogen. Laut einem Bericht der Technikerkrankenkasse kommt es in seltenen (!) Fällen zu Veränderungen des Beckenbodens. Eine Schädigung des Beckenbodens ist also erstens nicht die Regel und zweitens nicht zwingend auf die Geburt zurückzuführen, sondern kann auch nach einem Kaiserschnitt auftauchen. Auch die genannte Inkontinenz, die laut Autorin durch eine natürliche Geburt auftritt, kann durch ein gutes Rückbildungstraining reduziert und vermieden werden. Sie ist nicht zwingend die Folge einer natürlichen Geburt, sondern der Schwangerschaft. Schwere Stuhlinkontinenzen wurden auch nach Schnittentbindungen festgestellt. Sie sind leider auch so nicht zu vermeiden. Der beste Weg bleibt, sie durch Rückbildungskurse in den Griff zu bekommen und sich an seinen Arzt zu wenden. So können, laut eines Artikels des Ratgebers Baby und Familie, 95 Prozent der befragten Mütter ihre Inkontinenz loswerden.
Die Medizinjournalistin weist auch darauf hin, dass bei natürlichen Geburten bei etwa einem Drittel der Gebärenden Darmrisse vorkämen, dies aber oft verleugnet würde. Dazu ist anzumerken, dass ein Dammriss, wie die Autorin indirekt selber zugibt, nicht zwingend auftreten muss. Er ist vermeidbar und die Hebammen bemühen sich ihn zu verhindern. Tritt er jedoch auf, kann er genäht werden, sodass die Wenigsten danach noch etwas spüren.
Kaiserschnitt: Drücken vor der Geburt?
Immer wieder taucht auch das Argument auf, dass aus Sicht der Gesellschaft Frauen, die einen Kaiserschnitt wählten, sich um die „richtige“ Geburt gedrückt hätten – ein Vorwurf, der durchaus zu kritisieren ist – so eine Meinung mag von einigen Verfechter*innen der natürlichen Geburt durchaus vertreten werden. Diese Aussage zu verallgemeinern, ist falsch. Denn es geht es bei der Entscheidung zwischen natürlicher Geburt und Kaiserschnitt noch um etwas ganz anderes. Was die Autorin nämlich in ihrem Artikel nicht berücksichtigt, ist, dass ein Kaiserschnitt eine schwere Operation ist. Dies müssen sich Frauen bei der Entscheidung bewusst sein. Die Technikerkrankenkasse gibt an, dass laut einer 2006 veröffentlichten Umfrage 86 Prozent der Frauen die Folgen eines Kaiserschnittes unterschätzt hätten. Die Schmerzen kommen bei dem Kaiserschnitt erst nach der Geburt. Es treten Wund- und Narbenschmerzen auf, die in den ersten Tag nach der Geburt, die die Versorgung des Babys durch die eigene Mutter behindern. Eine Versorgung durch die Mutter ist dann alleine und ohne Hilfe nicht möglich. Zudem dauert die Erholung von einem Kaiserschnitt länger als von einer natürlichen Geburt, da der Körper nicht nur die Anpassung nach der Schwangerschaft leisten muss, wie Rückbildung oder das Einsetzen der Milchproduktion, sondern sich auch noch von einer schweren Operation erholen muss.
Fazit:
Eine Degradierung von Schwangeren, die sich für einen Kaiserschnitt entscheiden oder bei denen ein Kaiserschnitt notwendig war, soll hier nicht stattfinden und ist auch nicht zielführend. Es geht um eine bessere Aufklärung. Es ist wichtig, sich vorher über die Vorteile und Risiken zu informieren. Diese treten anders als man es nach dem Lesen des Artikels glauben mag auch bzw. insbesondere bei Kaiserschnitten auf. Für die Schwangeren ist es nicht hilfreich, dass in einem solchen Artikel so massiv und polemisch gegen die natürliche Geburt und für einen Kaiserschnitt geworben wird, sodass es fast an Panikmache grenzt. Wichtig ist, sich zu informieren, um dann auf den eigene Fall bezogen abzuwägen, ob ein Kaiserschnitt nötig ist. Denn das auch dieser Risiken birgt, sollte Schwangeren bewusst sein. Die Geburt wird in dem Artikel als ein medizinischer Vorgang dargestellt, der verklinischt wird. Doch darf nicht vergessen werden, dass sie dies nicht ist. Bei einer Geburt wird nicht etwas wegoperiert, geheilt oder schöner gemacht. Sondern es ist der Beginn eines neuen Menschenlebens.
Ausgewogener als dieser aktuelle EMMA-Artikel ist der Artikel „Kontrovers: Kaiserschnitt – Ja oder Nein?“, der 2010 in der EMMA erschien.
Die Technikerkrankenkasse hat eine Broschüre rund um das Thema Kaiserschnitt und natürliche Geburt erstellt, in der die Risiken und Folgen aufgeführt werden.
Lisa Dean
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