
Ich bin wütend. Wütend, über die mediale Berichterstattung zur aktuellen Sexismus-Debatte.
Bereits 2016 schrieb ich für den Internet-Blog kleinerdrei.org einen Artikel über den blinden Fleck der deutschen Medien beim Thema Sexismus. Damals thematisierte ich die Berichterstattung zur Silvesternacht in Köln. Sexismus und sexualisierte Gewalt wurden als ein Problem „der Anderen“, der „Nicht-Weißen“, der „Nicht-Deutschen“ abgetan. Das war nicht nur hochgradig rassistisch, sondern lenkte vom eigentlichen Problem ab: dem strukturellen Sexismus, der alle etwas angeht.
Seit den ersten Vorwürfen gegen Harvey Weinstein debattiert die Öffentlichkeit wieder das Thema Sexismus: nachdem zunächst immer mehr Schauspielerinnen in der Öffentlichkeit von ihren erschreckenden Erlebnissen mit Weinstein berichteten, äußerten sich unter #metoo Millionen von Frauen über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt. Die Erkenntnis: Fast jede Frau hat in ihrem Leben schon einmal solche Erfahrungen machen müssen.

Wir müssen Sexismus endlich nachhaltig bekämpfen!
Diese Erkenntnis könnte nun als Startpunkt für nachhaltige Veränderungen in unserer Gesellschaft dienen. Frauen sollte ein sicherer Raum für ihre Schilderungen geboten werden und Männer sollten kritisch reflektieren, wie sie sich tagtäglich Frauen gegenüber verhalten. Natürlich gibt es auch Männer, die sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt erfahren haben. Das ist indiskutabel. Vom strukturellen Sexismus sind sie als Opfer allerdings nicht betroffen: Sie werden im Alltag nicht auf ihren Körper reduziert oder – wie viele Frauen – am Arbeitsplatz nicht ernst genommen.
An Stelle einer nachhaltigen Veränderung verschiebt sich die Diskussion nun. Dies war bereits 2013, als Frauen unter dem Hashtag #Aufschrei ihre Erfahrungen mit Sexismus im Alltag schilderten, der Fall. Damals wie heute wird der angeprangerte Sexismus abgetan und belächelt. Einige Seiten werfen Frauen vor, keine Komplimente annehmen zu können und Männer dadurch zu verunsichern. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: sexuelle Belästigung sind keine Komplimente. Und Männer, die vorgeben, den Unterschied zwischen Belästigung und Flirten nicht einschätzen zu können, sollten sich selbst fragen, was bei ihnen eigentlich falsch läuft.
Kritik an Sexismus darf nicht mehr abgetan werden
Teile der medialen Berichterstattung verfehlen das Thema Sexismus wieder einmal gänzlich. Die Bild-Zeitung fragte diese Woche „Wird Hollywood jetzt keusch?“ und der Berliner Kurier titelte „Was Mann darf“. Diese Wortwahl und Thematiken verschieben den Fokus. Jegliche Kritik an sexistischen Verhaltensweisen wird als „keusch“ oder verklemmt abgetan. Der Berliner Kurier stellt Männer wieder einmal als Opfer, die in ihren Handlungsweisen eingeschränkt werden, dar. Männer sind nicht die Opfer wenn es um Sexismus geht, sondern meist die Täter. Frauen wollen nicht mehr belästigt und auf ihr Geschlecht reduziert werden. Es geht um Respekt. Und Frauen den gleichen Respekt entgegenzubringen degradiert Männer nicht zu Opfern, sondern ermöglicht uns allen ein gleichberechtigtes Leben.
die frage, ob BILD scheiße ist, wäre dann also auch zum x-ten mal beantwortet… pic.twitter.com/5Zzhe6DOY6
— anne wizorek (@marthadear) October 18, 2017
Wann immer Sexismus medial thematisiert wird, nennen einige Zeitungen das Thema nicht beim Namen und verwenden anstelle von sexualisierter Gewalt Phrasen wie „Sexskandal“. Doch Sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt oder Vergewaltigungen haben mit Sex oder einem Sexskandal nichts zu tun. Sex bedeutet immer auch Konsens und der ist bei sexueller Gewalt niemals gegeben. Diese Wortwahl verklärt die Diskussion und verharmlost die Täter und ihre Taten. Die Internetplattform PINKSTINKS hat als Reaktion die Petition „Stoppt die Verharmlosung von sexualisierter Gewalt“ ins Leben gerufen, um auf dieses Problem der Medien aufmerksam zu machen.
Sexualisierte Gewalt sollte beim Namen genannt und öffentlich diskutiert werden. Nur so ermöglichen wir eine nachhaltige Veränderung überhaupt erst. Warum einige Medien es nicht schaffen, Sexismus angemessen aufzubereiten, ist mir schleierhaft. Es wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer gleichberechtigten Gesellschaft. Ich möchte nicht mehr sagen #metoo, sondern: wir ändern das jetzt!
Laura Gerken
Ulrike Hauffe meint
Eine sehr richtige Analyse des medialen Sprachgebrauchs!