Da stehe ich nun wieder, jung, hochqualifiziert und mit einem Plastikordner voller Bewerbungsanschreiben und mindestens genau so vielen Absagen vor dem schwarzen Tor von Mordor, über dem in großen Lettern das Wort „JobCenter“ geschrieben steht. Wenn mir jemand zu Beginn oder während meines Studiums berichtet hätte, dass ich irgendwann als arbeitslose Geisteswissenschaftlerin vor diesem Tor stehen würde, ich hätte diese Person glatt für verrückt erklärt. Nun musste ich eines besseren belehrt werden, ein Studium schützt eben nicht vor Arbeitslosigkeit.
Odyssee durch die Gänge des Jobcenters
Als ich die Gänge des Jobcenters betrete, beobachte ich wie der Security Mann einer Frau mit Kinderwagen die Tür öffnet. Ich frage mich, wie es soweit kommen konnte, dass eine Institution, die das eigentliche Ziel verfolgt Menschen bei der Jobsuche zu helfen, sich einen Sicherheitsdienst zum Schutz vor seinen Kunden engagieren muss.
In unserer modernen Gesellschaft identifizieren wir uns sehr stark über unsere Erwerbsarbeit, und den damit verbundenen Status. Auf die Frage: „Was sind Sie?“, wird geantwortet: „Ich bin Sozialarbeiter“, „ich arbeite bei Mercedes“, „ich bin Anwältin“. Aber was für ein Identitätsgefühl vermag ein Mensch wohl haben, wenn seine berufliche Existenz und somit sein soziales „Sein“ von einem Sachbearbeiter_in abhängt? In so einem Fall können dann auch Existenzängste, Geldnot, Druck und das Gefühl der Ungerechtigkeit schnell mal in Wut umschlagen, welches offensichtlich die Security bändigen muss. In meiner Magengrube macht sich ein ungutes Gefühl breit, doch dieses möchte ich mir nicht anmerken lassen. Mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck und gekleidet wie die Junior-Managerin-Executive eines Großkonzerns, bahne ich mir schnellen Schrittes zielgerichtet einen Weg durch das Haus, das alle verrückt macht. Auf der immerwährenden Suche nach dem Passierschein A 38. Als ich schließlich das Büro meiner Sachbearbeiterin erreiche, schrumpfe ich nun doch winzig klein und bin in meiner Haltung unsicher. Weil auch ich immer unter dem Druck stehe, sämtliche Auflagen der seitenlangen Eingliederungsvereinbarung einzuhalten, die ich unter „sachgemäßen“ Druck unterschreiben musste. Stets droht die sofortige Geldkürzung.
Geisteswissenschaftler_innen brauchen Hilfe
Die Arbeitsagentur behauptet in ihren Statistiken ja, dass die Arbeitslosigkeitsrate bei den Hochschulabsolventen wesentlich geringer sei, als in jeder anderen Bildungsschicht. Bezogen auf Geisteswissenschaftler_innen wie mich schaut das Ganze dann schon wieder anders aus. Hier eine kleine vergleichende Zahlenspielerei (im Soziologie-Studium lernt man ja schließlich genau das):
- Laut Mikrozensus, einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes (2013) – liegt die durchschnittliche Arbeitslosenquote aller Akademiker_innen bei 3,6 Prozent. (Ein akzeptabler Wert eigentlich.)
- Bezieht man jedoch diese Zahl auf die Absolvent_innen mit der Fachrichtung Sozialwissenschaften, so folgt daraus eine Erwerbslosenquote von 4,7 Prozent. D.h. bei unserer Durchschnittsquote von 3,6 Prozent aller vorzufindenden Hauptfachrichtungen fällt der Anteil der arbeitslosen Soziologen überdurchschnittlich hoch aus.
In der Praxis bedeutet das: Nach drei Monaten bist du genervt. Nach sechs Monaten beginnen die Sorgen. Nach über zwei Jahren hast du deine Bewerbungsunterlagen ins unermessliche perfektioniert und eine Zukunftspanik macht sich in dir breit. Du bist erschöpft von den vielen gutgemeinten Ratschlägen („Ich kann ja mal deine Bewerbung durchlesen“; „hast du dich schon bei XY beworben“; „ich kenne da einen, der..“ ) und das abendliche Lesen von Stellenanzeigen gehört inzwischen zu einem festen Ritual in deinem Leben. Nach etwa 90 Bewerbungen, ebenso viele Absagen und zahlreichen Vorstellungsgesprächen, ist der Optimismus so ziemlich verflogen. Deine Curriculum Vitae besteht inzwischen aus den vielen kleinen Nebenjobs, die du gemacht hast, um nicht komplett in die Arbeitslosigkeit zu rutschen.
Wie mir, so ergeht es auch den meisten Soziolog_innen meiner Generation. Zu vielen von ihnen habe ich noch heute Kontakt. Während des Studiums hat man uns zu der künftigen intellektuellen Elite unseres Landes gezählt und nun sind wir eine Kohorte verunsicherter Geisteswisscheschaftler_innen, bei denen die Angst vor dem sozialen Abstieg tief in den Knochen sitzt. Wenigstens schweißt es uns zusammen.
Vermittlung ad absurdum
„Wie geht es Ihnen?“ werde ich von meiner Sachbearbeiterin gefragt. Ich weiss, dass ich ergeben mitspielen muss, bin ich doch theoretisch ihrer Willkür ausgeliefert. Umgekehrt weiß meine Sachbearbeiterin ebenso, dass ich mir darüber genau im Klaren bin. Da ich Akademikerin ohne längere Berufserfahrung in meinem Bereich bin, zähle ich offiziell zu der Gruppe der Ungelernten. Sie möchte mich in ein Call-Center vermitteln. Ich bekomme einen Haufen Vermittlungsvorschläge ausgedruckt, auf die ich mich innerhalb der nächsten drei Tage bewerben muss. „Es ist zwar unter ihren Qualifikationsniveau, aber wir müssen sie jetzt in den Arbeitsmarkt hineinkriegen“ höre ich sie sagen. Umgekehrt wird mir jegliche Form einer Weiterbildungsmaßnahme verwehrt, die mir viel mehr dazu verhelfen würde, mich auf einen adäquaten Berufszweig zu spezialisieren. Aha, denke ich mir, der Begriff Überqualifizierung ist also anscheinend eine reine Definitionssache, die das Jobcenter so darlegt, wie es das grad haben will. Zu Hause angekommen, lese ich mir die Vorschläge genauer durch: „Suchen Sie eine neue Herausforderung …. Auch Quereinsteiger sind Willkommen … Die Personalagentur XY sucht Sie als Call-Center Agent für ein großes Unternehmen“. In meiner Zwangslage gefangen schicke ich also der Personalagentur XY meine Bewerbungsunterlagen. Später google ich das besagte Unternehmen und erfahre nebenbei, dass es erst kürzlich Verhandlungen mit Gewerkschaften abgebrochen hatte, bei denen es um faire Arbeitszeitenmodelle und angemessene Bezahlungen ging.
Prisoner´s Dilemma
Nur wenige Tage später sitze ich zwischen Langzeitarbeitslosen und ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterinnen beim offiziellen „Bewerbertag“. Nach Ablauf von gut zwei Stunden, bei der eine „Testsituation“ simuliert werden sollte, werde ich von zwei Herren in den Besprechungsraum gebeten. Natürlich schrillten in mir sämtliche Alarmglocken laut. Aber ich muss das Spiel ja mitspielen. Außerdem bin ich neugierig für welches Gehalt ich meine Seele an die Dunkle Seite der Macht verkaufen solle. „Für die 40 Wochenstunden würden wie Ihnen 1.200 Euro bezahlen.“ Ich falle fast vom Glauben ab. „Brutto?“ frage ich. „Selbstverständlich, vorher würden wie sie natürlich in unseren Räumlichkeiten auf unsere Kosten schulen“. Vor meinem geistigen Auge tobe ich schreiend auf dem Schreibtisch der beiden Herren herum. Mir wird schlagartig klar, weshalb wir in Deutschland so ein hohes Armutsrisiko haben. Als ich Stunden später zu Hause angekommen bin, schreibe mit den Frust von der Seele. Ich bin wütend darüber dass Großkonzerne Menschen für einen Niedriglohn ausbeuten und noch wütender bin ich darüber, dass selbst ein Studium davor nicht schützt.
Liza Bruns
Henriette meint
Hallo Pauline,
du schreibst mir aus der Seele. In meiner Arbeitsamtzeit konfrontierte mich die Sachbearbeiterin damit, dass ich mich ja nur regional bewerben würde. Ich legte ihr meine Gründe dar (verheiratet, Mann mit unbefristeter Anstellung, dadurch sozial-räumlich gebunden) und bekam ein „Aber Frau XY., sie haben doch nicht studiert um verheiratet zu sein!“ entgegengeschmettert. Das empfand ich als Eingriff in meine Privatsphäre, als Erniedrigung meines Lebens außerhalb des Arbeitsamtes. (Ja, das gibt es nämlich!)
Auch ich jobbe mich seit dem Studium durch die Gegend, ich versuche es mittlerweile mit Gelassenheit und einer „Komme was wolle“-Einstellung hinzunehmen. Es wird aber nicht leichter immer wieder etwas Neues zu finden, noch schwieriger wird es mit Kind.
Ich fühle mit dir und wünsche dir weiterhin die Kraft immer wieder aufzustehen!
Pauline meint
Vielen Dank Susa für den lieben Kommentar!! 🙂
susa meint
Ich habe großes Mitgefühl für dich und bin entsetzt, wie entwürdigend heute mit Menschen umgegangen wird, die auf der Suche nach einem Job sind (oder es müssen, damit ihnen überhaupt der Lebensunterhalt zugestanden wird). Und leider bist du wohl keine Ausnahme.
Wünsche dir viel Kraft und Zuversicht und noch mehr, dass du eine Stelle findest, die dir Freude macht, wo man dir respektvoll begegnet und deine Anstrengungen angemessen entlohnt. (Utopie?)
Alles Gute und danke für den Bericht.
susa