Berlin, 30.05.2016. Verbände fordern Umgangspauschale für Kinder statt Leistungskürzungen bei Alleinerziehenden. Denn Kinder getrennter Eltern, die Umgang mit Mutter und Vater pflegen, dürfen nicht im SGB II-Bezug benachteiligt werden.
Gemeinsame Erklärung
Die jetzt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorgeschlagene gesetzliche Verankerung einer tageweisen Kürzung des Sozialgeldes im Haushalt von Alleinerziehenden lehnen wir ab. Durch den erhöhten Umgang mit dem anderen Elternteil entsteht ein zusätzlicher Bedarf, der anerkannt und durch die Einführung einer Umgangspauschale für den umgangsberechtigten Elternteil gedeckt werden muss.
Nach der vorgesehenen Neuregelung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) soll das dem im Haushalt eines/einer alleinerziehenden Hartz IV-Empfänger_in lebenden Kind zustehende Sozialgeld um die Tage gekürzt werden, die es beim anderen Elternteil verbringt. Diese Pläne stehen im Zusammenhang mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung für die Verwaltung und Leistungsbeziehenden. Statt einen Mangel zwischen den Eltern hin- und herzuschieben, muss der Gesetzgeber seiner Verantwortung in der Grundsicherung gerecht werden und den erhöhten umgangsbedingten Kindermehrbedarf anerkennen.
Regelmäßig soll zukünftig bei allen Alleinerziehenden, deren Kinder Umgang mit dem anderen Elternteil (i.d.R. der Vater) haben, gekürzt werden, auch dann, wenn der umgangsberechtigte Elternteil nicht selbst hilfebedürftig im Sinne des Grundsicherungsrechts und nicht auf das Sozialgeld für das Kind angewiesen ist. Diese Regelung würde eine deutliche Verschlechterung für sehr viele Kinder alleinerziehender Eltern im SGB II darstellen. 39 Prozent aller Alleinerziehenden beziehen SGB II-Leistungen, die Hälfte aller Kinder im SGB II lebt bei Alleinerziehenden.
Der Bedarf von Kindern kann realistisch nicht tageweise berechnet werden. Zum einen fallen doppelte Kosten zum Beispiel für Kleidung und Ausstattung an und zum anderen werden laufende Kosten wie zum Beispiel für Versicherungen, Vereinsbeiträge oder das Handy im Haushalt der Alleinerziehenden auch bei tageweisen Abwesenheiten des Kindes nicht eingespart.
Beispiel: Für ein Kind im Alter von sechs bis 14 Jahren sieht das Sozialrecht neun Euro pro Tag vor. Wird das Sozialgeld für zwei Wochenenden bzw. fünf Tage im Monat gestrichen, muss die Alleinerziehende eine Kürzung von über 45 Euro verkraften.
Die von diesem Verfahren erhoffte Verwaltungsvereinfachung ist eine Illusion und verursacht (neue) Konflikte über Umgangszeiten in den Familien. Die Anzahl der Umgangstage kann monatlich wechseln und muss dann jeweils pro Monat neu berechnet werden. Eine Vereinfachung ist hier nicht erkennbar. Ein finanzieller Anreiz für die Reduzierung von Umgangstagen konterkariert darüber hinaus die von der Familienpolitik angestrebte Förderung partnerschaftlicher Elternschaft. Außerdem stellt sie einen Systembruch zum Familienrecht dar, wonach der Kindesunterhalt nicht einfach gekürzt wird, wenn das Kind sich beim Umgangsberechtigten aufhält.
Solange das Kind einen Lebensmittelpunkt hat, wird der Elternteil dort primär für die Organisation des kindlichen Alltags und die Bedarfsdeckung verantwortlich sein. Damit haben Alleinerziehende nicht nur die Hauptverantwortung, sondern auch die größeren Ausgaben sowie Anschaffungen zu tätigen, für die der volle Sozialgeldsatz verlässlich zur Verfügung stehen muss.
Deshalb fordern wir die Einführung eines sozialrechtlichen Umgangsmehrbedarfes in Form pauschalisierter und gestaffelter Zuschläge als Anspruch des umgangsberechtigten Elternteils. Erst mit der Gewährung eines solchen Mehrbedarfs sehen wir die Existenzsicherung für Kinder getrennt lebender Eltern mit SGB II-Leistungsbezug als tatsächlich gesichert an.
Wir fordern alle beteiligten Akteure auf, die Interessen der Kinder Alleinerziehender in den aktuellen Verhandlungen um die Rechtsvereinfachungen im SGB II zu unterstützen! Umgang darf nicht vom Geldbeutel abhängen!
Unterzeichnende
Dr. Anke Klaus, Vorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen Gesamtverein e.V. Federführender Verband der Arbeitsgemeinschaft Interessenvertretung Alleinerziehende (AGIA)
Wolfgang Stadler, Bundesvorsitzender AWO-Bundesverband e.V.
Hannelore Buls, Vorsitzende Deutscher Frauenrat Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie e.V. (DGSF)
Ramona Pisal, Präsidentin Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb)
Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Heinz Hilgers, Präsident Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V.
Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband
Christel Riemann-Hanewinckel, Präsidentin evangelische arbeitsgemeinschaft familie e.V. (eaf)
Dr. Eske Wollrad, Martin Rosowski, Geschäftsführende Evangelisches Zentrum Frauen und Männer gGmbH
Stefan Becker, Präsident Familienbund der Katholiken e.V. (FDK)
Dr. Frank Johannes Hensel, Sprecher Nationale Armutskonferenz (nak)
Birgit Uhlworm, Bundesvorstandsvorsitzende Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender (SHIA) e.V. Bundesverband
Solveig Schuster, Bundesvorsitzende Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V. (VAMV)
Angela Rother-El-Lakkis, Bundesvorsitzende Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
Christiane Reckmann, Vorsitzende Zukunftsforum Familie e.V. (ZFF)
Pressemitteilung via Deutscher Frauenrat
redaktion meint
Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf geeinigt, es bei der derzeitigen Rechtslage zu belassen. Was die Diskussion aber noch einmal für alle deutlich gemacht hat: In Wirklichkeit brauchen diese Eltern sogar einen Umgangsmehrbedarf wie die Pressemitteilung des Deutschen Juristinnenbundes aufzeigt: https://www.djb.de/Kom/K4/pm16-17/
Emilia meint
Der Passus ist im Gesetzentwurf rausgestrichen worden!!!! Erfolg des vielfältigen und Protestes der Frauenverbände. Klasse!!!
Ronja meint
Das ist wirklich unglaublich! Als ob eine doppelte Haushaltsführung nicht mehr Geld kostet, als wenn des Kind nur in einem Elternhaus wohnt! Die Jugendämter raten bei getrennt lebenden Eltern mehr und mehr – manchmal unbedacht und mechanisch – zum sogenannten Wechselmodell. Und dann sollen wir noch dafür bestraft werden? Dann ist die Überschrift der Erklärung superrichtig. Ich zumindest kann mir dann den Kontakt des Kindes mit dem Vater nicht mehr leisten!