Vulvakunst und -aktivismus ist im Trend. Bereits 2016 war sie unsere FLINTA der Woche: Megumi Igarashi alias Rokudenashiko. Das heißt so viel wie Tunichtgut-Mädchen auf Japanisch. Rokudenashiko ist Mangakünstlerin und will die Vulva von Tabus und Objektifizierung befreien.
Wie es dazu kam, dass sie 2014 zweimal wegen ihrer Kunst aus Vulvaabdrücken von der japanischen Polizei verhaftet wurde und im Gefängnis saß, hat unsere Autorin im obigen Beitrag berichtet.
Seitdem ist viel passiert: Die Schweizer Filmemacherin Barbara Miller hat Rokudenashiko in ihrem 2019 erschienenen Dokumentarfilm #Female Pleasure neben anderen FLINTA, die für selbstbestimmte Sexualität kämpfen, portraitiert. In diesem Jahr ist die deutsche Übersetzung ihres Mangas „Was ist obszön? Ein Manga über Vulvakunst“ im unabhängigen Magas Verlag erschienen. Übersetzt hat Anna Fleiter.
Vulvakunst im globalen Norden
Wer ein klassisches Manga erwartet, sei vorgewarnt: Zwischen den Kapiteln haben die Herausgeberinnen zusätzliche Texte und Infoboxen eingefügt, die den Lesefluss der Manga-Kapitel unterbrechen. Die deutsche Ausgabe kommt eher als eine Hybridform daher. Neben Igarashis Manga selbst werden Hintergründe zu Igarashis Geschichte erzählt. Verschiedene Autorinnen erklären sprachliche und anatomische Verwirrungen und Tabus. Erwähnt wird auch die lange Tradition des rituellen und Unheil abwehrenden Vulva-Zeigens in Mythen unterschiedlicher Kulturen. Ein Großteil der Zwischenkapitel widmet sich der Geschichte und Gegenwart von Vulven in der Kunst und im politischen Aktivismus des globalen Nordens. Auch die Geschichte des Roboters Osé taucht auf einer Doppelseite auf. Es handelt sich dabei um eine Art Sexspielzeug, das eigens dazu konstruiert wurde, bei Vulven multiple Orgasmen hervorzurufen. Dafür sollte er erst einen großen Tech- und Innovationsaward gewinnen, dann aber doch nicht. Im Einzelnen sind diese Einschübe spannend und anregend, doch lenken sie von der eigentlichen Geschichte des Mangas ab.
Die Geburt der Deco-Man
Im letzten Teil des Mangas erzählt Rokudenashiko, wie sie zur Vulva-Künstlerin geworden ist. Wir erfahren von ihrer Kindheit als Außenseiterin und ihrer beruflichen Orientierungslosigkeit nach dem Studium. Rokudenashikos Werdegang als Manga-Künstlerin (Mangaka) war geprägt von Rückschlägen und harter Konkurrenz. Als sie sich zu einer Verkleinerung ihrer Vulvalippen entschied – weil ihr diese schon immer etwas groß erschienen – was sie allerdings nicht hinterfragt – nutzte sie dieses Erlebnis als Material für ein Manga.
„[Mich würde] so ein seltsamer Eingriff zu einer ’seltsamen‘ Mangaka machen, was mehr Aufträge bedeutet“
kalkuliert Rokudenashiko vor ihrer Operation auf Seite 146. Aus Neugierde machte sie danach einen Gipsabdruck ihrer Vulva und dekorierte ihn: Deco-Man war geboren. „Man“ kommt vom japanischen Wort Manko, was mit „Muschi“ übersetzt werden kann. Mit Deco-Man bekam die Künstlerin zwar mehr Aufträge und Presseanfragen als zuvor, doch löste allein das Wort „Manko“ viele feindliche Reaktionen aus. Auch verlor sie einige private Beziehungen und Freundschaften.
Selbstbestimmte Erzählung mit Humor
Interessant ist es, wie die Künstlerin geschickt die mediale Aufmerksamkeit nutzt, die ihr und ihrer Vulvakunst im Zuge ihrer Verhaftung und des Gerichtsprozesses zuteilwird:
„Man schämt sich in Japan, wenn man verhaftet wird. Deshalb haben mich alle bemitleidet und bedauert. Aber für mich war das irgendwie ’ne tolle Sache. Ich habe mich überhaupt nicht geschämt, ganz im Gegenteil. Für mich hat sich das alles sehr positiv entwickelt.“ (S. 126)
Rokudenashikos spöttischer Humor hilft ihr, sich mutig dem patriarchalen Gegenwind entgegenzustellen und die Geschichte der Verhaftung aus ihrer Sicht zu schildern.
Clara Henning
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