Es wird Sommer und wir befinden uns mitten in der Festival-Saison. Aber wer steht da eigentlich so auf den Bühnen? Diese Frage stellt sich nicht nur beim Besuch von Festivals. Wer also steht auf den Club-Bühnen? In Bremen hauptsächlich männlich gelesene Personen – zu diesem Ergebnis kommt die Erhebung „Zahlen, Daten, Fakten“ von musicHBwomen* in Kooperation mit dem Bremer Clubverstärker. Zunächst nicht wirklich überraschend, doch die konkreten Zahlen hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack:

Im Veranstaltungsjahr 2023 standen in den für die Untersuchung ausgewählten Bremer Clubs zu 83% männlich gelesene Personen auf den Bühnen. Mehr als die Hälfte der Veranstaltungen (53%) fand zudem ohne die Beteiligung weiblich gelesener Personen auf der Bühne statt.
Warum ist eine solche Bühnen-Studie wichtig?
Wie die Zahlen zeigen ist auch die Musikbranche nicht frei von patriarchalen Strukturen. Belastbare Daten helfen in der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit und bei der Beantragung gezielter Fördermittel für FLINTA*, erzählt uns Anke Königschulte, Projektkoordinatorin bei musicHBwomen*. „Es darf nicht am Geschlecht hängen, welche Chancen ich im Leben habe. Es ist unser Auftrag, eine Gleichberechtigung in Bremen anzustreben“, erzählt sie. Für Bremen existierten zuvor keine Zahlen – Dank der Erhebung gibt es jetzt eine Grundlage, um in Politik und Gesellschaft stichhaltiger zu argumentieren.
Die Personen, die wir regelmäßig auf Bühnen sehen, prägen uns: Katharina Kunze, die stellvertretende Landesfrauenbeauftragte,betont, dass uns Vielfalt, Perspektiven und Meinungen verloren gehen, sollte nur eine oft eher privilegierte Gruppe der Gesellschaft auf den Bühnen stehen. Musik sei ein Ausdruck für verschiedene politische Ansichten, Lebenserfahrungen und Emotionen die ansonsten unterschlagen oder nicht genug gehört werden, obwohl sie ebenso existieren.
Was sind mögliche Hintergründe der Ergebnisse?
Anke Königschulte nennt die „kinderunfreundlichen Uhrzeiten“ als einen möglichen Grund. Frauen mit Kindern leisten den Großteil der Care-Arbeit, was schwierig mit abendlichen Veranstaltungen oder sogar Touren vereinbar ist: „Frauen, die Musik studieren, landen häufig eher in einem pädagogischen Bereich oder in der Lehre anstatt selbst auf einer Bühne.“ Denkbar wären auch festgefahrene Rollenbilder von „typischen Männerinstrumenten“, wie zum Beispiel das eines Schlagzeugs sowie das Bild von „Sex, Drugs, Rock’n’Roll“, welches eher Männer auf die Bühnen und Frauen in die Groupie-Rolle dränge. Auch das Fehlen von genügend „Role Models“, die für Ermutigung sorgen, könne ein Punkt sein.
Wie verlief die Zählung?
Das Studiendesign wurde aus Hamburg von musichhwomen* übernommen. Erfasst wurden 850 Veranstaltungen (Live- und DJ-Formate) in 15 Bremer Clubs und Spielstätten aus dem Jahr 2023. Er erfolgte eine Differenzierung der rund 4500 auftretenden Personen in männlich gelesen, weiblich gelesen und offen nicht-binär/genderqueer.
Offen zugängliche Daten im Internet (Websites, Social Media) sowie Fotos, Videos, Spielpläne und Pressematerialien bildeten die Grundlage für die Erfassung des Geschlechts der gezählten Personen, weshalb die Rede von männlich/weiblich/queer „gelesen“ ist. Die Dunkelziffer besonders für nicht-binäre/genderqueere Personen liegt vermutlich höher.
„Der Aufwand war höher als gedacht, aber es war uns wichtig, nicht zu oberflächlich einzusteigen“, erzählt Anke Königschulte. Ein Dreivierteljahr dauerten Recherche und Auswertung. „Aus Hamburg kam viel Unterstützung und mit dem Clubverstärker an unserer Seite hatten wir eine gute Mittelsperson zu den Locations.“ Wichtig zu betonen sei: Es gehe auf keinen Fall darum, die Clubs in ein schlechtes Licht zu rücken oder gegen diese zu arbeiten. Vielmehr gehe es um eine Zusammenarbeit: „Alle sind finanziell am kämpfen, dann ist es verständlich, wenn die wirtschaftlichere Entscheidung [in vielen Fällen gegen FLINTA*] Vorrang haben muss. Die Leute bleiben gern beim Gewohnten und es muss dann gebucht werden, was auch zieht.“

Detailliertere Ergebnisse könnt ihr auf der Website von musicHBwomen* nachlesen – beispielsweise alle Clubs, Veranstaltungstypen oder Genres im direkten Vergleich. Die Zahlen lassen auf einen Zusammenhang von Geschlechterrepräsentanz und Genre schließen und zeigen auch, dass DJ-Veranstaltungen einen deutlich höheren Anteil weiblich gelesener/genderqueerer Personen auf der Bühne aufweisen als andere Live Musik Veranstaltungen.
Vielfältige (auch qualitative) Anschlussstudien sind jetzt denkbar – womöglich in Kooperation mit Hochschulen und Universitäten. Das aktuelle Projekt soll zudem „ständig weiter begleiten“.
WD42 Festival
Auch in diesem Jahr findet wieder das WD42 Festival statt. Vom 21. bis zum 23. November stehen weibliche und queere Künstler*innen auf den Bühnen. Es gibt Workshops für FLINTA* sowie die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Banden zu bilden. Ein Safe Space für gegenseitige Unterstützung wird geschaffen, ebenso Raum für politische Formate und Diskussionen. Offen für alle Geschlechter.
Laura S.
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