Inhaltswarnung: Im folgenden Artikel geht es um sexualisierte Gewalt gegen FLINTA*.
Anmerkung: Im folgenden Artikel wird oft von Tätern gesprochen, statt von Täter*innen. Damit soll nicht behauptet werden, dass es ausschließlich (cis-)männliche Täter gäbe, sondern lediglich unterstreichen, dass FLINTA* öfter Opfer von Vergewaltigung sind. Auch im aktuellen Fall von Deutschrapmetoo haben sich mehr FLINTA* gemeldet, die betroffen sind.
Schon wieder #metoo? Hatten wir das nicht erst?
Ja, hatten wir. Leider. Aber #metoo wird immer, immer wieder kommen, wenn nicht immer wieder drüber geredet wird. Und nur, weil es jetzt #deutschrapmetoo gibt, heißt das nicht, dass in anderen Bereichen alles gut ist. Es ist nur manchmal einfacher, sich auf einzelne Bereiche zu konzentrieren. Und Deutschrap und das Rap-Game sind einfach schon sehr, sehr groß.
Wenn euch #metoo noch immer kein Begriff ist, könnt ihr das hier im unserem Special aus 2018 nachlesen. Und was genau ist jetzt #deutschrapmetoo?
Warum immer solche Reaktionen?
Die Influencerin Nika Irani veröffentlichte auf ihrem Instagram-Profil einen Text, in dem sie beschrieb, wie der Rapper Samra sie auf ein Bett schmiss, würgte und wie er ihre Unterhose aufriss und sie es über sich geschehen ließ. Es, das nicht explizit erwähnt wird, weil es so ein hartes, so ein gewaltvolles Wort ist: Vergewaltigung. Der Rapper widerspricht in seiner Instagram-Story und diffamiert Nika Irani, fordert seine Fans auf, zu zeigen, dass „dieses Mädchen“ Unwahrheiten verbreite. Universal, bei denen er unter Vertrag ist, distanzieren sich von dem Künstler. Er fragt, ob sie überhaupt wisse, wie es seiner Mutter ginge? Wenn sie so etwas über ihren Sohn liest? Er will sie als unzurechnungsfähig darstellen, weist darauf hin, dass sie sich freizügig im Internet zeige, dass sie Koks ziehe, dass sie psychische Hilfe brauche. Der gleiche Sexismus, den man seit Jahrhunderten beobachten kann: Frauen als psychisch krank darstellen, um ihnen ihre Stimme zu nehmen, siehe „Hysterie„.
Das, was am Anfang nur nach Zurückweisung der Vorwürfe klingt, wandelt sich von Minute zu Minute in ein Aufhetzen seiner Anhängerschaft auf Nika Irani und ein Versuch, ihre Aussagen zu negieren. Nicht der erste Mann, der so auf Vergewaltigungsvorwürfe reagiert. „Du kriegst deine Strafe.“, verspricht er.
Sexismus im Rap- die alte Leier?
Ob an den Vorwürfen etwas dran ist oder nicht, lässt sich, wie bei so vielen anderen Vergewaltigungsvorwürfen nicht sagen. Laut dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe sind Falschbeschuldigungen von Vergewaltigungen jedoch sehr selten. Angestoßen wurde dadurch jetzt, dass sich viele Betroffene und Künstler*innen aus der deutschen Hiphop-Szene vernetzen und auf die vorherrschende Misogynie in der Rap-Szene und häufig vorkommenden sexuellen Übergriffe hinwiesen.
Dass die Verherrlichung von sexueller Gewalt und Misogynie im Deutschrap stattfindet, wurde schon diverse Male diskutiert. Man muss sich dafür nicht mal die krassesten Gangster-Rapper raussuchen, auch in Texten von Cro („Und wenn sie heiraten will und nach drei Tagen chillen, schon dein ganzes Haus und deinen Leihwagen will – erschieß sie.“- Easy) oder Bausa („Ich lass keine Hurentochter ungefickt / alle wollen meinen Dick / sogar Lesben werden umgedreht“- Vossi Bop) findet man Lines, die sexistisch oder homophob sind.
Sexismus ist allerdings kein Rap-Problem. Sexismus ist ein strukturelles, gesellschaftliches Problem und im Rap wird das kanalisiert. Wenn man dann noch beachtet, dass im Deutsch-Rap Männer immer noch dominieren, ist es offensichtlich, dass sich diese Strukturen dort reproduzieren.
#metoo muss überall sein
Man könnte wahrscheinlich in jeder Branche ein #metoo starten und würde Menschen finden, die betroffen sind von sexueller Gewalt oder Übergriffen. Im Deutschrap wird Sexismus allerdings oft sehr zelebriert. Künstlerische Freiheit, hin oder her, wer in jedem zweiten Text davon rappt, Frauen zu vergewaltigen, sie zu Dingen zu zwingen oder sie durch den eigenen Status rumzukriegen, der mag es an Stellen schwierig finden, die Künstler- und Privatperson stetig voneinander zu trennen.
Raum für Betroffene
Unter #deutschrapmetoo, einem neu erstellten Instagramprofil, haben Betroffene nun die Möglichkeit, ihre Geschichten zu teilen. Das Ziel ist eigentlich, Namen von den Tätern veröffentlichen zu können, um andere zu schützen. Bis jetzt ist das rechtlich nicht möglich, doch die Masse an Nachrichten, die #deutschrapmetoo erreichen und die Geschichten, die geteilt werden, sind bedrückend, schockierend und machen wütend. Oft sind es jüngere FLINTA*, die backstage dürfen, um endlich ihr Idol kennenzulernen, nur um dann entweder von den Künstlern selbst oder ihrer Anhängerschaft, eingesperrt, bedrängt oder vergewaltigt zu werden. Manche Betroffene arbeiteten auch in der Rap-Branche und wurden bei ihrer Arbeit belästigt. Viele berichten davon, dass sie erst Jahre später erkannten, dass es sich um einen sexuellen Übergriff handelte. Sie schämten sich, machten sich selbst verantwortlich, spielten die Tat herunter.
Jetzt wird endlich ein Raum geschaffen, der Platz für diese ganzen Erfahrungen bietet. Die Stigmatisierung gegenüber Vergewaltigungsvorwürfen ist noch immer sehr präsent. FLINTA*-Personen werden ihre Erfahrungen abgesprochen, aufgrund ihrer Kleidung, ihres Verhaltens oder weil sie nicht nein gesagt hätten. Konsens ist als Konzept noch immer nicht in allen Köpfen angelangt, „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ darf man leider immer noch sagen und der öffentliche Diskurs über das Thema endet oft in Kommentaren wie „Die macht das doch nur für den Fame.“ Zu diesem Victim-Blaming hat auch Caroline Kebekus ein Video veröffentlicht.
#deutschrapmetoo
Die Initiatorinnen von #deutschrapmetoo sind selbst betroffen und forderten schon vor einigen Monaten auf, dass sich Betroffene aus der Rap-Szene zusammenschließen sollten, um sich auszutauschen und auf die Thematik aufmerksam zu machen. Sie möchten „Betroffene unterstützen, über sexualisierte Gewalt aufklären und die Dringlichkeit der Sensibilisierung zu der Thematik aufzeigen“. Kürzlich kündigten sie an, dass sie sich als feste Beratungsstelle etablieren möchten und weiterhin Konzepte zur Aufklärung und Prävention durchführen möchten.
Sie schreiben: „Initiativen wie unsere muss es in jedem gesellschaftlichen Bereich und in jeder Branche geben. Deutschrapmetoo ist nur der Anfang und der Bereich, den wir gewählt haben. Das bedeutet nicht, dass es innerhalb der Branche notwendiger ist, als woanders.“ Hier könnt ihr sie dabei unterstützen und auch eure eigenen Geschichten teilen, wenn ihr betroffen seid. Sie bieten Hilfestellungen, wie zum Beispiel juristische oder psychologische Beratung.
Was muss passieren?
Und warum braucht es jetzt genau hier ein #metoo, warum nicht in anderen Bereichen? Das fragen sich viele. Und die Frage ist berechtigt. Der Finger könnte auf jeden Bereich, auf jede Branche gelegt werden und es würden sich FLINTA* melden, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Jetzt liegt der Finger eben gerade auf dem Deutschrap und auch das ist wichtig. (Cis-)Männer in der Rap-Szene müssen zur Rechenschaft gezogen werden und die jeweiligen Musik-Labels brauchen bessere Auflagen, welche Rapper sie vertreten oder welche Lieder sie veröffentlichen und promoten.
Und damit die Nachfrage nach solchen Texten und Auffassungen nicht mehr so groß ist, muss bei Konsument*innen Aufklärung stattfinden. Aufklärung darüber, dass es keinen Phänotyp des Vergewaltigers gibt, dass die Gefahr nicht auf nur auf dunklen Straßen von fremden Männern ausgeht, sondern dass sexualisierte Gewalt viel früher anfängt. Dass viele Betroffene von sexualisierter Gewalt die Täter*innen kannten. Und dass sexualisierte Gewalt gegen Frauen viel zu oft vorkommt, jede dritte Frau hat seit dem Alter von 15 Jahren eine Form des körperlichen und/oder sexuellen Übergriffs erlebt.
Und darüber hinaus?
Und nicht nur im Deutschrap müssen sich die Strukturen ändern. Gesetze müssen angepasst werden und Richter*innen müssen sensibilisiert werden im Hinblick auf Prozesse zu sexualisierter Gewalt: wenn nur ca. 13% der angezeigten Fälle in einem wirklichen Strafverfahren enden, wird die Hemmschwelle für Betroffene immer groß bleiben. Aufklärung bei Kindern und Jugendlichen über Konsens muss gezielter und früher stattfinden und darf dann auch nicht aufhören.
Systematische Gewalt gegen FLINTA* muss auch so benannt werden und Vergewaltigungsvorwürfe dürfen nicht länger einfach so abgetan werden. Oft erlebt man, dass die Täter doch glimpflich davon kommen, vor allem, wenn sie Personen des öffentlichen Lebens sind. Dann ist das mal für ein paar Tage, Wochen oder Monate Thema, doch viel zu schnell geraten diese Dinge in Vergessenheit.
Seid laut, macht auf die Vorfälle aufmerksam, klärt auf! Und wenn euch selber etwas passieren sollte oder bereits passiert ist, sprecht darüber. Hier sind einige Anlaufstellen, bei denen ihr Hilfe bekommt.
Hotlines, um sich Hilfe zu holen:
Hilfetelefon- Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016
Gewaltschutzberatungsstelle Osterholz: 04791 965 811
Frauenhäuser in Bremen:
Frauenhaus AWO Bremen: 0421 239 611
Autonomes Frauenhaus: 0421 349 573
Frauenhaus Bremen-Nord: 0421 636 4874
Mädchennotruf: 0421 341 120
Anne Preuß
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