TW: In der Rezension wird die im Buch geschilderte sexuelle Belästigung beschrieben, welche die Protagonistin erfährt. Leser*innen, die dies nicht lesen möchten, können den Absatz „sexuelle Belästigung als Teil von Alltagsleben“ überspingen.
Heute möchte ich euch das südkoreanische Buch „Kim Jiyoung, geboren 1982“ vorstellen. Es wurde im Oktober 2016 in Südkorea veröffentlicht und in zwölf Sprachen übersetzt. Weltweit wurde es über zwei Millionen Mal verkauft. Seit seiner Veröffentlichung wurde es als feministischer Roman bezeichnet. Auf 208 Seiten verfolgen wir Kims gewöhnliches Leben von ihrer frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter und sehen, wie sie nach und nach an postnataler Depression leidet.
Frauen und Männer werden unterschiedlich behandelt
In ihrer Familie war Kim Jiyoung eine brave Tochter, obwohl sie stets weniger Betreuung als ihr Bruder bekam. Bei den Mahlzeiten wurde das Gericht streng nach der Reihenfolge serviert: Vater – Sohn – Großmutter – Töchter. Leckere Kuchen und alle wertvollen Sachen wurden auch zuerst dem Jungen gegeben. Die zwei Schwestern erhielten die Reste, falls es noch welche gab.
Auch in der Schule richteten sich die Vorschriften nach Geschlechtern. Jungen hatten die niedrigeren Matrikelnummern: Gab es in einer Klasse beispielsweise 20 Jungen, erhielten diese die Matrikelnummern 1-20 und die der Mädchen begannen erst ab der Nummer 21. Die Schüler mussten sich nach dieser Reihenfolge zum Essen anstellen. Außerdem war es den Mädchen erst erlaubt ihre Mahlzeit zu sich zu nehmen, wenn die Jungen mit dem Essen fertig waren. Zudem gab es strikte Kleidungsordnungen, an die sich auch vor allem Schülerinnen halten mussten, wie zum Beispiel die Rocklänge und die Farbe des Unterhemds.
Auch später im Unternehmen hat sie trotz ausgezeichneter Leistung weniger Aufstiegsmöglichkeiten als ihr Kollege, weil Frauen irgendwann in Mutterschaft gehen.
Sexuelle Belästigungen als Teil vom Alltagsleben
Kim Jiyoung wurde einmal von einem fremden Jungen verfolgt. Statt Trost zu erhalten, wurde sie stark von ihrem Vater ausgeschimpft: „Warum trägst du überhaupt einen so kurzen Rock? Du bist selbst daran Schuld!“. Als Frauen müssen wir uns immer gut benehmen und die Verantwortung der sexuellen Belästigungen durch andere tragen.
Im Gespräch wurden drei weibliche Kandidatinnen gefragt: „Wie würden Sie darauf reagieren, wenn Sie in einem Meeting bei einem Kunden wären und er Sie an Schulter und am Oberschenkel berührt? “ Der Mann von der Personalabteilung fragte das so, als ob sexuelle Nötigung ein Teil des Jobs wäre und als sollten Frauen sich allmählich daran gewöhnen.
Auf den Toiletten und in den Umkleideräumen der vorherigen Firma von Kim wurden versteckte Kameras gefunden. Die Aufnahmen aus den Kameras wurden dann regelmäßig ins Internet übertragen. Ein Kollege im Büro entdeckte zufällig diese Bilder seiner Mitarbeiterinnen. Aber statt sofort die Polizei zu rufen, teilte er zuerst die Fotos mit anderen Arbeitskollegen. Das ist auch ein aktuelles ernsthaftes Thema in Südkorea. In der Realität ist die Situation nur noch schlimmer. Mini-Kameras sind überall heimlich installiert, in der U-Bahn, in der Sauna, im Hotel und sogar in vielen Alltagsgegenständen, wie Wasserflaschen, Zigarettenpackungen, Autoschlüsseln und Lesebrillen. Deshalb gingen im Jahr 2018 22.000 Frauen auf die Straße und riefen im Chor „Mein Leben ist nicht dein Porno“.
Entstehung des Buches
Die Autorin dieses Buches Choo Nam-joo war früher Drehbuchautorin bei einer Fernsehsendung, aber wegen ihrer Schwangerschaft hat sie widerwillig gekündigt. In ihrem Hausfrauendasein hatte sie nichts zu lachen. Um ihre privaten Sorgen und Probleme ausdrücken zu können, entschloss sie sich, einen Roman zu schreiben. Dafür sammelte sie zahlreiche Nachrichten und Statistiken der Regierung, Recherchen und Interviews als Material. Dann entstand Kim Jiyoung, geboren 1982. Das ist der Grund, warum fast alle beim Lesen eigene Erfahrungen darin finden können. Anstatt dramatische Handlung darzustellen, beschreibt das Buch in subtilem Stil gemeinsame Erfahrungen der koreanischen Frauen.
Der enorme gesellschaftliche Einfluss
Nach dem Erscheinen sorgte das Buch für große Furore und hat sogar eine Frauenbewegung in Korea ausgelöst. Im Jahr 2018 wurde das Buch von der Regisseurin Kim Do-young verfilmt. Die Hauptrollen spielen Jeong Yu-mi und Gong Yoo. Dieses Mal erweiterte sich der Einfluss in ganz Asien und es wurde weltweit kontrovers diskutiert. Aber sowohl beim Buch als auch beim Film sind die Bewertungen offensichtlich je nach Geschlecht ganz verschieden. Viele Männer sind der Meinung, dass fiktionale Männerfiguren dämonisiert wurden und sich die Konflikte zwischen Männern und Frauen dadurch verstärken. Ein Mann imitierte sogar die Form und schaffte demgegenüber „Kim Jihun, geboren 1990“. Das Buch, eine Parodie auf Chos Roman, fokussierte sich auf einen normalen südkoreanischen Mann, der im Jahr 1990 geboren wurde. Er behauptete dadurch, dass Männer in Korea auch mit Diskriminierung konfrontiert sind, wie zum Beispiel: Getrennt bezahlen ist das Wahrzeichen für Geiz. Oder in der Ehe sollten Männer die Kosten der Wohnung alleine decken.
http://www.youtube.com/watch?v=uUqsGBspxU4
Warum muss ich das Buch unbedingt empfehlen?
Ich komme aus China. Bei uns ist die Konstellation der Frauen ähnlich wie im Buch beschrieben. Die Erfahrungen von Kim Jiyoung habe teilweise auch ich erlebt. Ich bin auch so aufgewachsen. „Mädchen müssen ruhig und zurückhaltend sein, nicht so aggressiv“, sagte meine Lehrerin, nachdem ich mit meiner Wasserflasche einen Jungen schlug, weil er oft meine Haare mit Absicht aufgemacht hatte. „Du musst kochen lernen, sonst wird dich niemand heiraten“ sagte meine Mutter, wenn ich Instant-Nudeln zu Hause gegessen habe. „Quatsch! Nur nachdem du Kinder kriegst, wirst du eine komplette Frau.“ sagte meine Großmutter, als ich einmal kurz erwähnte, dass ich keine Kinder bekommen möchte. Wir Mädchen wurden immer dazu erzogen, eine gute Frau und Mutter zu werden.
Warum müssen Frauen auf ihre Karriere verzichten und sich um die Familie kümmern? Haben Frauen keine Träume? Warum können wir uns für das Leben nicht entscheiden? Die Geschlechterungleichheit ist so auffällig, aber warum ärgern wir uns gar nicht?
Ich glaube, der Grund liegt daran, dass wir so an das Patriarchat gewöhnt sind. Wir akzeptieren die Diskriminierung einfach als „normal“. Wir sehen die traditionelle Geschlechterstereotype nie als problematisch an. Deshalb brauchen wir solche Bücher, um mehr Frauen aufwecken zu können. Wie die Autorin im Nachwort schreibt: „Ich glaube, die Welt wird besser sein, und dafür kämpfe ich. Ich hoffe, alle Töchter dieser Welt können noch größer, höher und weiter träumen.“ Ich bin auch davon überzeugt, dass eine bessere und freie Zukunft zu erwarten ist, auch wenn es noch lange dauert.
Run Yuan
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