Inhaltswarnung: dieser Artikel thematisiert Gewalt während Schwangerschaftsabbrüchen.
Das Haus der Wissenschaft hat letzten Donnerstag die deutsch-russische Wanderausstellung „Leningradski feminism 1979“ eröffnet. Rund um die erste illegale, feministische Zeitschrift in Leningrad werden sowjetische Autorinnen und ihr Leben vorgestellt. Wir haben die Ausstellungseröffnung besucht und durften einen Blick in die raue Welt der Feministinnen rund um Leningrad werfen.
Die Ausstellung
Mit der Ausstellung “Leningradski feminism” wird der Kampf von wenigen Frauen gegen das vorherrschende Patriachat abgebildet. Leningrader Frauen veröffentlichten 1979 im Samisdat (deutsch: Selbstverlag) die feministische Zeitschrift „Die Frau und Russland“ und 1980 die Zeitschrift „Maria“. Trotz verbundener Risiken und Folgen für die Frauen schrieben sie aus dem Untergrund, schafften es mit dem Schmuggel einzelner Exemplare sogar bis nach Paris und Frankfurt. Die Ausstellung porträtiert das Leben von mutigen sowjetische Frauen als Autorinnen im Untergrund.
Wer eine alternative Frauenbewegung aus der damaligen Sowietunion kennenlernen möchte, ist bei “Leningradski feminism” im Haus der Wissenschaft gut aufgehoben. Die in sechs Abschnitte unterteilte Ausstellung zeigt einen Bruch aus alten Fotos und modernen Illustrationen. Kleine Textpassagen, starke Zitate und Kommentare der Akteurinnen zeigen die Passion und den Ehrgeiz der Frauen damals – wie heute.
Gleichstellung?
Von außen schien die Sowjetunion als Vorreiterin der Gleichstellung zwischen Frau und Mann. Die Ausstellung “Leningradski feminism 1979” zeigt das Gegenteil. Durch den Arbeitskräftemangel, waren Frauen in der Arbeitswelt zwar integriert, jedoch gesellschaftlich nicht berücksichtigt. In den 1970er Jahren waren ca. 85 % der Frauen Vollzeit beschäftigt. Trotzdem waren die Jobs der Frauen geringer qualifiziert, schlechter bezahlt und körperlich anstrengender. Weiterhin waren die Kinderbetreuung und -erziehung sowie die Aufgaben im Haushalt Frauensache.
“Mein Eindruck [war] immer: Diese Zeit war ungemein belastend für Frauen, weil ja wirklich fast alle Frauen voll erwerbstätig waren, weil der Haushalt, die Kindererziehung auch auf ihnen lastete.” (Beate Fieseler)
Die Zeitschrift
Die Autorinnen der illegalen, feministischen Zeitschrift befassen sich mit ganz Alltäglichem. Oder besser gesagt, mit dem ganz “normalen” Alltag der Frauen. Berichtet wird also über die Doppelbelastung von Job, Erziehungs- und Haushaltsarbeit. Gewalt gegenüber Frauen in Geburtsklinken und Erziehungslagern wird ebenfalls thematisiert. Angebliche Gleichstellung schlägt in Unterdrückung der Frauen um. Patriarchalische Strukturen werden sichtbar gemacht. Die Brutalität gegenüber Frauen zeigt sich im Abschnitt “Geburt”.
Schwangerschaftsabbruch
Durch den Geburtenrückgang in den 70er Jahren innerhalb der Sowjetunion wurde die Angst eines möglichen Arbeitskräftemangels geschürt. So gut wie keine Verhütungsmittel waren zugänglich. Die einzige Möglichkeit der „Verhütung“ war der Weg in die Schwangerschaftsabbruch Klinik. Schwangerschaftsabbruch Kliniken hatten einen schlechten Ruf. Die Frauen beschreiben die erlebten Schwangerschaftsabbrüche als Demütigung in allerlei Hinsicht.
„Und diese Abtreibungsklinken, das war der Horror. Diese Eingriffe, die wurden ja ohne Betäubung gemacht […].“ (Angelika Baumann)
Die anderen Teile der Ausstellung möchten wir Euch nicht vorweg nehmen. Wenn Ihr neugierig seid und mehr über die sowjetischen Feministinnen erfahren möchte, habt ihr die Möglichkeit bis zum 08.01.2022 die Ausstellung im Haus der Wissenschaft zu besuchen. Das Haus der Wissenschaft findet Ihr in der Sandstraße 4/5 und hat von Montag bis Freitag von 10.00 bis 19.00 Uhr geöffnet, Samstags von 10.00 bis 14.00. Lasst es Euch nicht entgehen.
Es handelt sich hierbei um eine Gemeinschaftsarbeit von Feminist*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen auf internationaler Ebene unter der Leitung der Kurator*innen Olessja Bessmeltsewa & Philipp Venghaus.
Emilia, Lilli
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