Besuch einer Infoveranstaltung des gemeinnützigen Vereins Flucht Raum Bremen
„Die Arbeit beim Verein Fluchtraum ist deshalb so schön und besonders, weil sie die Möglichkeit inne hat, die Zukunft eines jungen Menschen mit Fluchterfahrung in Bremen zu verändern,“ fasst Flucht Raum Mitarbeiterin Sylvia Pfeifer ihre Motivation eindrucksvoll zusammen.
Bereits beim Betreten des rappelvollen Gemeindesaals der Zionsgemeinde am Abend des 7. Juli 2015 wurde deutlich, dass viele Bremer*innen ihren Beitrag für eine positive zukünftige Entwicklung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten leisten wollen. Wie den Jugendlichen konkret geholfen werden kann, auf diese Frage wollte Flucht Raum Bremen e. V. mit seiner Infoveranstaltung Antworten geben. Die beiden anwesenden Mitarbeiterinnen Bettina Grotjahn und Donka Dimova zeigten sich zu Beginn der Veranstaltung sehr erfreut über die vielen Interessenten.
Zunächst stellte Donka Dimova den Verein und seine Ziele vor. Flucht Raum setzt sich ausschließlich für die Belange unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Bremen ein. Bereits seit 2004 vermitteln die Mitarbeiter*innen ehrenamtliche Vormundschaften und Mentor*innen. Neben der Durchführung von Infoveranstaltungen für Interessierte bietet der Verein anschließende Schulungen zur weiteren Qualifizierung der zukünftigen Ehrenamtler an. Später erhalten die Ehrenamtlichen kontinuierliche Unterstützung im Umgang mit den oftmals traumatisierten Jugendlichen durch professionelle Beratungs- und Gesprächsangebote.
Die aktuelle Situation
Zur aktuellen Situation der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in Bremen nannte Donka Dimova aktuelle Zahlen aus dem Sozialressort. Demnach kamen 2013 lediglich 50 von ihnen nach Bremen, bereits 2014 registrierte die Behörde 550 Neuzugänge. Im aktuellen Kalenderjahr beträgt der Zuzug zwischen 80 bis 90 Jugendlichen pro Monat. Diese Zunahme wird nach Einschätzung des Senats weiterhin anhalten. Der größte Teil der Jugendlichen stammt aus Westafrika. Dabei sind 90% der Geflüchteten männlich. Ihr Alter liegt im Großteil der Fälle bei 16 bis 17 Jahren. Die in Bremen ankommenden Jugendlichen genießen nach der UN-Kinderrechtskonvention und dem Jugendhilferecht einen hohen Schutz. Die Inobhutnahme erfolgt durch das Jugendamt.
Durch die Behörde bekommen die Jugendlichen in der Regel innerhalb weniger Tage einen Amtsvormund gestellt. Dieser regelt ihre Unterbringung und die wirtschaftliche Versorgung. Zurzeit kämen, aufgrund des unverändert hohen Zustroms, zwischen 50 bis 60 auf eine/einen Amtsvormund*in, schilderte Donka Dimova die aktuelle prekäre Situation. Damit sei natürlich keine individuelle Begleitung der Jugendlichen möglich.
Hier kommt Flucht Raum ins Spiel. Dessen Hauptziel besteht laut Vereinssatzung darin, Ehrenamtliche für die Vormundschaften zu gewinnen und anschließend zu begleiten. Diese sollen dann die Amtsvormund*innen ersetzten, erklärte Donka Dimova. Allerdings bestehe daneben für Interessierte auch die Möglichkeit, als Mentor*innen aktiv zu werden. Der Aufbau einer emotionalen und vertrauensvollen Bindung zu den betreuten Jugendlichen stehe dabei stets im Vordergrund. Der/die Ehrenamtliche und sein/ihr Mündel müssen sich zu diesem Zweck mindestens einmal im Monat treffen. Als Aufwandsentschädigung enthält die/der Vormund*in jährlich 399 Euro.
Wie im Internetauftritt des Vereins aufgeführt, begleitet dieser derzeit rund 40 Vormundschaften und mehr als 60 Mentor*innen. Hier besteht in Anbetracht der weiter steigenden Zahlen an unbegleiteten Geflüchteten ein erheblicher Handlungsbedarf an gesellschaftlichem Engagement.
Aktiv werden mit Unterstützung von Flucht Raum
Im Unterschied zur Tätigkeit als Mentor*in wird der/die Vormund*in beim Familiengericht als gesetzliche Vertretung, der ohne Sorgeberechtigten eingereisten Jugendlichen eingetragen. Damit löst er/sie die Amtsvormundschaft ab. Er/Sie ist immer dann aktiv, wenn wie bei Minderjährigen üblich, eine Unterschrift der Sorgeberechtigten erforderlich ist.
Auf einem Infoblatt von Fluchtraum sind die Aufgaben einer Vormundschaft wie folgt definiert: „(Sie) …holt das Beste für das Mündel heraus“, z.B. hinsichtlich Aufenthaltsstatus, Schulwahl, medizinischen Eingriffen, Unterbringung etc.. Momentan warten nach Angaben von Flucht Raum Mitarbeiterin Bettina Grotjahn viele der geflüchteten Jugendlichen sehr lange auf Schulplätze. Besonders die in Zelten untergebrachten Neuzugänge seien dort erst einmal „geparkt“ und befänden sich in einer Art Warteschleife. Hier könne der/die Vormund*in versuchen, durch Kontaktaufnahme mit der Sozialbehörde eine Beschleunigung des Prozedere zu bewirken.
Dabei stelle die Tätigkeit als Mentor*in im Normalfall die Vorstufe zur Vormundschaft dar, erklärte Bettina Grotjahn, aber es gebe auch Menschen, die aus unterschiedlichsten Beweggründen Mentor*in bleiben wollen. Mentor*innen helfen z.B. bei den Hausaufgaben, zeigen den Jugendlichen die Stadt, gestalten gemeinsam mit diesen die Freizeit. Ein anwesender Mentor berichtete begeistert von gemeinsamen Radtouren an den Wochenenden. Stimmt die Chemie, werde nach 2-3 Monaten auf beiderseitigen Wunsch die Übertragung der Vormundschaft beim Familiengericht beantragt, so Bettina Grotjahn.
Erfahrungsberichte von aktiven Mentor*innen und Vormund*innen
Im Anschluss an den Vortrag bestand für die anwesenden Ehrenamtlichen die Gelegenheit von ihren persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen mit den betreuten Jugendlichen zu berichten: „Ich bin ehrenamtlicher Vormund für einen Jugendlichen aus Somalia, weil ich einen jungen Menschen, der schon viel Schlimmes erlebt hat, auf seinem Weg in ein besseres Leben begleiten möchte. Für mich sind es ein paar Stunden Zeit, die ich gerne verschenke“, fasste Kerstin Heil beeindruckend die Gründe für ihr soziales Engagement als Vormundin zusammen.
Eine andere leitete ihre Motivation aus der eigenen Mutterrolle ab: „Ich bin selber Mutter, wenn meine Kinder auf der Flucht wären, wollte ich doch auch, dass ihnen geholfen wird“. Alle anwesenden Ehrenamtlichen waren sich einig, dass die von ihnen betreuten jungen Menschen eine erfreulich hohe Lernbereitschaft zeigen.
In der anschließenden Fragerunde wollte ein Teilnehmer wissen, mit welchem Zeitaufwand die Übernahme einer Vormundschaft verbunden sei. Hier konnte Bettina Grotjahn keine konkreten Zahlen nennen. Für manche Jugendliche sei ein regelmäßiger wöchentlicher Kontakt wichtiger als für andere. Allerdings gebe es immer mal Situationen, beispielsweise in bestimmten Phasen des Asylverfahrens, bei Problemen in der Schule etc. die mehr Zeitaufwand erforderten, so Bettina Grotjahn. Eine Teilnehmerin interessierte, wie der Kontakt zu den Minderjährigen hergestellt wird. Dies geschehe im Anschluss an zuvor geführte Einzelgespräche mit den Interessenten durch Fluchtraum, erläuterte Bettina Grotjahn das weitere Vorgehen.
Am Ende der Veranstaltung lagen Listen aus. Hier konnten sich interessierte Bürger*innen für Einzelgespräche als Mentor*innen oder für Vormundschaften eintragen. Erfreulicher Weise bildeten sich innerhalb kürzester Zeit kleine Menschentrauben vor den Listen. Damit trug der Abend sicherlich dazu bei, die Weichen für die Zukunft einiger Jugendlicher in eine positive Richtung zu stellen.
Aktuelle Termine zu weiteren Infoveranstaltungen und Wissenwertes über den Verein unter:
http://www.fluchtraum-bremen.de/
Ellen Stüdgens
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