Die Kolonialgeschichte Europas wird selten in den Geschichtsunterrichten behandelt. Auch in Frankreich wird über die Verbrechen während der Kolonialzeit und während der jeweiligen Unabhängigkeitskriege wenig gesprochen, ähnlich wie in Deutschland. Eine besonders blutige Nacht ereignete sich am 17. Oktober 1961, als eine friedliche Demonstration in Paris für die Unabhängigkeit Algerien von französischen Polizist*innen mit Gewalt beendet wurde.
Algeriens Nationalgeschichte als französische Kolonie
Im 19. Jahrhundert übernahm Frankreich, wie viele europäische Länder zu dieser Zeit, die Kontrolle über mehrere Kolonien in Afrika, eine davon war Algerien. 1830 landen die ersten Franzosen in der Bucht von Algier. Nach fast 20 Jahren Widerstand wird Algerien schließlich in 1848 zum Teil Frankreichs erklärt. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts werden die übrigen noch unabhängigen Gebiete Algeriens eingenommen. Algerien war, anders als viele andere Kolonien, kein Protektorat, sondern eine Siedlungskolonie. Die algerischen Bürger*innen hatten daher zwar die französische Staatsbürgerschaft, aber keine Bürgerrechte. Es bilden sich bald Untergrundorganisationen, die die französische Herrschaft kategorisch ablehnen. Eine davon ist der FLN, die Front Libération Nationale, die sowohl in Algerien als auch Frankreich mit brutalen Anschlägen für die Unabhängigkeit protestiert.
Das Massaker vom 17. Oktober 1961
Es ist auch die FLN, die am 01. November 1954 den Krieg gegen die französische Regierung beginnt. Von 1954 bis in den März von 1962 geht der Algerienkrieg, gekämpft wird sowohl in Algerien als auch in Frankreich, wo die FLN Attentate nutzt, um die Regierung unter Druck zu setzen. Am 17. Oktober 1961 wird von der FLN zu einer gewaltlosen Demonstration aufgerufen. Es soll bewusst konfliktfrei demonstriert werden, damit so ein positives Zeichen gesetzt werden kann. Es wurde zuvor eine Ausgangssperre für algerische Franzosen und Französinnen verhängt, um weitere Angriffe seitens der FLN zu vermeiden. Gegen eben diese Ausgangssperre soll demonstriert werden. Da eine friedliche Demonstration geplant war, nahmen auch Familien mit Kindern an dem Protestmarsch teil. Der damalige Polizeipräfekt gibt den Schießbefehl, obwohl die Demonstration friedlich verlief, wenngleich sie auch gegen das Ausgangsverbot verstieß. Mehrere hundert Menschen sterben an diesem Tag.
Mangelnde Aufarbeitung
Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt. Sprach man in den offiziellen Nachrichten im Anschluss an den 17. Oktober nur von drei Todesopfern, wird mittlerweile von 200 bis 300 ausgegangen. Die Leichen wurden teilweise in der Seine entsorgt. Über dieses entsetzliche Ende der Demonstration wird in den französischen Medien zu jener Zeit weitesgehend geschwiegen. Die betreffenden Archive werden versiegelt und erst Jahrzehnte später im Jahre 1992 geöffnet. Amnestiegesetze beschützen die beteiligten Beamten noch Jahrzehnte später vor der Verurteilung. Erst unter Präsident François Hollande wird im Jahr 2012 – über 40 Jahre später – das Massaker von Paris wirklich auch als das bezeichnet, was es ist – nämlich ein Massaker. In Paris, aber auch in Aubrevilles, wie auf dem Bild oben dargestellt, wird im Jahr 2001 eine Gedenktafel angebracht, ein erster Versuch in Richtung Aufarbeitung. Die Inschrift heißt soviel wie:
In Erinnerung an die zahllosen Algerier, die während der blutigen Niederschlagung der friedlichen Demonstration des 17. Oktober 1961 getötet wurden.
Die Inschrift wurde vielerseits kritisiert: Es wird weder von den Verantwortlichen für die “blutige Niderschlagung” gesprochen, noch wird das Wort Mord verwendet – und das waren die Aktionen des 17. Oktobers schließlich. Der Versuch, mit dieser Geste die Geschichte des Massakers aufzuarbeiten, scheint erstmal nicht gelungen. Es ist zu hoffen, dass die französische Regierung das Tabu um den Algerienkrieg und auch um das Massaker von Paris bald brechen wird. Vor allem der Familien wegen, die an diesem Tag auseinandergerissen wurden.
Kim Hofschröer
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