Das beliebteste Literatur-Genre der Deutschen ist der Krimi – jedenfalls laut einer Umfrage von 2017. Und welche Autorin könnte sich zum Welttag des Buches mehr für ein Portrait eignen als die „Queen of Crime“ Agatha Christie?
Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Christie zu den wichtigsten Autor*innen des 20. Jahrhunderts gehört. Hochrechnungen zufolge wurden ihre Bücher, darunter 66 Detektivromane, über zwei Milliarden Mal verkauft. Ihr Werk „Und dann gab’s keines mehr“ soll der meistverkaufte Kriminalroman der Welt sein.Theatergeneigte werden außerdem wissen, dass Christies „Die Mausefalle“,das am längsten aufgeführte Bühnenstück der Welt ist. Es wird im Londoner St. Martin’s Theatre seit 1952 ohne Unterbrechung dargeboten.
Ihre Rekorde sind jedoch nicht das Einzige, was Agatha Christie bedeutsam macht. Denn selbst Leuten, die nie etwas von Agatha Christie gelesen haben, fällt zumindest meist noch der Name „Poirot“ zu ihr ein.
„Ich übernehme nur Fälle, die mich interessieren und mein Interesse an Ihrem Fall ist gleich Null.“ (Poirot im Film „Mord im Orientexpress“ ,1974)
Der kleine belgische Privatdetektiv Hercule Poirot, mit dem auffallenden Schnurrbart und seinen „kleinen grauen Zellen“ ist weltweit vielleicht nicht ganz so bekannt wie Sherlock Holmes, wurde aber durchaus von bekannten Schauspielerin, wie Sir Peter Ustinov, David Suchet oder zuletzt Kenneth Brannagh, auf der großen Leinwand verkörpert. 1920 ist Poirot in Christies ersten Kriminalroman „Das fehlende Glied in der Kette“ in Aktion getreten. Agatha Christie schrieb außerdem noch 32 weitere Romane, in denen der Belgier ermittelt. Die zwei berühmtesten Poirot-Fälle sind wohl „Mord im Orientexpress“ und „Tod auf dem Nil“.
Ein weiterer beachtenswerter Roman, der Hercule Poirot zum Helden hat, ist „Alibi“. Der Fall hat die Schriftstellerin Mitte der Zwanziger schlagartig berühmt gemacht. Grund dafür war zweifellos die überraschende Wendung, den es zuvor bei keinem Kriminalroman so gegeben hatte. Mehr wird dazu an dieser Stelle natürlich nicht verraten…
„Sie werden wieder von mir hören, und zwar wenn mein Fall abgeschlossen ist!“(Miss Marple im Film „Der Wachsblumenstrauß“)
Für weibliche Krimifans ist Agatha Christie nicht nur bedeutsam, weil sie eine der wenigen renommierten weiblichen Autoren ihrer Zeit war, die so viel erreicht hat. Vielmehr ist sie auch für Miss Marple, eine ältere Hobbydetektivin, verantwortlich. Bis heute sind Frauen als Protagonistinnen in der Kriminalliteratur unterrepräsentiert. Doch die weibliche Detektivin Jane Marple ist aus dem Krimigenre nicht mehr wegzudenken. Mit dazu beigetragen haben sicherlich auch die bekanntenVerfilmungen mit Margaret Rutherford aus den 1960er Jahren, welche die alte englische Dame zu einem gewissen Kultstatus verhalfen.
Wer in den 1990 Jahren einen Fernseher zuhause hatte, wird außerdem auch auf die Serie „Mord ist ihr Hobby“ gestoßen sein. Die darin ermittelnde Hobbydetektivin Jessica Fletcher, gespielt von Angela Lansbury, wurde damals als die „amerikanische Antwort“ auf die britische Hobbydetektivin Jane Marple vermarktet. Sogar der Originaltitel der Serie, „Murder, she wrote“, ist eine klare Anspielung auf den Marple-Fall „Murder, she said“.
„Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die am meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine.“ (Agatha Christie)
Der bis heute mysteriöseste Fall, für den Agatha Christie verantwortlich ist, bleibt allerdings ihr eigenes Verschwinden. Anfang Dezember 1926 war die Autorin für ganze elf Tage wie vom Erdboden verschluckt. Die Zeit davor war für sie schwer gewesen. Ihr Mutter war im gleichen Jahr verstorben und ihr damaliger Ehemann Archer Christie hatte sich neu verliebt und wollte die Scheidung. Nach einem Streit mit ihrem Gatten packte Agatha ihre Sachen und fuhr davon. Danach blieb sie für elf Tage unauffindbar. Die einzige Spur war ihr Wagen, den man an einer Kalkgrube fand. Ihr Verschwinden sorgte für großes mediales Aufsehen. Sogar auf der Titelseite der New York Times wurde über sie berichtet. Unter den tausenden Freiwilligen, die der Polizei bei der Suchaktion halfen, waren auch Christies prominente Krimikolleg*innen Arthur Conan Doyle und Dorothy L. Sayers.
Elf Tage später, am 14 Dezember tauchte Christie dann quicklebendig in einem Hotel in Harrogate, Yorkshire, wieder auf. Sie hatte sich dort unter dem Namen Miss Neele – so hieß die Geliebte ihres Mannes – einchecken lassen.
Die Autorin äußerte sich bis zu ihrem Tod 1976 nicht zu dem Vorfall, selbst in ihrer Autobiografie nicht. Die Theorien der Öffentlichkeit waren umso wilder und reichten von einem Selbstmordversuch bis hin zum Vortäuschen eines gewaltsamen Todes, um den untreuen Gatten in Mordverdacht zu bringen. Die wohl schlüssigste Erklärung ist jedoch, dass Christie damals unter einer sogenannten Dissoziativen Fugue litt. Die ganze Wahrheit über ihr Verschwinden hat die Schriftstellerin aber mit ins Grab genommen.
Nach ihrer Scheidung heiratete Agatha übrigens ein weiters Mal und führte eine diesmal glückliche Ehe mit dem Archäologen Max Mallowan. Einflüsse der Ausgrabungsreisen, auf denen die Autorin ihren Mann häufig begleitete, befindet merkt man in Werken wie „Mord in Mesopotamien“ und „Tod auf dem Nil“.
Und nun gibt’s keines mehr?
Heutzutage ist der klassische „Whodunnit?“- Krimi praktisch ausgestorben. „The Golden Age of Detective Fiction„, zu deren wichtigsten Vertreter*innen Agatha Christie zählte, ist leider vorbei. Da ist es tröstlich, dass die riesige Anzahl an Christies Romanen und Kurzgeschichten, ihr Vermächtnis, uns für die Ewigkeit bleibt.
Juliane Hentschel
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