Inhaltswarnung: In diesem Artikel geht es um Mobbing und sexuelle Übergriffe.
Ab der fünften Klasse begann die Pubertät. Schlag auf Schlag wuchs meine Oberweite, das Interesse an männlich gelesenen Jugendlichen wuchs. Kurz darauf bekam ich meine Periode. Irgendwie fühlte ich mich noch nicht bereit. Spielte weiterhin gerne auf dem Spielplatz. Ziemlich schnell begannen so gut wie alle weiblich gelesenen Mitschüler*innen BHs zu tragen. Pinke Push-Up BHs, neonfarbene Spitze. Auf Klassenfahrt in der sechsten Klasse war ich die einzige Person, die ohne BH duschte. Das entpuppte sich kurze Zeit später jedoch als ziemlich große Fehlentscheidung. Ich dachte zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht über meinen „Busen“ nach. Die Anderen, mit denen ich zusammen in der Gemeinschaftsdusche stand, sehr wohl. So fing es an, angelehnt an Fettes Brots Song „Bettina, zieh dir bitte etwas an“ – ausgetauscht mit meinem Namen, wurde der Refrain immer und immer wieder gesungen. In meinem Kopf ist dieses Erlebnis, der Beginn einer Pubertät mit immer weiterwachsendem Busen und immer mehr Personen, die sich erlaubten, ein Urteil darüber zu fällen.
Sport und Schmerzen
In der siebten Klasse fing ich an zu rudern. Erst in der Schule mit ein paar Freundinnen, später auch im Verein. Zunächst fand ich Gefallen am ständigen trainieren. Zum Werdersee, auf die Weser, Krafttraining und Ausdauersport. Draußen egal bei welchem Wetter. Das gleiche Training egal ob männlich oder weiblich gelesen. Darüber wunderte ich mich schon damals. Kurz bevor ich meine Periode bekomme, habe ich Brustschmerzen, beim Krafttraining war es besonders schlimm. Übungen mit Gewichten in Bauchlage waren einfach nur schmerzhaft. Hinzu kam, dass ich nach einiger Zeit Rückenschmerzen bekam. Ziemlich schlimme Rückenschmerzen. Meine Eltern klapperten so viele Orthopäden mit mir ab, dass ich nicht mehr weiß, wie viele es insgesamt waren. Immer das gleiche Ergebnis – meine angeblich falsche Körperhaltung, zu wenig Bauchmuskeln. Die männlich gelesenen Jugendlichen in meiner Rudergruppe, inklusive Trainer begannen hinter meinem Rücken meinen großen Busen mit meinen Rückenschmerzen in Verbindung zu setzen. Ich bekam davon erst später Wind und fühlte mich unwohl. Alle anderen fanden es lustig.
Körperhaltung und Körbchengröße
Meine Körperhaltung war nicht besonders gut. Ich ging nicht besonders aufrecht. Zog meine Schultern nach vorne und meinen Brustkorb nach innen. Ich wollte verstecken, dass mein Busen größer war als der Durchschnitt, um Kommentare Anderer zu vermeiden. Jedoch war meine schlechte Körperhaltung gar nicht Auslöser meiner Rückenschmerzen. Eineinhalb Jahre später und nach diversen Besuchen in Orthopädiepraxen, fand man(n) heraus, dass meine Bandscheiben nicht in Ordnung waren. Ich hatte einen Bandscheibenvorfall. Rudern konnte ich nicht mehr, vielleicht war das auch besser so. Jedenfalls waren weder die nicht ausreichend vorhandenen Bauchmuskeln noch mein „großer“ Busen schuld an meinen Rückenschmerzen.
Meinungen, Märchen, Mitschüler
Sprüche, Kommentare und Blicke an die falsche Stelle meines Körpers begegneten mir nicht ausschließlich beim Sport. Ich kam auf die Oberstufe und besuchte den Sportleistungskurs, der welch ein Wunder männlich gelesen dominiert war. Dort konnte ich mich Gesprächen über „richtige“ und „falsche“ Nippel nicht entziehen. Nippel, die größer als ein zwei Eurostück waren, wurden als hässlich empfunden. Warum weiß ich bis heute nicht. Schwerkraft existierte nicht, eine gute Handvoll galt als der Maßstab. Ich hatte weder Lust auf das Schwimmtraining, noch bei besonders kalten Temperaturen draußen mit meinen Mitschüler*innen Sport zu machen. Ein männlich gelesener Mitschüler sagte mir, mir würde die Jacke aufgrund meiner Oberweite sowieso nicht passen, ein anderer nahm sich die Freiheit und grapschte betrunken auf unserer Leistungskursfahrt ganz selbstverständlich an meinen Busen. Er lachte dabei und schämte sich auch nicht im Nachhinein.
Bralettes, Bustiers, BHs
In der siebten Klasse konnte ich noch mithalten. Ich fuhr mit Freundinnen in die Waterfront, die gerade neu eröffnet hatte. Kurz darauf fanden wir uns in der Unterwäschen Abteilung bei Primark wieder. Zu diesem Zeitpunkt shoppte auch ich unglaublich günstige, nach Plastik und Farbe stinkende pinke Push-Up BHs und BHs mit neonfarbener Spitze. Hauptsache gepolstert, damit die Brust in Form bleibt. Hier stand ich jedoch jedes Mal vor einem Dilemma. Entweder gepolstert aber größer oder nicht gepolstert, dafür mit dem Risiko sichtbarer Nippel. Kurze Zeit später passten meine zwei „Euter“ – eine Mitschülerin verglich einen großen Busen einmal mit den Eutern von Kühen – sowieso nicht mehr in die Standardgrößen bei Primark, auch nicht in die bei H&M. Ich hatte Glück, dass meine Mama mit dem “Problem” vertraut war. Wir gingen in kleine Wäscheläden, die dementsprechend aber auch dreimal teurer waren. Teuer und wenig bis gar nicht modern. Ich empfand die Designs der BHs in größeren Größen, für meinem Alter nicht gerecht. Ich musste an die Teleshoppingkanäle denken und war frustriert. Zeitgleich begann in meinem Freundeskreis das Interesse am Knutschen, Kuscheln und Anfassen. Auch ohne Shirt, nur im BH. Was machst du aber, wenn du seit gestern einen BH hast der zwar gut sitzt, aber aussieht als hättest du ihn aus der hintersten Ecke des Kleiderschranks deiner Uroma mitgenommen. Klar, Shirt anbehalten. Zu diesem Zeitpunkt waren mir also neben meinem Busen, auch noch meine BHs unangenehm. So unangenehm, dass ich mehrere Male darüber nachgedacht habe, meine Brust verkleinern zu lassen.
Kleidung, Körper, Konsum
Es ist nach wie vor so, dass männlich gelesene Personen auf der Arbeit im Café in meinen Ausschnitt glotzen. Das ich mir vorher überlege was ich anziehe, damit so was eben nicht passiert. Viele Klamotten mag ich an mir nicht, weil mich mein Busen stört. Ich werde als Person schneller sexualisiert, weil meine Brust sichtbarer ist. Mittlerweile kann ich damit leben, mittlerweile mag ich meine Brust einigermaßen, meine Körperhaltung hat sich verändert. Manchmal trage ich keinen BH, gepolsterte schon gar nicht. In Werbungen und Filmen gibt es seit kurzer Zeit realere Brustformen und insgesamt vielfältigere Körperformen zu sehen. Das ist gut, trotzdem verändern sie damit nicht die akzeptierte Norm. Ich wünsche mir, dass weiblich gelesene Jugendliche die Möglichkeit haben zu verstehen, dass es nicht schlimm ist, mehr als ein C-Körbchen zu haben. Dass es natürlich auch nicht schlimm ist, weniger als ein A-Körbchen zu haben. Dass Körper unterschiedlich sind. Wir leben in einer Konsumgesellschaft und im Überfluss. Das Angebot für BHs bei Kleidungsketten ist jedoch nach wie vor schmal ausgestattet. Noch immer haben Menschen, die in keinen normakzeptierten Körpern leben, Probleme beim Kleidungskauf. Skinny ist weiterhin “in”, zu skinny “out”. Kurven werden bis zu einen bestimmten Grad als verführerisch – weiblich definiert. Der weiblich gelesene Körper wird nach wie vor sexualisiert – erst recht, wenn du eine große Oberweite hast.
Beschissene Bewertungen
Es wird viel über Brustvergrößerungen gesprochen, ich möchte Brustverkleinerungen enttabuisieren. Auch wenn ich mich mittlerweile wohl in meinem Körper fühle, habe ich noch immer keinen Einfluss darauf, wann Blicke meinen Ausschnitt treffen und zu welcher Zeit sich Menschen einen Spruch über meinen Körper erlauben. Das wird mich mein Leben lang begleiten. Darauf werde ich nie Einfluss haben. Personen weiblich gelesener Körper befinden sich in einem Dilemma zwischen eigener Akzeptanz und tagtäglicher Bewertung und Beurteilung Fremder. Das schafft Unsicherheiten und ist ziemlich problematisch. Damit gesellschaftliche Veränderung stattfindet, muss man(n) weiblich gelesene Körper weniger objektiv betrachtet und verstehen, dass es egal ist, welche Formen bestimmte Körperteile weiblich gelesener Personen haben und das Körperteile nicht in erster Linie dafür da sind, Männer geil zu machen. Viele Nippel sind größer als ein zwei Eurostück. Manche kleiner als fünf Cent. Das macht sie nicht mehr oder weniger attraktiv. Nichts an unseren Körpern ist da, um fremdbestimmt sexualisiert zu werden. Gewöhnt Euch dran und spart euch die Blicke in den Ausschnitt.
Vanessa Igel
Lea meint
Danke für diesen Artikel und die Offenheit der Autorin über dieses Thema zu schreiben.
Leider so wichtig!