Im Sankt Joseph Stift in Bremen startet das deutschlandweit einzigartige Modellprojekt „Ich pflege wieder, weil…“. Dabei sollen die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessert werden, um der Überlastung und dem Personalmangel in der Pflege und im Hebammenwesen entgegen zu wirken. Ziel ist es hierbei, ehemalige Pflegekräfte, die wegen Überlastung den Beruf verlassen haben, zu motivieren, den Beruf wieder aufzunehmen. Außerdem soll es Teilzeitkräften ermöglichen, die Stunden aufzustocken. Wir waren bei der Pressekonferenz, wo das Projekt vorgestellt wurde, dabei und haben verschiedene Einblicke bekommen.
Warum das Modellprojekt feministisch ist
Dass Care-Berufe unterbezahlt sind und mit prekären Arbeitsbedingungen einhergehen, ist keine neue Problematik und ist fest verankert in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung. Denn Care-Berufe werden nach wie vor zum Großteil von Frauen ausgeübt. In der Pflege sind es sogar über 80 Prozent der Beschäftigten. Dass speziell diese Berufe in unserer Gesellschaft weniger Beachtung, Anerkennung und Bezahlung erhalten, hängt mit der weiblichen Konnotation von Care zusammen. Von weiblich gelesenen Personen wird automatisch erwartet, dass sie besser für Care-Aufgaben geeignet sind, als männlich gelesene Personen. Das bedeutet, Pflege geht uns alle etwas an. Die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern ist also von Grund auf feministisch. Es ist daher kein Zufall, dass dieses Modellprojekt im Rahmen der Landesstrategie „Gendergerechtigkeit und Entgeltgleichheit“ umgesetzt wird.
Wie das Modellprojekt entstand
Auch bei der Pressekonferenz waren alle Sprecher*innen weiblich gelesen. Anwesend waren Claudia Bernhard, die Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz und Dr. Claudia Schilling, die Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Integration. Weiterhin die Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen, Elke Heyduck und die Projektleiterin Güzide Kadah. Die Arbeitnehmerkammer Bremen brachte gemeinsam mit den Senatorinnen das Projekt auf den Weg. Durchgeführt wird es auf den beiden geburtshilflichen Stationen im Sankt Joseph Stift und ist speziell für Pflegekräfte in der Geburtshilfe und Hebammen konzipiert. Die Projektleiterin Güzide Kadah arbeitet selbst als Kinderkrankenpflegerin auf der Station.
Ausgangspunkt für das Projekt ist die Potenzialanalyse „Ich pflege wieder, wenn…“ der Arbeitnehmerkammer Bremen. Bei der bundesweiten Studie von 2021 wurde festgestellt, dass bis zu 1.500 ausgebildete Pflegekräfte mit Berufserfahrung den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern in Bremen zur Verfügung stehen könnten, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbesserten. Prekäre Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen führen also dazu, dass ausgebildete Pfleger*innen ihren Beruf wegen Überlastung aufgeben und in andere Bereiche wechseln. Durch den sich verstärkenden Personalmangel werden die Arbeitsbedingungen für die Pfleger*innen und Hebammen vor Ort immer belastender, weshalb ein Großteil in Teilzeit arbeitet. Dies soll sich durch gezielte Maßnahmen innerhalb des Projektes ändern.
Was passieren soll
Die Grundlage für die Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen bilden eine eingehende Lageanalyse, eine umfassende Mitarbeiter*innenbefragung und eine detaillierte Erhebung der Personalkennzahlen. Ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist also die Personalbemessung und die Ermittlung eines Personalschlüssels, damit es nicht zur Überlastung einzelner Pfleger*innen und Hebammen kommt. Außerdem entwickeln die Beteiligten ein zuverlässiges Ausfallmanagement. Das bedeutet, dass nicht ständig spontan eingesprungen werden muss. Kadah erzählt, dass es zur Zeit nahezu unmöglich für Pfleger*innen und Hebammen ist, die angesammelten Überstunden abzubauen. Dies soll sich durch zuverlässige Dienstpläne ändern.
Ein weiterer Fokus ist die Entwicklung neuer Schulungskonzepte für Karrieremöglichkeiten und eine wertschätzende Führungskultur. Auch die kollegiale Beratung soll einen höheren Stellenwert bekommen als es zur Zeit der Fall ist. Außerdem wird ein Onboarding-Programm auf der Station eingeführt, um individuelle Einarbeitung zu ermöglichen. All dies wird gemeinsam mit den Pflegekräften und Hebammen auf der Station entwickelt und umgesetzt. Die Personen, die also am meisten Erfahrung mit den Arbeitsbedingungen haben, werden aktiv mit eingebunden. Um kurzfristige Entlastung zu schaffen, die Einbindung der Pflegekräfte und Hebammen zu ermöglichen und die Maßnahmen etablieren zu können, werden vorübergehend Entlastungskräfte angestellt.
Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung
Durch dieses Modellprojekt können konkrete Schritte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege aufgezeigt werden. Die Maßnahmen können in anderen Krankenhäusern in Bremen übernommen werden und auch bundesweit ein Orientierungspunkt sein. Die Projektleiterin Güzide Kadah sagt: „Unser Modellprojekt ist ein aktiver Beitrag zur Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs. Es ist nicht nur eine Investition in die Pflege und das Hebammenwesen, sondern auch ein klares Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft des Gesundheitswesens.“ Das Projekt ist also eine große Chance für eine längst überfällige Veränderung in der Pflege und im Hebammenwesen, damit sich zukünftig sowohl die Mitarbeitenden als auch die Patient*innen wohl fühlen.
Linnea
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