Wir sind gut drauf. Wir bekommen alles unter einen Hut und kreisen gelassen im unsichtbarem Helikopter um unseren Nachwuchs herum. Irgendwie sind wir auch ok angezogen und halbwegs in Form. Den eigenen Stress thematisieren wir nicht. Alles lässig. Die perfekte Mutter, die es nicht gibt. Sie geistert jedoch in vielen verschiedenen Abstufungen in den Köpfen der Menschen herum. Es ist die Idee vom Perfektsein. Wir gehen ihr allzu oft auf den Leim. Schließlich denken manche von uns allzu häufig, dass dieses oder jenes Verhalten so von uns erwartet wird.
„Vor allem sollten Mütter aber damit aufhören, so schrecklich patent, verfügbar und immer freundlich zu sein. Väter können in unserer Gesellschaft vor jeder Verantwortung und jeder Beurteilung flüchten. Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sei einen Kindergeburtstag verpassen, bekommen aber Szenen-Applaus, wenn sie mit den Kleinen Eine Woche zu ihren Eltern fahren. “ Caroline Rosales, Seite 199
Aber dabei bleibt es nicht. Neben der Performance als gute Mutter, was auch immer jede*r darunter versteht, wird die eigene Sexyness bewertet. Neudeutsch „Fuckability“. Das Prädikat der leicht sexy Mutter, die in einem Akronym beschrieben wird, das kurioserweise eine sehr beliebte Porno-Kategorie ist.
Der Zwiespalt der MILF
Noch mal von vorn. Wann bin ich zum ersten Mal über diese sonderbare Abkürzung gestolpert? Ein Akronym, das wie eine Krankheit klingt, ansteckend und im Detail eklig. „Mother I’d like to fuck“ aka MILF. Theoretisch, als der amerikanische Film American Pie über die Leinwände Europas flackerte. Ein alberner Film mit hochgradig unreifem Humor. Dort wurde jener Begriff geprägt. Ein Begriff für ein Phänomen, das ganz sicher auch vor der Veröffentlichung existierte. Die Faszination einer Mutter. Sie beschreibt eine Begeisterung, welche mit starker sexueller Anziehung einhergeht. Katja Grach fächert den Begriff MILF in einer wie sie sagt Dreifaltigkeit auf: Porno, Popkultur und Real-Life-Mütter. Und erklärt weiter: „Milf ist in erster Linie eine Porno-Kategorie, kein Kompliment. Davon überzeugt eine Google-Suche in Sekunden. Eine Pornokategorie, die ältere Frauen als Sexobjekte markiert. Die Mutterschaft ist dabei (wage ich zu behaupten) ziemlich egal, außer in dem Punkt, dass sie aufzeigt, dass Mütter eigentlich nicht „f*ckbar“ sind.““
Die Unvereinbarkeit
Es steckt so vieles in diesem Konstrukt. Der Druck, dass „ältere“ Frauen mit Kind „trotzdem“ sexy sind. Damit sollen wir der Industrie über den Konsum mit Selbstoptimierungshintergrund einen stabilen Verkaufsmarkt sichern. Wir sollen ständig an unseren sexuellen Marktwert denken, ohne ihn zu sehr zu betonen. Mutterschaft muss sein. Warum? Weil gerade nach einer Geburt die „Fuckability“ so besonders schwer zu erreichen ist. Auf dem dünnen Eis bewegen wir uns daher mit dem ambivalenten „Gütesiegel“ MILF. Das Hamsterrad Vereinbarkeit von Beruf und Familie – es sollte umgedeutet werden: Vereinbarkeit von Sexyness und gediegener Prüderie. Wem nützt dieser Begriff? Die Frau wird durch das Konzept in einen unlösbaren Zwiespalt gedrückt. Ist schon der gesellschaftliche Druck auf der eigenen Mütter-Performance hoch, so schraubt sich mit dem Prädikat der MILF noch eine weitere Bedingung in das mütterliche Sein.
„Wie ich schon sagte, ich bin ein Desaster, kein Vorbild, nichts besonderes. Weil ich meine Erwartungen an mich selbst nicht erfülle, egal wie viel ich tue. Wunderschön zu sein, laut Werbeindustrie-DIN-Norm und so tun, als wenn es mir egal wäre, um den Feminismus nicht zu beleidigen. Sexuelle Verfügbarkeit zu suggerieren, eine lockere Einstellung zum Thema Sex im Allgemeinen, aber dabei nicht als Schlampe durchgehen. Beckenbodenübungen im Berufsverkehr zu machen, damit nach dem Kind alles wieder ist wie vorher – oder noch besser. Glücklich in seiner Work-Life-Balance sein, das optimale berufliche Erfolgslevel zu erreichen und während eines Conference-Calls mit der Redaktion so zu tun, als wären meine Kinder stumm und unsichtbar. Übergriffiges Verhalten von Männern abzustrafen, aber dabei bitte nicht so laut rumschreien, es muss ja nicht jeder hören. (…) Der Mythos der hingebungsvollen Mutter hält sich dennoch hartnäckig, ohne dass dem ein neues allgemeingültiges Ideal entgegengesetzt werden kann. Das alles geschieht zu einer diffusen Zeit der allgemeinen Verunsicherung“ Caroline Rosales in „Sexuell verfügbar“, Seite 273
Die MILF Gegenprobe
Zum Schluss noch die sprachliche Gegenprobe. Neben der MILF hat sich auch das Akronym DILF (Dad I’d like to fuck) gebildet. Es findet sich auch in den Schlagworten der gängigen Pornoseiten. Der kurze Check ergab, es sind ältere Männer, allerdings gern älter als 35, eher über 45. Eine kurze nicht-repräsentative Recherche im unmittelbaren Umfeld ergab: Männer haben diesen Begriff selten in petto. Es ist auch noch kein Verkaufsargument für Bartpflegeöl, Fitness-Studio-Vertrag oder Turnschuhe. Wer nutzt diesen Begriff? Eine spannende Frage. Denken Frauen* strukturell anders? Ist die Fuckability-Brille bei Frauen* nicht so präsent? Setzen wir etwa lieber die patriarchale Fuckability-Brille auf und kritisieren uns und andere Frauen?
Renate Strümpel
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